Palästinenser mit Hilfsgütern
APA/AFP
Temporärer Hafen

Nächster Vorstoß für Gaza-Hilfe über Seeweg

Angesichts der prekären humanitären Lage im Gazastreifen verdichten sich die Hinweise auf anstehende Hilfslieferungen über den Seeweg. Die bisher erfolgten Hilfslieferungen seien „bei Weitem nicht genug und bei Weitem nicht schnell genug“, hieß es am Donnerstag dazu vonseiten der USA. Auch soll ein temporärer Hafen errichten werden. US-Präsident Joe Biden warnte Israel davor, humanitäre Hilfe als „Druckmittel“ zu nutzen.

So soll die notleidende Zivilbevölkerung zusätzliche Hilfe auf dem Seeweg bekommen, wie ein hochrangiger US-Regierungsvertreter am Donnerstag in Washington mitteilte. Hauptteil des Hafens, der vom US-Militär gemeinsam mit internationalen Partnern umgesetzt werden soll, ist den Angaben zufolge ein temporärer Pier, an dem auch große Schiffe andocken können, um Nahrungsmittel, Wasser, Medizin und Notunterkünfte zu liefern. Dieser böte „die Kapazität für Hunderte zusätzlicher Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern pro Tag“, erklärte ein weiterer hochrangiger US-Regierungsvertreter.

Die Lieferungen würden zunächst über Zypern erfolgen, ermöglicht durch das US-Militär und eine Koalition aus Partnern und Verbündeten. Die Umsetzung des Vorhabens werde einige Wochen dauern, wie dazu weiter verlautete.

Erste Schiffe bereit in kommenden Tagen?

Erste Hilfslieferungen könnten auf dem Seeweg möglicherweise bereits deutlich früher den Gazastreifen erreichen, berichtete Reuters dazu schon am Mittwoch mit Verweis auf eine mit der Angelegenheit vertraute Person. Die Hilfe werde diesen Angaben zufolge mit den Vereinigten Arabischen Emiraten koordiniert und solle noch vor dem Beginn des Ramadan am Sonntag beginnen.

Auch bei diesen Angaben spielt das rund 370 Kilometer nordwestlich des Gazastreifens gelegene EU-Land Zypern eine Schlüsselrolle. Zypern setzt sich seit Monaten dafür ein, auf dem Seeweg Hilfsgüter direkt in den Gazastreifen zu transportieren.

Ebenfalls am Mittwoch hatte die israelische Zeitung „Haaretz“ berichtet, Israel wolle erstmals seit Kriegsbeginn vor fünf Monaten die Einfuhr von Hilfsgütern in den Gazastreifen auf dem Seeweg erlauben. Israel habe eine entsprechende Vereinbarung mit nicht näher genannten internationalen Institutionen getroffen, hieß es in dem Bericht.

Biden: „Humanitäre Hilfe keine zweitrangige Überlegung“

Später ging auch US-Präsident Biden in seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag (Ortszeit) auf die Hilfe ein. Er warnte Israel davor, die humanitäre Hilfe für die Menschen als „Druckmittel“ zu nutzen. „Humanitäre Hilfe darf keine zweitrangige Überlegung oder ein Druckmittel sein“, sagte Biden in seiner Rede.

Eindringlich wandte sich Biden an die israelische Führung, ihren Beitrag zur humanitären Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung zu leisten: „Israel muss mehr Hilfslieferungen nach Gaza zulassen und sicherstellen, dass die humanitären Helfer nicht ins Kreuzfeuer geraten“, mahnte der Demokrat. Er wiederholte die Forderung nach einer sofortigen sechswöchigen Waffenruhe.

„Mehr als 30.000 Palästinenser wurden getötet, von denen die meisten nicht der Hamas angehören“, sagte Biden. Kinder seien zu Waisen geworden, Menschen hätten ihre Häuser verloren und seien vertrieben worden. Viele seien ohne Nahrung, Wasser und Medizin. „Es ist herzzerreißend.“ Biden betonte, für das Vorhaben der humanitären Hilfe keine US-Soldaten an Ort und Stelle gebraucht würden.

