Gerichtsakten
ORF.at/Zita Klimek
„Nicht zielführend“

Experten gegen Senkung des Strafalters

Der Missbrauch einer Zwölfjährigen mit insgesamt 17 Tatverdächtigen hat am Wochenende auch die Politik auf den Plan gerufen: Nach der FPÖ brachte auch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) die Senkung des Alters für die Strafmündigkeit ins Spiel. Bei Menschen, die sich mit Jugendkriminalität auseinandersetzen, stieß der Vorschlag zu Wochenbeginn aber auf wenig Gegenliebe.

Sehr eindeutige Worte kamen aus den Reihen der Richterschaft. „Wir sind der einhelligen Überzeugung, dass eine Senkung der Strafmündigkeitsgrenze zu nichts führt. Die Erfahrung zeigt, dass ein Zwölfjähriger das Unrecht seiner Tat oft gar nicht erkennt bzw. nicht schuld- oder tateinsichtig handelt“, sagte Andreas Hautz, Vorstandsmitglied der Fachgruppe Jugendstrafrecht in der Richtervereinigung und seit 25 Jahren als Jugendrichter in Wien tätig.

Um Kinder von strafbarem Verhalten abzubringen, „sind Prävention und Streetwork die richtigen Mittel. Kinder einsperren bringt dagegen nichts“, so Hautz. Die Fachgruppe wies darüber hinaus darauf hin, dass sich in den vergangenen Jahren die Anzeigen bei Jugendlichen zwar erhöht hätten. Die Verurteilungen seien aber zurückgegangen.

Kriminalsoziologin: Strafrecht wirkt nicht präventiv

Eine „absolute Anlassgesetzgebung“ sah Kriminalsoziologin Veronika Hofinger. Das Alter für die Strafmündigkeit zu senken wäre allerdings nicht zielführend, so die Wissenschaftlerin an der Uni Innsbruck. Sie zeigte sich nicht überrascht, dass aus der Politik nun ein solcher Vorschlag komme. Vergangene Woche war der Missbrauchsfall eines zwölfjährigen Mädchens in Wien bekanntgeworden. Unter den insgesamt 17 Tatverdächtigen befinden sich auch zwei Jugendliche, die zum Tatzeitpunkt noch nicht 14 Jahre alt waren.

Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/Robert Jäger
Nehammer denkt darüber nach, das Alter für die Strafmündigkeit zu senken

Aus diesem Anlass darüber nachzudenken, in Zukunft auch unmündige Kinder zu bestrafen, hält die Kriminalsoziologin allerdings für kontraproduktiv. „Das Strafrecht ist nicht das Instrument, das präventiv so wirkt, wie man sich das in populistischen Debatten vorstellt“, sagte Hofinger.

Strafen sei „nicht das richtige Mittel“, um dem Fehlverhalten von Zwölf- oder 13-Jährigen entgegenzuwirken. Dafür gebe es die Jugendwohlfahrt und andere Einrichtungen, die sich mit Kindern und Jugendlichen beschäftigen. „Das Strafrecht ist dagegen relativ fantasielos. Es ist erwiesen, dass das Strafrecht nicht so verhaltenssteuernd wirkt, wie man sich das vorstellt“, sagte die Wissenschaftlerin.

Verweis auf Lebenssituation von Kindern

Als „klare Verletzung der Kinderrechte“ bezeichnete Helmut Sax vom Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte im Ö1-Mittagsjournal ein allfälliges Senken der bestehenden Strafmündigkeitsgrenze. Bei unter 14-Jährigen sei es in erster Linie „die Verantwortung von Eltern, dass sie entsprechend auf ihre Kinder einwirken und Erziehungsarbeit leisten, dass so etwas nicht passiert“. Dafür stünden auch die Kinder- und Jugendhilfen und die Jugendämter unterstützend zur Verfügung, wenn es Hinweise auf Kindeswohlgefährdung gibt. In dieselbe Richtung äußerte sich in einer Aussendung am Montag auch die Volkshilfe.

