Israelisches Kriegsschiff vor der Küste von Gaza
APA/AFP/Jack Guez
Gaza-Hilfe

Seekorridor könnte am Wochenende starten

Der geplante Seekorridor für Hilfslieferungen für den Gazastreifen soll am Wochenende starten. Das sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag bei einem Besuch in Zypern, wo die Schiffe starten sollen. Unterdessen gab es scharfe Kritik an Israels Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland. Diese sei „nach dem Völkerrecht ein Kriegsverbrechen“, sagte der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk.

„Wir stehen jetzt kurz vor der Eröffnung des Korridors – hoffentlich diesen Samstag, diesen Sonntag“, sagte von der Leyen bei einem Treffen mit dem zypriotischen Präsidenten Nikos Christodoulidis in der zypriotischen Hafenstadt Larnaka. Von dort sollen die Hilfslieferungen in Richtung Gaza starten. Hinter dem Projekt stehen laut von der Leyen neben der EU auch die Vereinigten Arabischen Emirate und die USA, wobei Zypern eine tragende Rolle innehat.

Aufgrund der katastrophalen humanitären Situation im Gazastreifen hätten sich die EU-Kommission, Deutschland, Griechenland, Italien, die Niederlande, Zypern, die Vereinigten Arabischen Emirate, Großbritannien und die USA zur Einrichtung des Hilfskorridors entschieden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Bemühungen würden „eng mit der Regierung Israels“ abgestimmt.

Grafik zum geplanten Seekorridor
Grafik: APA/ORF

Fallschirm versagt bei Hilfslieferung

Die Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) sammelt derzeit in Larnaka mit Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate Lebensmittel für die Menschen in Gaza. Ein Pilotversuch könnte womöglich noch im Laufe des Tages vom Hafen von Larnaka aus gestartet werden. Unklar blieb, wo die Hilfsgüter von den Schiffen an Land gebracht werden sollen.

Bei Hilfslieferungen aus der Luft für die Menschen im Gazastreifen gab es am Freitag einen tragischen Unfall. Fünf Menschen wurden von einer vom Himmel stürzenden Ladung erschlagen, weil sich der Fallschirm nicht richtig geöffnet hatte, wie das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium mitteilte. Auf Videos in sozialen Netzwerken war zu sehen, wie das große Hilfspaket praktisch ungebremst zu Boden stürzte. Mehrere Menschen seien zudem verletzt worden.

USA planen temporären Hafen

Zypern bemüht sich seit Monaten, Hilfslieferungen per Schiff in den Gazastreifen zu leiten. Im Jänner war erstmalig ein Schiff auf den Weg gebracht worden, das allerdings in Ägypten anlegen musste, weil die Häfen entlang des Gazastreifens keinen ausreichenden Tiefgang für große Schiffe bieten.

Um dieses Problem zu lösen, will das US-Militär zusammen mit internationalen Partnern einen temporären Hafen für größere Schiffe an der Küste des Palästinensergebiets einrichten. Das hatte US-Präsident Joe Biden in seiner Rede zur Lage der Nation angekündigt. Die Kapazität soll Hunderte zusätzliche Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern pro Tag ermöglichen. Der Bau des Hafens soll laut US-Angaben bis zu zwei Monate dauern.

Übergangslösung geplant

Bis der Hafen steht, soll es Übergangslösungen geben. Die Hilfslieferungen könnten zum Beispiel vor der Küste auf kleinere Boote umgeladen oder erst nach Israel oder Ägypten transportiert und von dort weitergeleitet werden. Dass die Hilfslieferungen über einen EU-Hafen laufen, soll verhindern, dass andere Güter wie Waffen für die Terrororganisation Hamas in den Gazastreifen geschmuggelt werden. Zudem wurde Israel aufgefordert, mehr Grenzübergänge für Hilfslieferungen zu öffnen.

Israel begrüßte den geplanten Hilfskorridor. Die Initiative werde „die Ausweitung der humanitären Hilfe für den Gazastreifen ermöglichen“, erklärte Außenministeriumssprecher Lior Haiat im Onlinedienst X (Twitter). Auch die auf diesem Weg gelieferten Hilfsgüter sollen demzufolge „einer Sicherheitskontrolle nach israelischen Standards“ unterzogen werden.

UNO: „Kriegsverbrechen“ im Westjordanland

Nach der Kritik am „Gemetzel“ im Gazastreifen gab es am Freitag erneut Kritik von Türk, nun wegen der israelischen Siedlungen im besetzten palästinensischen Westjordanland. Die Errichtung und der Ausbau der Siedlungen laufe darauf hinaus, dass Israel die eigene Zivilbevölkerung in die von ihm besetzten Gebiete verlege, sagte Türk im UNO-Menschenrechtsrat, „was nach dem Völkerrecht ein Kriegsverbrechen darstellt“.

Türk stellte seinen periodischen Bericht über die Lage in den besetzten palästinensischen Gebieten über den Zeitraum November 2022 bis Oktober 2023 vor. In der Zeit seien gut 24.000 neue Wohneinheiten vorangetrieben worden, so viele wie nie in einem einzelnen Jahr seit 2017. Vergangenes Jahr hatte das UNO-Menschenrechtsbüro die Zahl der israelischen Siedlerinnen und Siedler im Westjordanland mit etwa 700.000 beziffert.

Kritik an Gewalt von Siedlern und „Staatsgewalt“

Der Hochkommissar kritisierte auch den jüngsten Beschluss in einem israelischen Planungsausschuss, den Bau von mehr als 3.426 neuen Wohneinheiten voranzutreiben. Er verurteilte zudem Gewalt von Siedlern und „Staatsgewalt“ gegen Palästinenser, Vertreibungen und die Zerstörung palästinensischer Häuser. Diese hätten „ein schockierendes Ausmaß erreicht und bergen die Gefahr, dass jede praktische Möglichkeit zur Errichtung eines lebensfähigen palästinensischen Staates zunichtegemacht wird“.

Seit dem Terrorüberfall palästinensischer Terroristen aus dem Gazastreifen auf Israel am 7. Oktober habe es gut 600 Angriffe von Siedlern gegeben. 396 Palästinenser seien seitdem von israelischen Sicherheitskräften getötet worden, neun von Siedlern. Bei zwei Todesfällen sei unklar, wer dafür verantwortlich war. „Der einzige Weg nach vorne ist eine tragfähige politische Lösung, die die Besatzung endlich beendet, einen unabhängigen palästinensischen Staat errichtet und die Verwirklichung der Grundrechte des palästinensischen Volkes garantiert“, sagte Türk.

Israel sieht eigene Opfer ignoriert

Die israelische Botschaft warf Türk in einer Reaktion vor, das Leid der Israelis zu ignorieren. Im vergangenen Jahr seien 36 Israelis im Westjordanland durch Gewalt von Palästinensern umgekommen. „Menschenrechte sind universell, jedoch werden israelische Opfer von palästinensischem Terrorismus vom UNO-Menschenrechtsbüro immer wieder ignoriert.“

Auch das Außenministerium in Wien verurteilte die Genehmigung zusätzlicher Wohnungen und forderte Israel auf, die „unnötige Provokation“ zurückzunehmen. Siedlungen seien nach internationalem Recht illegal, würden ein „Hindernis für jegliche Verhandlungen“ darstellen und die Tragfähigkeit der Zweistaatenlösung untergraben, schrieb das Außenamt am Freitag auf X (Twitter).