Von der Leyen besucht Hafen von Larnaka

Pläne für Hilfstransporte per Schiff bestätigte am Mittwoch schon ein Sprecher von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. Die EU-Spitzenpolitikerin reiste am Donnerstagabend nach Zypern. Am Freitag steht unter anderem auch ein Besuch im Hafen von Larnaka auf dem Programm. Von diesem Hafen aus sollen die Hilfsgüter per Schiff in den Gazastreifen gebracht werden. Man hoffe darauf, dass der humanitäre Korridor sehr bald eröffnet werden könne, hieß es.

Die humanitäre Lage der Menschen in Gaza spitzt sich seit Wochen dramatisch zu. Es fehlt am Nötigsten. Vertreter der Vereinten Nationen hatten zuletzt im Weltsicherheitsrat vor dem Hungertod Tausender Zivilisten im Gazastreifen gewarnt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aber treibt trotz laufender Verhandlungen über eine Waffenruhe die Bodenoffensive in Gaza voran und lässt humanitäre Hilfe beschränken.

Hilfsgüter werden aus der Luft über dem Gazastreifen abgeworfen
APA/AFP/Jack Guez
Die USA werfen seit einigen Tagen Hilfsgüter aus der Luft über dem Gazastreifen ab

Die USA hatten erst am vergangenen Wochenende damit begonnen, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen aus der Luft mit Hilfsgütern zu versorgen. Nach Angaben der US-Regierung steht inzwischen auch der Rahmen für eine mögliche Einigung auf eine befristete Feuerpause und eine Freilassung weiterer Geiseln in dem Konflikt. Israel habe die Details „mehr oder weniger akzeptiert“. Nun sei die islamistische Hamas am Zug.

UNO begrüßt Vorstoß

Wie die Vereinten Nationen nach Bekanntwerden der US-Pläne mitteilten, sollte der Fokus bei der Gaza-Hilfe zwar weiterhin auf der großangelegten Versorgung über den Landweg liegen. Diese sei sowohl vom Kostenfaktor wie auch vom Umfang her effizienter, so UNO-Sprecher Stephane Dujarric gegenüber Reuters. Gleichzeitig sei „jede Möglichkeit, mehr Hilfe in den Gazastreifen zu bringen, sei es auf dem Seeweg oder per Luftabwurf“, natürlich begrüßenswert, wie Dujarric hier anfügte.

Israel: Mehr Lkws als vor Kriegsbeginn

Angesichts zunehmend schärferer Kritik an Israel wegen der katastrophalen Versorgungslage im Gazastreifen hat die Regierung in Jerusalem betont, es kämen derzeit mehr Hilfsgüter in den Küstenstreifen als vor Kriegsbeginn. „In den vergangenen zwei Wochen sind täglich durchschnittlich 102 Lebensmitteltransporte in den Gazastreifen gelangt. Das sind fast 50 Prozent mehr als vor dem Beginn des Krieges durch die Hamas am 7. Oktober“, sagte Regierungssprecher Eilon Levi am Mittwoch.

Das Problem sei aus israelischer Sicht die Verteilung der Lebensmittel innerhalb des Gazastreifens. „Die UNO habe Mühe, die Hilfsgüter so schnell zu verteilen, wie Israel sie hineinlässt“, sagte der Sprecher. Und das liege daran, dass sich die Vereinten Nationen dabei auf das UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA verließen, das Levi als „Tarnorganisation“ der islamistischen Hamas bezeichnete.

Israel wirft einem Dutzend UNRWA-Mitarbeitern vor, an den Terrorakten der islamistischen Hamas in Israel vom 7. Oktober beteiligt gewesen zu sein. Mehrere westliche Länder haben wegen der Anschuldigungen ihre Zahlungen an UNRWA eingefroren, darunter die beiden größten Geldgeber, die USA und Deutschland.

Kanada nimmt UNRWA-Finanzierung wieder auf

Kanada will die UNRWA-Finanzierung trotz weiterhin nicht abgeschlossener Untersuchungen indes wieder aufnehmen. Der öffentliche kanadische TV-Sender CBC hatte gemeldet, die Regierung von Premier Justin Trudeau wolle eine fällige Zahlung von umgerechnet mehr als 15 Millionen Euro sowie eine Extrasumme leisten. Offiziell verkündet wurde der Schritt aber bisher nicht. Auch Spanien werde UNRWA zusätzliche 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen, hieß es.