US-Präsident Joe Biden hält eine Rede an die Nation
Reuters/Evelyn Hockstein
Rede zur Lage der Nation

Biden mit Kampfansage an „Vorgänger“

Mit einem kämpferischen Auftritt im Kongress hat US-Präsident Joe Biden versucht, im Wahlkampf zu punkten. Bei der Rede zur Lage der Nation vor beiden Parlamentskammern gab sich der Demokrat am Donnerstagabend (Ortszeit) energisch und angriffslustig und inszenierte sich als Gegenstück zu seinem wahrscheinlichen republikanischen Herausforderer Donald Trump. Diesen erwähnte er nicht namentlich, sondern sprach von seinem „Vorgänger“.

Trump stehe für Wut, Rache und die Vergangenheit, er selbst für Anstand, Würde und Zukunftsideen, sagte Biden. Er will bei der Präsidentenwahl Anfang November für eine zweite Amtszeit kandidieren, hat aber mit schweren Imageproblemen zu kämpfen. Seine Beliebtheitswerte sind im Keller – noch unter den Werten Trumps zur gleichen Zeit in dessen Präsidentschaft.

Biden konzentrierte sich in weiten Teilen der Rede auf innenpolitische Themen, die viele Amerikaner im Alltag umtreiben: Inflation, Arbeitsmarkt, Medikamentenpreise, Mieten, Steuern, Kriminalität – aber auch die Kosten für Chips und Schokolade. Hoch her ging es beim Thema Migration, das im Wahlkampf besonders hart debattiert wird. Mehrfach unterbrachen Republikaner den Präsidenten hier mit Zwischenrufen, die Biden jedoch konterte.

„Ich werde keine Familien trennen“

Der Präsident distanzierte sich klar von Trumps migrationspolitischem Kurs. „Ich werde keine Familien trennen“, sagte der Demokrat. Er werde nicht die Einreise von Menschen aufgrund ihres Glaubens verbieten. Und er werde „Einwanderer nicht verteufeln und sagen, sie seien Gift im Blut unseres Landes“. Stattdessen streckte Biden den Republikanern erneut die Hand entgegen und rief diese zur Zusammenarbeit auf.

US-Präsident Joe Biden hält eine Rede an die Nation
AP/J. Scott Applewhite
Biden während seiner Rede vor beiden Parlamentskammern

Wirtschaftspolitische Impulse gepriesen

Viel Zeit widmete Biden der Wirtschaftslage, denn die ökonomische Zufriedenheit könnte die Wahl mitentscheiden. Zwar steht die US-Wirtschaft nicht schlecht da. Die Inflation ist deutlich zurückgegangen. Auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist gut. Doch bei den Menschen im Land scheint das nicht anzukommen.

Umfragen zufolge sind viele frustriert über hohe Preise. Biden pries die Impulse, die er gesetzt habe, und argumentierte, diese machten sich nicht sofort bemerkbar. „Das braucht Zeit, aber das amerikanische Volk beginnt, es zu fühlen.“

Biden thematisierte sein Alter mehrfach

Mehrfach thematisierte Biden sein Alter. „Ich weiß, es sieht vielleicht nicht so aus, aber ich bin schon eine Weile dabei“, scherzte er. „In meiner Laufbahn hat man mir immer wieder gesagt, ich sei zu jung und zu alt. Ob jung oder alt, ich habe immer gewusst, was Bestand hat.“ Bidens Alter ist seine größte Bürde im Wahlkampf. Er war 2021 als ältester Präsident aller Zeiten ins Weiße Haus eingezogen und wäre am Ende einer zweiten Amtszeit 86.

Vor allem in letzter Zeit häuften sich die Schlagzeilen über Bidens geistigen Zustand. Die vielbeachtete Rede im Kongress mitten im Wahlkampf war daher auch eine Art Bewährungsprobe für Biden, um aus dem Stimmungstief zu kommen. Der Präsident brachte die mehr als einstündige Rede ohne größere Patzer oder Versprecher über die Bühne.

Vizepräsidentin Kamela Harris applaudiert Joe Biden zur Rede an die Nation
APA/AFP/Getty Images/Chip Somodevilla
Vizepräsidentin Kamela Harris applaudiert Biden

Biden zu Putin: „Wir werden nicht weglaufen“

Doch auch Außenpolitik war Thema, wenn auch in weit geringerem Ausmaß als innenpolitische Belange: „Meine Botschaft an (Russlands, Anm.) Präsident (Wladimir, Anm.) Putin, den ich seit Langem kenne, ist einfach: ‚Wir werden nicht weglaufen‘", sagte Biden. „Wenn irgendjemand in diesem Raum meint, Putin würde nach der Ukraine haltmachen, dann ist das falsch. Ich versichere Ihnen, das wird er nicht.“

Biden forderte den Kongress erneut auf, weitere US-Hilfen für das von Russland angegriffene Land freizugeben. „Die Ukraine kann Putin aufhalten. Wenn wir der Ukraine zur Seite stehen und die Waffen liefern“, sagte er. Die Ukraine bitte nicht um US-Soldaten, und er werde auch keine schicken, betonte der US-Präsident. Die Republikaner wollten, dass sich die USA von der Führungsrolle in der Welt verabschieden.

„Wir müssen Putin die Stirn bieten“

Biden verurteilte auch Aussagen seines Vorgängers Trump zum Verteidigungsbündnis NATO. Diese seien „gefährlich und inakzeptabel“, warnte er. Der 77-Jährige hatte jüngst bei einem Wahlkampfauftritt deutlich gemacht, dass er NATO-Bündnispartnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung gewähren würde. „Wir müssen Putin die Stirn bieten“, so Biden.

Die USA galten in den vergangenen zwei Jahren seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als wichtigster Verbündeter Kiews. Die US-Regierung lieferte in gewaltigem Umfang Waffen und Munition an die Ukraine. Seit geraumer Zeit gibt es jedoch keinen Nachschub mehr aus den USA. Hintergrund ist eine innenpolitische Blockade im US-Kongress, wo Republikaner weitere Hilfen für Kiew bisher verweigern.

„Hilfe darf keine zweitrangige Überlegung sein“

Biden setzte jedoch auch einen Akzent zum Nahost-Konflikt, da er auch hier bei vielen Wählerinnen und Wählern zuletzt an Unterstützung eingebüßt hat. Muslime, Amerikaner mit arabischer Herkunft und viele Jüngere im Land beklagen, dass die USA zu einseitig an der Seite Israels stehen und zu wenig tun, um das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung zu lindern.

Biden prangerte in seiner Rede nun eindringlich die dramatische humanitäre Lage im Gazastreifen an, versprach den Menschen dort weitere Hilfe und ermahnte Israels Führung, mehr für den Schutz unschuldiger Palästinenser zu tun. Die Situation sei „herzzerreißend“, beklagte er. „Israel muss mehr Hilfslieferungen nach Gaza zulassen. Humanitäre Hilfe darf keine zweitrangige Überlegung oder ein Druckmittel sein“, so Biden.