Strommast in New York
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USA

Marodes Stromnetz stößt an seine Grenzen

Weite Teile der USA laufen Gefahr, nicht mehr ausreichend mit Strom versorgt werden zu können. Grund dafür sind vor allem die vielen neuen Rechenzentren sowie Fabriken für saubere Technologien, von denen viele durch politische Anreize entstanden sind. Diese haben einen enorm hohen Stromverbrauch, den die Energieversorger nun nicht mehr decken können. Und auch die marode Strominfrastruktur trägt ihresgleichen dazu bei, wie Ende der Woche das „Time“-Magazin zusammenfasste.

„Die Menschen sind sich nicht bewusst, wie anfällig das Stromnetz ist“, zitierte „Time“ dazu Michel Polsky – der bereits seit 2001 mit dem von ihm gegründeten Unternehmen Invenergy auf erneuerbare Energien setzt und in den USA als Pionier dieser Branche gilt. Polsky sei dem US-Magazin zufolge allerdings mit seiner Meinung „bei Weitem nicht allein“. Vielmehr werde der Ruf nach regulatorischen Reformen, wie etwa beschleunigte Verfahren für die Genehmigung von Ausbau und Erneuerung von Stromleitungen, immer lauter.

Daten der North American Electric Reliability Corporation (NERC) zufolge habe sich die prognostizierte Nachfrage nach neuer Energie in Nordamerika zuletzt verdoppelt. Ein wichtiger Grund dafür sei vor allem die rasante Innovation im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI), die den Bau großer Rechenzentren vorantreibt. KI ist zudem auch Teil einer gewaltigen Ausweitung des Cloud-Computing.

Große Technologieunternehmen wie Amazon, Apple, Google, Meta und Microsoft suchen US-weit nach Standorten für neue Rechenzentren. Aber auch Kryptomining treibt das Wachstum der Rechenzentren voran. All das setzt das bereits stark überlastete Stromnetz unter neuen Druck. Die Engpässe nehmen zu, sodass sowohl neue Energieerzeuger als auch Großverbraucher mit zunehmend längeren Wartezeiten für den Anschluss an das Stromnetz konfrontiert sind.

Starker Anstieg bei Rechenzentren

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) verbrauchten die 2.700 Rechenzentren in den USA 2022 mehr als vier Prozent der gesamten Elektrizität des Landes. Ihre Prognosen zeigen, dass sie bis 2026 sechs Prozent verbrauchen werden. Branchenprognosen zeigen, dass die Zentren auch in den folgenden Jahren einen größeren Anteil des US-Stroms verbrauchen werden, da die Nachfrage von Privathaushalten und kleineren Gewerben relativ konstant bleibt.

Anreize durch Politik

Während die Betreiber von Rechenzentren darauf warten, an regionale Stromnetze angeschlossen zu werden, hat die Industriepolitik der US-Regierung unter Präsident Joe Biden Unternehmen dazu verleitet, ihre Fabriken in den USA zu bauen. Nach Angaben des Electric Power Research Institute haben Unternehmen in der ersten Hälfte der Biden-Amtszeit Pläne zum Bau bzw. zur Erweiterung von mehr als 155 Fabriken in den USA angekündigt – der höchste Wert seit den frühen 1990er Jahren.

Durch den gestiegenen Energiebedarf wurde in den USA zuletzt auch immer wieder diskutiert, wer finanziell dafür aufkommen soll. Wie die „Washington Post“ berichtete, befürchten die Regulierungsbehörden, dass private Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die kostspieligen Modernisierungsarbeiten für das marode Stromnetz hinhalten müssen.

Zudem droht der Umstieg auf saubere Energie zu scheitern, da die Führungskräfte der Energieversorger darauf drängen, die Stilllegung fossiler Kraftwerke zu verzögern und neue in Betrieb zu nehmen. Schon jetzt verzögert der steigende Stromverbrauch die Schließung von Kohlekraftwerken in Kansas, Nebraska, Wisconsin und South Carolina.