Bereits am Sonntag hatte sich der Bewährungshilfeverein Neustart gegenüber Ö1 kritisch geäußert. Von Kindern, die im Gefängnis sitzen, habe niemand etwas, sagte Neustart-Sprecher Thomas Marecek. „Auch die meisten Jugendrichter und Jugendrichterinnen, mit denen ich gesprochen habe, sehen das so, denn das Strafverfahren ist ja ein sehr formales Verfahren. Und da kann keine intensive Auseinandersetzung mit den Hintergründen und mit den Lebenssituationen der Kinder stattfinden, aber genau das wäre wichtig“, so Marecek.

Um mit den Kindern an den Ursachen ihrer Delikte arbeiten zu können, brauche es ausreichend Ressourcen für die Kinder- und Jugendhilfe und die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Außerdem sei es wichtig zu verhindern, dass Kinder gegen das Gesetz verstoßen, sagte der Neustart-Sprecher.

Nehammer will Paket ausarbeiten lassen

Die Wichtigkeit der Prävention betonte auch Nehammer. Man müsse „fragen, wie der Staat Eltern bei der Prävention besser unterstützen kann und die Jugendwohlfahrt ein stärkerer Hebel sein kann“, hieß es in einem Papier aus dem Bundeskanzleramt, über das als Erstes die „Kronen Zeitung“ berichtete. Allerdings müsse man sich auch fragen, wie in letzter Konsequenz auch die Verantwortung der Eltern zu Haftung führen müsse.

Der Kanzler wies aber auch daraufhin, dass Jugendliche unter 14 Jahren, die Delikte wie Vergewaltigungen und schwere Körperverletzungen begehen, nicht strafmündig seien und dadurch auch nicht ausreichend bestraft werden könnten. Und er ersuchte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP), ein entsprechendes Paket zu erarbeiten.

Koalitionspartner gegen „Anlassgesetzgebung“

Während sich Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) ihrem Parteichef im Punkt des Strafalters unterstützend zur Seite stellte, äußerte sich der Koalitionspartner kritisch. Die grüne Justizsprecherin Agnes Sirkka Prammer nannte den Fall der Zwölfjährigen „erschütternd“. Es müsse alles getan werden, um aufzuklären, wie es dazu kommen konnte.

Auch wenn Jugendliche oder sogar Kinder Straftaten begingen, müsse das Konsequenzen haben. Dafür gebe es Gesetze: „Wir halten aber nichts davon, im berechtigten Schock über diese Tat Anlassgesetzgebung zu machen.“ Ziel müsse es sein, dass so etwas gar nicht erst passieren könne.

FPÖ-Chef Herbert Kickl wiederum warf Nehammer vor, nur die Kopiermaschine angeworfen zu haben. Die Freiheitlichen hätten bereits mehrfach und vor Langem gefordert, dass das Alter kein automatischer Freibrief dafür sein dürfe, bei besonders schweren Taten ungestraft davonzukommen.

Hinkender Vergleich mit Schweiz

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz verwies am Montag auch auf andere Länder in Europa. In Irland und den Niederlanden liege die Strafmündigkeitsgrenze bei zwölf Jahren, in Ungarn könnten Kinder für besonders schwere Taten auch schon ab zwölf bestraft werden. Schnedlitz nannte auch die Schweiz, wo Kinder bereits mit zehn Jahren als strafmündig gelten.

Rechtsexpertin spricht über Strafmündigkeit ab zwölf Jahren

Strafrechtsexpertin Ingeborg Zerbes bewertet die Überlegung, die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre zu senken.

Den Vergleich mit der Schweiz sah die stellvertretende Leiterin des Instituts für Strafrecht an der Uni Wien, Ingeborg Zerbes, allerdings problematisch. Die Schweiz habe zwar eine formale Strafmündigkeit von zehn Jahren. Allerdings dürften Strafen jeder Art ausnahmslos erst ab 15 Jahren verhängt werden. Sie halte es für problematisch, dass gerade politische Strömungen, „die sich liberal zeigen“ und „freiheitsorientiert unterwegs sind, gleichzeitig das repressivste Instrument, das ein Staat zu bieten hat, ausbauen wollen“, sagte die Juristin in ORF III.