US-Präsident Joe Biden
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Biden

Netanjahus Kriegsführung „schadet“ Israel

US-Präsident Joe Biden sieht nach eigenen Angaben mehr Schaden als Nutzen für Israel in der Kriegsführung des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu. In einem Interview mit dem US-Sender MSNBC am Samstag (Ortszeit) sagte Biden, dass Netanjahu mit seinem Vorgehen Israel „mehr schadet als hilft“. Doch einmal mehr wurde klar, dass der US-Präsident zwischen den Stühlen steht.

Der israelische Ministerpräsident habe „ein Recht, Israel zu verteidigen, ein Recht, die Hamas weiterzuverfolgen“, sagte Biden. Er müsse aber „den unschuldigen Menschen, die als Folge der ergriffenen Maßnahmen ums Leben kommen, mehr Aufmerksamkeit schenken“.

Zu einem möglichen israelischen Militäreinsatz in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens, in die etwa 1,5 Millionen Menschen geflüchtet sind, äußerte sich Biden nicht eindeutig. „Es ist eine rote Linie“, sagte der 81-Jährige und fügte sofort hinzu, er werde Israel niemals im Stich lassen. Die Verteidigung Israels bleibe sehr wichtig.

Biden verstrickte sich in Widersprüche: Es gebe keine rote Linie, bei der er die Waffenlieferungen vollständig einstellen wolle, sodass die Israelis nicht das Raketenabwehrsystem Iron Dome zum Schutz hätten, sagte Biden weiter. Er fuhr jedoch fort: „Es gibt rote Linien“, es dürfe nicht noch weitere 30.000 tote Palästinenser und Palästinenserinnen geben.

„Schutz und Rettung Unschuldiger müssen Priorität haben“

Biden machte keinen Hehl mehr aus seiner Frustration über Netanjahu. In seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag hatte er dessen unnachgiebige Haltung scharf kritisiert. „Der Führung in Israel sage ich Folgendes: Humanitäre Hilfe darf keine zweitrangige Überlegung oder ein Druckmittel sein. Der Schutz und die Rettung unschuldiger Leben müssen Priorität haben.“

Zerstörte Gebäude in Rafah
Reuters/Mohammed Salem
Schon jetzt sind viele Gebäude in Rafah völlig zerstört

Der US-Präsident will in diesem Jahr wiedergewählt werden und gerät wegen seiner Unterstützung für Israel zunehmend unter Druck. Vor seiner Rede vor dem Kongress fand eine propalästinensische Demonstration statt, deren Teilnehmende Biden Völkermord vorwarfen.

Angriff im Süden Gazas

Die israelische Armee griff am Sonntag Ziele im südlichen Teil des Gazastreifens an. Nach Angaben der von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Behörde wurden dabei insgesamt mindestens 85 Palästinenser und Palästinenserinnen getötet, darunter mindestens 13 durch Geschoße, die in einem Flüchtlingslager zwischen den im Süden des Gebiets gelegenen Städten Chan Junis und Rafah einschlugen. Die israelische Armee meldete ihrerseits 30 getötete palästinensische Kämpfer im Zentrum des Gazastreifens und in Chan Junis.

Israel geht seit dem beispiellosen Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, aber als plausibel gelten, bisher mehr als 31.000 Menschen in dem Küstenstreifen getötet. 72.654 Palästinenserinnen und Palästinenser seien zudem verletzt worden, teilte die Behörde am Sonntag mit.

Wasserwerfer gegen Demonstrierende in Tel Aviv

Bei dem Überfall der Hamas hatten Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Palästinensergruppe israelischen Angaben zufolge etwa 1.160 Menschen getötet sowie rund 250 als Geiseln verschleppt. Rund 100 von ihnen gelten noch als vermisst.

Am Samstagabend gingen Tausende Demonstrierende erneut für die Freilassung der Geiseln auf die Straßen in Tel Aviv und forderten den Rücktritt von Netanjahu. Mit T-Shirts und Bannern, auf denen die Namen und Bilder der aus Israel in den Gazastreifen entführten Geiseln prangten, forderten sie ein zügiges Handeln zur Rettung der verbliebenen Verschleppten.

Die Beamten setzten Wasserwerfer gegen eine Menschenmenge ein, die eine Autobahn blockierte. Die Polizei sagte später, 16 Menschen wegen Störung der öffentlichen Ordnung festgenommen zu haben. Einige der Demonstrierende forderten einen unverzüglichen Waffenstillstand – eine Forderung, die Netanjahus Regierung bisher zurückwies. Sie gibt an, dass das einem Sieg der radikalislamischen Hamas gleichkomme.