Nachfrage in Georgia auf Rekordniveau

Besonders stark lassen sich die Entwicklungen im Bundesstaat Georgia beobachten. Dort steigt die Energienachfrage im Industriesektor derzeit auf ein Rekordniveau. Die Prognosen für den Stromverbrauch in den nächsten zehn Jahren sind zudem rund 17-mal höher als noch vor Kurzem. Der größte Stromversorger des Bundesstaates, Georgia Power, nennt Rechenzentren dabei als Hauptschuldigen.

Die hohe Nachfrage führte dazu, dass Verantwortliche nun beginnen, die Politik der Anreize zu überdenken. Regulierungsbehörden prüfen unterdessen, wie sie Steuerzahlerinnen und -zahler schützen und gleichzeitig sicherstellen können, dass genügend Energie zur Verfügung steht, um den Bedarf von Unternehmen sauberer Technologien zu decken.

Auch andere Bundesstaaten kämpfen

Und auch in Arizona hat der größte Stromversorger Probleme, mit der großen Nachfrage Schritt zu halten. Es wird damit gerechnet, dass die Kapazitäten noch vor Ende des Jahrzehnts erschöpft sein werden, wenn nicht umfangreiche Modernisierungen vorgenommen werden. Ein Energieversorger im nordwestlichen Bundesstaat Oregon verdoppelte zuletzt seine Prognose für den neuen Strombedarf in den nächsten fünf Jahren und nannte ebenfalls Rechenzentren als treibende Kraft dahinter.

Der Norden von Virginia benötigt das Äquivalent mehrerer großer Kernkraftwerke, um alle geplanten und im Bau befindlichen neuen Rechenzentren zu versorgen. Und auch Texas, wo Stromengpässe an heißen Sommertagen immer wieder auf der Tagesordnung stehen, steht vor dem gleichen Problem.

Techniker in einem Rechenzentrum
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Aufgrund äußerst energieintensiver Rechenzentren kann der industrielle Strombedarf in den USA bald nicht mehr gedeckt werden

Dort ereigneten sich zuletzt auch historische Busch- und Waldbrände, die laut Behörden von Stromleitungen ausgelöst wurden. Das weckt auch Erinnerungen an einen Fall im Jahr 2020, in dem das Energieunternehmen PacifiCorp beschuldigt wurde – unter anderem durch das Versäumnis, Stromleitungen abzuschalten – zu einem tödlichen Brand beigetragen zu haben.

Standorte ausgeschöpft

In der Vergangenheit haben Unternehmen versucht, ihre Rechenzentren in Gebieten mit guter Internetinfrastruktur, vielen technischen Fachkräften und attraktiven staatlichen Anreizen anzusiedeln. Diese Standorte werden jedoch langsam ausgeschöpft, was viele Unternehmen zunehmend dazu drängt, ihre Rechenzentren an anderen Orten zu bauen, in vereinzelten Fällen sogar in Maisfeldern.

Viele Unternehmen in den USA setzen zunehmend auch auf Unabhängigkeit in ihrer Stromversorgung, um der Energieknappheit zu entgehen. Und auch Tech-Giganten wie Microsoft und Google hoffen darauf, energieintensive Industriebetriebe zukünftig durch kleine Kernkraftwerke an Ort und Stelle mit Strom versorgen zu können.

Stromnetzausbau langwieriger Prozess

In der Biden-Regierung habe man die Beseitigung des Stromnetzengpasses zu einer Priorität gemacht. Ein Prozess, der sich politisch allerdings sehr langwierig gestaltet, da für den Bau der erforderlichen Leitungen und Stationen umfangreiche Landkäufe sowie umfassende Umweltprüfungen benötigt werden.

Forschende der Universität Princeton rechneten zudem vor, dass die USA bis 2030 Gefahr laufen, 80 Prozent der potenziellen Emissionssenkungen aus dem von Biden unterzeichneten Klimagesetz, dem Inflation Reduction Act, zu verpassen, wenn das Bautempo nicht drastisch erhöht würde.