Hand mit Handschellen
ORF.at/Zita Klimek
OGH-Präsident zu Strafmündigkeit

„Wegsperren allein nicht die Lösung“

Zuletzt haben wiederholt schockierende Verbrechen Jugendlicher für Aufsehen gesorgt, die ÖVP hat eine Debatte über eine Herabsetzung des strafmündigen Alters angestoßen. Der neue Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH), Georg Kodek, sprach sich am Samstag jedoch für Vorsicht aus. „Wegsperren allein kann nicht die Lösung sein“, so Kodek zu Ö1, und die Strafjustiz könne gesellschaftlich Versäumtes nicht nachholen.

Der Fall eines zwölfjährigen Mädchens in Wien, das von 17 beschuldigten Jugendlichen wiederholt missbraucht worden sein soll, hat in ganz Österreich für Entsetzen gesorgt – mehr dazu in wien.ORF.at. Am Sonntag wurde bekannt, dass in Salzburg mehrere Jugendliche zwei Mädchen, 15 und 16 Jahre alt, vergewaltigt haben sollen – mehr dazu in salzburg. ORF.at. In beiden Fälle handelt es sich mutmaßlich um Gruppenvergewaltigungen, in beiden Fällen sollen die Taten per Handy aufgenommen worden sein.

Tatsächlich stieg die Zahl aller unter 18 Jahre alten Tatverdächtigen in den letzten zehn Jahren deutlich. Die Zahl der verurteilten Jugendlichen im selben Zeitraum sank aber. Das sei unter anderem auf verstärktes Anzeigenverhalten zurückzuführen, sagte Heinz Holub-Friedreich vom Bundeskriminalamt am Sonntag zum Ö1-Morgenjournal.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schlug vergangene Woche vor, das Strafalter auf unter 14 Jahre zu senken, wenn Jugendliche Delikte wie Vergewaltigungen und schwere Körperverletzungen begehen. Eine Arbeitsgruppe soll sich nun die unterschiedlichen Altersgrenzen in Europa anschauen und Erfahrungsberichte sammeln, so die ÖVP.

Prävention soll früher ansetzen

In die Reihe der Expertinnen und Experten, die dem Vorschlag skeptisch gegenüberstehen, reihte sich am Sonntag auch OGH-Präsident Kodek. Als Jurist mahne er „zur Vorsicht und Besonnenheit“, viele Länder hätten so wie Österreich die Grenze zur Strafmündigkeit bei 14 Jahren. „Wir stehen ganz am Anfang der Diskussion, ich warne vor überzogenen Erwartungen“, sagte Kodek „Im Journal zu Gast“ auf Ö1.

Das Strafrecht könne, „wenn überhaupt“, nur ein kleiner Teil der Lösung sein. Es brauche Veränderung an vielen Stellen, etwa verstärkte Betreuung durch psychologisches Fachpersonal und Integrationsberater. „Wenn aber bestimmte Werte zu Hause oder in der sozialen Umgebung nicht vermittelt werden, dann tun wir uns als Gesellschaft sehr schwer, das von außen nahezubringen.“

Präsident des Obersten Gerichtshofs Georg Kodek
ORF/Lukas Krummholz
OGH-Präsident Georg Kodek

Spreche man mit Beschäftigten in Jugendämtern, höre man hinter vorgehaltener Hand, dass nur noch die Verwaltung von Problemfällen möglich sei. Geht es etwa um kleinere Vergehen von Jugendlichen, so würden diese zu einem „Normverdeutlichungsgespräch“ geladen und ermahnt.

„Es gibt Jugendliche, die darüber nur lachen“, so Kodek. Die Prävention müsse früher ansetzen, bei Kindergarten, Schule und dem gesamten Umfeld. Die Jugendlichen einfach wegzusperren, könne keine Lösung sein.

Skepsis auch bei anderen Verschärfungen

Zur Vorsicht mahnte Kodek auch bei Überlegungen, Umweltaktivistinnen und -aktivisten, die sich auf Straßen festkleben, stärker zu bestrafen. Nach Änderungen im Strafrecht solle man erst rufen, wenn andere Optionen nicht ausreichen, etwa sicherheitspolizeiliche. Bekomme man die Aktivisten aber ohnehin schnell wieder von der Straße weg, sei eine Strafrechtsänderung überzogen.

Auch die diskutierte Präventivhaft bei terrorverdächtigen Personen sei „eine Beruhigungspille“, so Kodek. Es dürften kaum Fälle dafür infrage kommen, wenn die Regelung tatsächlich verfassungskonform gestaltet werden könnte.

Dringenden Reformbedarf sieht Kodek ebenso wenig beim Weisungsrecht. Die Gefahr politischer Weisungen gebe es nicht: „In den letzten Jahren oder Jahrzehnten gibt es das nicht mehr“, so der OGH-Präsident. Statt der Einrichtung einer Generalstaatsanwaltschaft wäre es laut Kodek erwägenswert, für die wenigen Verfahren gegen Politiker einen Sonderankläger ähnlich wie in den USA einzusetzen. Dieser stehe außerhalb der Weisungshierarchie, „alle anderen Verfahren könnten wie bisher abgewickelt werden“. Eine Reform wünschte sich Kodek allerdings beim Kostenersatz für Beschuldigte bei Freisprüchen, er wollte sich aber auf keine konkrete Zahl festlegen. „Es wirkt derzeit der Kostenersatz oder genauer dessen Unzulänglichkeiten ein bisschen wie eine Verdachtsstrafe, das kann es im 21. Jahrhundert nicht sein.“