Blick in den Gerichtssaal am 6. März 2024 einer öffentlichen Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof über Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen in der Strafsache gegen Ex-Familienministerin Sophie Karmasin
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Oberster Gerichtshof

Bedingte Haft für Karmasin reduziert

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat am Mittwoch die erstinstanzliche Verurteilung der ehemaligen ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin wegen Bestimmung zu wettbewerbsbestimmenden Absprachen bestätigt. Die vom Erstgericht verhängte Strafe wurde allerdings von 15 auf zehn Monate reduziert und zur Gänze bedingt nachgesehen. Das entschied ein Fünfersenat unter dem Vorsitz von Rudolf Lässig in einem öffentlichen Gerichtstag im Justizpalast.

„Das ist kein Fall von schwerer, geschweige schwerster Kriminalität“, so Lässig. Karmasin, gegen die auch in der ÖVP-Inseratenaffäre ermittelt wird, war Ende Mai 2023 am Wiener Landesgericht wegen Bestimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Absprachen in erster Instanz zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt worden. Vom schweren Betrug im Zusammenhang mit dem Weiterbezug ihres Ministergehalts war Karmasin in erster Instanz freigesprochen worden. Karmasin hatte gegen das Urteil in Sachen Absprachen Berufung eingelegt.

Die Wirschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hingegen hatte eine Nichtigkeitsbeschwerde in Sachen schwerer Betrug eingelegt. Gegen die zur Bewährung ausgesetzte 15-monatige Haftstrafe für die Bestimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Absprachen hatte die WKStA Strafberufung angemeldet.

Sophie Karmasin im Jahr 2017
APA/Georg Hochmuth
Karmasin 2017 als ÖVP-Familienministerin bei einer Pressekonferenz

Herabsetzung „gerechtfertigt und schuldangemessen“

Der OGH-Senat verwarf sowohl die Nichtigkeitsbeschwerde der Verteidigung gegen die Verurteilung als auch die Nichtigkeitsbeschwerde der WKStA gegen den erstinstanzlichen Freispruch vom mitangeklagten schweren Betrug. Beiden Beschwerden komme keine Berechtigung zu, führte der Senatsvorsitzende Lässig in seiner ausführlichen Urteilsbegründung aus.

Der Berufung der Verteidigung gegen die Strafhöhe wurde dagegen Folge gegeben. Bei einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren „sind 15 Monate für eine Ersttäterin wirklich hoch, außerordentlich hoch“, sagte Lässig. Eine Reduktion auf zehn Monate erscheine „gerechtfertigt und schuldangemessen“, da das Erstgericht bei der Strafbemessung zwei wesentliche Milderungsgründe außer acht gelassen habe.

Lässig verwies zum einen auf die bisherige Unbescholtenheit der Ex-Politikerin: „Sie ist Jahrgang 1967 und hat sich ihr ganzes Leben wohl verhalten.“ Zum anderen habe das gegenständliche Strafverfahren Karmasin „gravierende Nachteile“ eingebracht, was bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sei.

„Bereits Haftübel verspürt“

Die Strafe unbedingt oder teilbedingt auszusprechen, wie die WKStA das in ihrer Berufung gegen das Strafausmaß gefordert hatte, kam für den Senat nicht infrage. Für einen Ersttäter bzw. eine Ersttäterin sei eine bedingte Strafnachsicht „österreichweit üblich“, sofern es sich nicht um Kapitalverbrechen handle, legte der Senatsvorsitzende dar.

Karmasin, die in dieser Causa eine Zeit in U-Haft genommen worden war, habe überdies bereits das Haftübel verspürt. „Niemand hier im Saal wird wohl der Meinung sein, dass sie noch einmal eingesperrt gehört“, sagte Lässig.

Karmasin war am 2. März 2022 festgenommen worden – allerdings nicht primär wegen der gegenständlichen Vorwürfe, sondern wegen ihrer möglichen Verwicklung in die ÖVP-Inseratenaffäre. Zwei Tage danach wurde über die Ex-Ministerin wegen dringenden Tatverdachts und Tatbegehungsgefahr die U-Haft verhängt, aus der sie erst mehr als drei Wochen später – am 28. März – wieder freikam.

