Menschen beim Meer in Rafah
Reuters/Mohammed Salem
Hilfe für Gaza

Einrichtung von Hafen wird dauern

In Gaza wird die humanitäre Lage zunehmend dramatisch, Hilfe wird dringend benötigt. Die von den USA geplante Einrichtung eines temporären Hafens zur Lieferung von Hilfsgütern braucht für ihre Umsetzung aber noch bis zu 60 Tage. Einstweilen werden Übergangslösungen gesucht, etwa ein Seekorridor von Zypern aus.

Rund zwei Monate könnte die Einrichtung des Hafens dauern, sagte am Freitag der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder. In der Zwischenzeit würden sich die USA um eine signifikante Ausweitung von Lieferungen auf dem Landweg bemühen, so Ryder. Das sei die effektivste Weise, um Hilfen in das Krisengebiet zu bringen. Auch die Abwürfe von Hilfsgütern aus der Luft gingen weiter.

Die israelische Armee erklärte sich bereit, zusammen mit den US-Streitkräften den Bau einer provisorischen Schiffsanlegestelle zu koordinieren. Humanitäre Hilfe könne dann nach entsprechender Inspektion durch Israel auf dem Seeweg nach Gaza gelangen, sagte Militärsprecher Daniel Hagari am Samstag. Die Verteilung der Hilfsgüter würden anschließend internationale Organisationen übernehmen.

Der Krieg gegen die Terrororganisation Hamas gehe unabhängig davon bis zur Zerschlagung ihrer militärischen Fähigkeiten weiter, fügte er hinzu. Die US-Regierung hatte am Donnerstag bekanntgegeben, angesichts der humanitären Notlage in Gaza einen temporären Hafen einrichten zu wollen, um Lebensmittel, Wasser und Medikamente in das Kriegsgebiet zu bringen.

Offene Frage zu Korridor der EU

Unabhängig von der Vorbereitung einer provisorischen Hafenanlage an der Küste des Gazastreifens arbeitet die internationale Gemeinschaft an der Etablierung eines Seekorridors, über den Hilfsgüter von Zypern ausgehend gazanahe Häfen in Ägypten oder Israel erreichen sollen. „Wir stehen jetzt kurz vor der Eröffnung des Korridors – hoffentlich diesen Samstag, diesen Sonntag“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag bei einem Treffen mit dem zypriotischen Präsidenten Nikos Christodoulidis.

Allerdings gibt es viele offene Fragen des Weitertransports der Güter in den Gazastreifen, da Israel ein Wort mitzureden hat.

Wildner zu Hilfe auf dem Seeweg

ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner meldet sich aus Tel Aviv in Israel. Er spricht über den maritimen Hilfskorridor für die Menschen in Gaza, der laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon am Wochenende öffnen könnte.

Tödliche Fracht

Unterdessen zeigte sich die Problematik der Abwürfe von Hilfsgütern aus der Luft. Eine vom Himmel stürzende Ladung erschlug am Freitag fünf Menschen, weil sich der Fallschirm nicht richtig geöffnet hatte. Das bestätigte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium auf Anfrage eines dpa-Mitarbeiters am Unglücksort. Auf Videos in sozialen Netzwerken war zu sehen, wie das große Hilfspaket praktisch ungebremst zu Boden stürzte.

Die USA wiesen die Verantwortung für den Vorfall von sich. „Entgegen einiger Berichte war das nicht die Folge eines Abwurfs durch die USA“, erklärte das für die Region zuständige Militärkommando Central Command in der Nacht auf Samstag. „Wir sprechen den Familien jener, die ums Leben gekommen sind, unser Beileid aus.“ Auch Jordanien erklärte, nicht verantwortlich zu sein.

Hilfsorganisationen fordern eine wirksamere Versorgung auf dem Landweg und verweisen darauf, dass Israel die Einfahrt von Lastwagen in den Gazastreifen behindern würde. Israel bestreitet das und wirft den Hilfsorganisationen Ineffizienz bei der Verteilung der Güter vor.

UNRWA erhält wieder Gelder

Um die Zivilbevölkerung zu entlasten, nahmen am Samstag Schweden und Kanada ihre Zahlungen an das UNO-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) wieder auf. Man erkenne die Bemühungen des UNRWA an, auf die Vorwürfe gegen einige seiner Mitarbeiter einzugehen und Maßnahmen zu einer besseren Überwachung und Rechenschaftspflicht umzusetzen, hieß es.

