Archivbild eines Taurus-Dummys
Reuters/Hannibal Hanschke
Rund um Taurus-Debatte

Abhörfall sorgt für Unruhe in Berlin

Ein Gespräch zwischen vier Offizieren der deutschen Luftwaffe über die Fähigkeiten des Marschflugkörpers Taurus sorgt für Unruhe in der deutschen Politik. Denn das Gespräch wurde offenbar abgehört. Die Chefin des russischen Staatssenders RT veröffentlichte am Freitag auf Telegram einen Audiomitschnitt. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz sprach von einer sehr „ernsten Angelegenheit“ und kündigte eine „zügige“ Aufklärung an.

Seit Wochen wird in Deutschland über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine diskutiert. Kiew drängt auf die Lieferung des Waffensystems, der deutsche Kanzler lehnte eine solche – auch unter Kritik aus den Reihen der Koalitionspartner – bisher kategorisch ab.

Die deutsche Bundeswehr machte sich aber offenbar dennoch Gedanken darüber, wie ein Einsatz des Waffensystems in der Ukraine aussehen könnte. Das geht zumindest aus einem Audiomitschnitt hervor, der seit Freitag im Internet kursiert. Veröffentlicht wurde er von Margarita Simonjan, Chefin des früher als Russia Today bekannten – und in der EU verbotenen – russischen Staatssenders RT. Simonjan hatte den 38-minütigen Mitschnitt vor dem Wochenende auf Telegram geteilt. Laut ihren Angaben fand das Gespräch am 19. Februar statt.

Abhörfall bei deutscher Luftwaffe

Das deutsche Verteidigungsministerium geht davon aus, dass ein internes Gespräch von deutschen Luftwaffenoffizieren abgehört worden ist. Vier hochrangige Bundeswehr-Offizier diskutieren darin über die Fähigkeiten des Marschflugkörpers Taurus. Der 38-minütige Mitschnitt des Telefonats wurde von der Chefin des russischen Staatssender RT veröffentlicht.

Am Samstag bestätigte die deutsche Regierung, dass es zu einem Abhörfall bei der deutschen Luftwaffe gekommen ist. „Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen“, sagte eine Ministeriumssprecherin in Berlin.

„Sehr ernste Angelegenheit“

Laut dem Verteidigungsministerium nahm der Militärische Abschirmdienst (MAD) Ermittlungen wegen Spionageverdachts auf. Auch Kanzler Scholz äußerte sich zu dem Vorfall. Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach er von einer „sehr ernsten Angelegenheit“. Diese werde „jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt“, so Scholz.

Taurus-Leaks: „Sehr ernste Angelegenheit“

Deutschland geht davon aus, dass ein internes Gespräch der Luftwaffe abgehört worden ist. Die Chefin des russischen Staatssenders RT hatte einen Audiomitschnitt veröffentlicht. Darin diskutieren Offiziere über Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine.

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz erwartete am Samstag ebenfalls eine umgehende und umfassende Aufklärung durch die Bundesregierung. „Schnellstmöglich muss geklärt werden, ob es sich bei diesem Abhörskandal um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Problem handelt“, so der Grünen-Politiker.

Informationswunsch Pistorius’

Der Fall birgt für die deutsche Regierung eine doppelte Brisanz. Zuvorderst sorgt natürlich der Umstand für Unruhe, dass ein Gespräch ranghoher deutscher Militärs offenbar von Russland abgehört wurde. Laut Angaben des „Spiegels“ wurde das Gespräch nicht über eine abhörsichere Leitung, sondern über die Plattform Webex geführt – und könnte auch nicht das einzige abgehörte Gespräch sein. Zugleich birgt auch der Inhalt des Gesprächs Stoff für Diskussionen.

Boris Pistorius
Reuters/Liesa Johannssen
Das nun veröffentlichte Gespräch fand offenbar als Vorbereitung auf ein Briefing für den deutschen Verteidigungsminister statt

In der Besprechung der vier Luftwaffen-Offiziere geht es um einen möglichen Einsatz von deutschen Taurus-Marschflugkörpern durch ukrainische Streitkräfte und deren mögliche Auswirkungen. Grund des Gesprächs war – so geht es zumindest aus dem Mitschnitt hervor – eine Anfrage des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius, wie Scholz Mitglied der SPD. Allerdings, so wird in dem Gespräch auch festgehalten, lasse sich aus dem Informationswunsch Pistorius’ keine Vorwegnahme eines Taurus-Einsatzes ableiten.

Die Gesprächsteilnehmer erörtern aber hypothetisch, wie ein Einsatz des Taurus-Systems in der Ukraine aussehen könnte. Unter anderem sprechen die vier Offiziere auch darüber, ob die Ukraine mit den Taurus-Marschflugkörpern die Kertsch-Brücke treffen könnte, welche die Halbinsel Krim mit dem russischen Festland verbindet.

Aussagen über Verbündete

Die Gesprächsteilnehmer verweisen auf Großbritannien, das Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow an die ukrainische Armee geliefert hat, sowie auf Frankreich, das der Ukraine Scalp-Marschflugkörper zur Verfügung stellte. „Ich weiß, wie es die Engländer machen“, sagte einer der Gesprächsteilnehmer. „Die haben auch paar Leute vor Ort … die Franzosen nicht.“ Die Briten hätten gesagt, sie würden „den Ukrainern beim Taurus-Loading auch über die Schulter gucken“.

Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung über eine Äußerung von Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde. „Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, sagte Scholz. Was er genau damit meint, ließ er offen. Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, die beiden Staaten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper mit eigenem Personal unterstützen, was Großbritannien allerdings umgehend dementierte.

Russland fordert „Erklärung“

Russland nutzte die Veröffentlichung des Audiomitschnitts bereits für Kritik am Westen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte im türkischen Antalya, das Gespräch zeige, „dass das Kriegslager in Europa immer noch sehr, sehr stark ist“. Die „Kriegspartei“ – also die westlichen Unterstützer der Ukraine – wolle ihren Kurs nicht ändern und Russland eine „strategische Niederlage auf dem Schlachtfeld zufügen“.

Lawrows Sprecherin Maria Sacharowa forderte „Erklärungen von Deutschland“. Versuche, die Beantwortung dieser Fragen zu vermeiden, würden „als Schuldeingeständnis bewertet werden“.

Kalkül Russlands vermutet

Die Vorsitzende des Bundestagsverteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sah denn in der Veröffentlichung auch ein Kalkül Russlands. Moskau wolle Kanzler Scholz davon abschrecken, doch noch grünes Licht für die Lieferung von Taurus zu geben, so die FDP-Politikerin. Sie sagte dem RND, Spionage gehöre „zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung“.

Auch der Vizevorsitzende des Geheimdienstkontrollgremiums des Bundestags, Roderich Kiesewetter, vermutete, dass der Audiomitschnitt „ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt“ veröffentlicht worden sei. Der CDU-Politiker sah darin ebenfalls den Versuch Moskaus, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu verhindern.

Kiesewetter nutzte die Diskussion freilich seinerseits, um erneut Kritik am deutschen Kanzler zu üben. Scholz’ Weigerung, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern, spiele Moskau in die Hände, so Kiesewetter. Scholz begründete seine Weigerung bisher immer damit, dass Deutschland dadurch in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden könnte, bis hin zu einer direkten Beteiligung des deutschen Militärs.