Absprachen: Rechtsansicht bestätigt

In Bezug auf die wettbewerbsbeschränkenden Absprachen, die neben dem Fortbezug ihres Ministerinnengehalts vom OGH behandelt wurden, hatte sich der Schuldspruch des Erstgerichts auf drei Studien für das Sportministerium bezogen, für die Karmasin den Zuschlag erhalten hatte.

Das dadurch, dass sie zwei Mitbewerberinnen – darunter ihre frühere Mitarbeiterin Sabine Beinschab – dazu brachte, „von ihr inhaltlich vorgegebene und mit ihr vorab inhaltlich abgesprochene Angebote an die Auftraggeber zu übermitteln, um sicherzustellen, dass die ihr zuzurechnende Karmasin Research & Identity GmbH die Aufträge bekommen würde“, wie es in der Anklageschrift der WKStA hieß.

Beinschab und die zweite Konkurrentin legten zwischen April 2019 und Juni 2021 Angebote, die Karmasin dann jeweils unterbot. Das war nach Ansicht des Erstgerichts „jedenfalls rechtswidrig“ und habe „gezielt den Wettbewerb eingeschränkt“. Der OGH bestätigte diese Rechtsansicht. Dass ein Verfahren nach dem Bundesvergaberecht eingeleitet wurde, sei „unstrittig“, erläuterte der Senatsvorsitzende Lässig. Wenn die Verteidigung meine, es habe in Bezug auf die drei Studien derart viele Unregelmäßigkeiten gegeben, dass gar kein ordentliches Vergabeverfahren vorlag, „dann hinkt dieser Vergleich“, sagte Lässig.

Betrug: Tätige Reue lag vor

Was den gegen Karmasin gerichteten Vorwurf des schweren Betrugs betrifft, war für das Erstgericht zwar „zweifellos erwiesen“ und „eindeutig dokumentiert“, dass sich diese nach ihrem Ausscheiden aus dem Ministeramt mit Anfang Dezember 2017 ungeachtet der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit „mit voller Absicht“ ihre Fortbezüge bis Ende Mai 2018 erschlichen hatte.

Die erste Instanz kam aber zum Schluss, dass die Strafbarkeit des Betrugs aufgehoben war, weil der Ex-Ministerin zugebilligt werden musste, den angerichteten Schaden vollständig, rechtzeitig und freiwillig gutgemacht zu haben, bevor die Strafverfolgungsbehörden von Karmasins Verschulden Kenntnis erlangt hatten. Dem schloss sich der OGH-Senat an, der zum Schuss kam, dass eine für die tätige Reue erforderliche rechtzeitige und vollständige Schadensgutmachung vorlag. Es war dabei um eine Summe von knapp 59.000 Euro gegangen.

Karmasin nicht anwesend

Karmasin fehlte am Mittwoch krankheitsbedingt. „Sie nimmt Medikamente. Es geht ihr sehr schlecht“, entschuldigte Verteidiger Norbert Wess die 57-Jährige. Was genau Karmasin fehlt, sagte Wess nicht. Er appellierte an die Medienvertreterinnen und -vertreter, die Privatsphäre Karmasins zu wahren und nicht über ihren Gesundheitszustand zu recherchieren bzw. zu berichten.

Aufarbeitung der ÖVP-Umfragenaffäre steht noch bevor

In diesem Prozess gegen Karmasin ging es noch nicht um die ÖVP-Umfragenaffäre. Was das „Beinschab-Tool“ betrifft, ermittelt die WKStA neben Karmasin unter anderen auch gegen Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, dessen früheres engstes berufliches Umfeld sowie die ÖVP. Laut Beinschab hatte Karmasin ihr den Kontakt zum damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, vermittelt. In weiterer Folge soll dann das „Beinschab-Tool“ entwickelt worden sein.

Mit Steuergeld aus ÖVP-geführten Ministerien sollen Umfragen bezahlt und in Medien platziert worden sein. Dafür sei von Karmasin gemeinsam mit ihrer ehemaligen Kollegin Beinschab ein PR-Tool gestaltet worden. Profitiert haben sollen von den Umfragen Kurz und die ÖVP. Beinschab erhielt schließlich nach einem Geständnis und weiteren Aussagen den Kronzeugenstatus. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.