Mehrere Länder, darunter auch Österreich, hatten ihre Zahlungen an das UNRWA eingestellt, nachdem die israelische Regierung im Jänner den Vorwurf erhoben hatte, etwa ein Dutzend der 13.000 Mitarbeiter der Organisation im Gazastreifen sei an dem Angriff der Hamas am 7. Oktober beteiligt gewesen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres nannte die Vorwürfe in der Vergangenheit glaubwürdig und versprach umfassende Aufklärung – zwei verschiedene Untersuchungen laufen.

Durch die ausbleibenden Zahlungen sieht der UNRWA-Chef das Hilfswerk vor dem Kollaps. „Die Agentur schwebt in Lebensgefahr, sie riskiert die Auflösung“, so Philippe Lazzarini zum Schweizer Sender RTS. Damit stehe das Schicksal der Palästinenser und Palästinenserinnen im Gazastreifen auf dem Spiel.

Verhärtete Fronten bei Waffenruheverhandlungen

Humanitäre Organisationen verlangen auch eine sofortige Waffenruhe, um der ausgebombten und notleidenden Zivilbevölkerung Erleichterung zu verschaffen. Indirekt geführte Gespräche über eine Feuerpause und eine Freilassung der israelischen Geiseln aus der Gewalt der Hamas waren am Donnerstag ohne Ergebnis unterbrochen worden. Sie sollen zu Wochenbeginn weitergehen. Die USA, die bei den Verhandlungen zusammen mit Ägypten und Katar vermitteln, machen die unnachgiebige Haltung der Hamas für das Ausbleiben einer Einigung verantwortlich.

Hamas-Sprecher Abu Obaida aber bekräftigte die Position der Islamisten. „Unsere höchste Priorität bei der Herbeiführung eines Gefangenenaustausches ist die verbindliche Zusage, dass die Aggression gegen unser Volk beendet wird und sich der Feind zurückzieht“, sagte er in einer Videobotschaft.

Der von Israel akzeptierte Vermittlervorschlag sieht hingegen eine sechswöchige Waffenruhe sowie den Beginn des Austausches von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen vor. Erst während dieser Waffenruhe soll über Schritte verhandelt werden, die zu einer dauerhaften Einstellung der Kämpfe führen. Israel zeigt bisher keine Bereitschaft, von diesem Stufenplan abzurücken.

Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu warf der Hamas am Samstag eine Blockadehaltung in den Verhandlungen vor. Israel stehe weiterhin in Kontakt mit den Vermittlern, um „die Differenzen zu verringern und eine Einigung zu erreichen“, doch die Hamas sei daran offenbar nicht interessiert, hieß es.

Biden ungeduldig

Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, verlieren zunehmend die Geduld. „Es sieht schwierig aus“, sagte US-Präsident Joe Biden am Freitag mit Blick auf eine Feuerpause. Er hatte am Vorabend im US-Kongress zu einer „sofortigen“ sechswöchigen Waffenruhe aufgerufen.

Biden hatte die unnachgiebige Haltung Netanjahus in seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag scharf kritisiert. „Der Führung in Israel sage ich Folgendes: Humanitäre Hilfe darf keine zweitrangige Überlegung oder ein Druckmittel sein. Der Schutz und die Rettung unschuldiger Leben müssen Priorität haben.“

Sorge vor Gewalt im Ramadan

Viele hatten auf eine Einigung für eine Feuerpause zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas vor dem Ramadan, der am Sonntag beginnt, gehofft. Die Sorge vor einer Zunahme gewalttätiger Konflikte in Jerusalem und im israelisch besetzten Westjordanland ist nun groß, zumal die Hamas ihre Anhänger dazu aufgerufen hatte, in Scharen zur Al-Aksa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg zu marschieren. „Möge sich der gesegnete Monat Ramadan (…) zur maximalen Flutwelle auf den Straßen und Fronten innerhalb und außerhalb Palästinas auswachsen“, so Obaida. Den Überfall auf Israel am 7. Oktober nennt die Hamas „Al-Aksa-Flutwelle“.