Papst Franziskus
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„Mut zur weißen Fahne“

Papst sorgt für Empörung in Ukraine

Mit seiner Aufforderung an Kiew zum „Mut zur weißen Fahne“ hat Papst Franziskus für einen Eklat gesorgt. Aus der Ukraine kamen scharfe Kritik und erboste Reaktionen. Dem Pontifex wurde vorgeworfen, sich mit seinen Aussagen auf die Seite des Aggressors Russland zu stellen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies die Aussagen des Papstes scharf zurück. Die Kirche sei bei den Menschen, sagte Selenskyj am Sonntag in seiner allabendlichen Videoansprache. „Und nicht zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich vernichten will.“

„Als das russische Böse am 24. Februar diesen Krieg begann, standen alle Ukrainer auf, um sich zu verteidigen. Christen, Muslime, Juden – alle“, sagte Selenskyj. Und er danke jedem ukrainischen Geistlichen, der in der Armee, in den Verteidigungsstreitkräften sei. Sie stünden an der vordersten Front, sie schützten das Leben und die Menschlichkeit, sie unterstützten mit Gebeten, Gesprächen und Taten. „Das ist es, was die Kirche ist – bei den Menschen.“

„Kleingläubiger“ Franziskus

Der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andrij Jurasch, fragte auf X (Twitter), ob im Zweiten Weltkrieg jemand mit Hitler ernsthaft über Frieden gesprochen und die weiße Fahne geschwenkt habe, um ihn zu befrieden. Der ehemalige ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, nannte Franziskus einen „Kleingläubigen“.

Mit Blick auf Moskau und den russischen Präsidenten Wladimir Putin fügte Jurasch laut Kathpress und Katholischer Nachrichtenagentur hinzu, die Lektion aus der Geschichte sei: „Wenn wir den Krieg beenden wollen, müssen wir alles tun, um den Drachen zu töten!“

Kritik auch aus Polen und Deutschland

Polens Außenminister Radoslaw Sikorski twitterte: „Wie wäre es, wenn man zum Ausgleich Putin ermutigt, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine abzuziehen? Dann würde sofort Frieden einkehren, ohne dass Verhandlungen nötig wären“, schrieb Sikorski am Sonntag auf X.

Auch in Deutschland stieß die Äußerung des Papstes auf scharfe Kritik. „Wer von der Ukraine verlangt, sich einfach zu ergeben, gibt dem Aggressor, was er sich widerrechtlich geholt hat, und akzeptiert damit die Auslöschung der Ukraine“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne). Auf Distanz ging auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter: „Unglaublich, das Oberhaupt der katholischen Kirche stellt sich auf die Seite des Aggressors“, schrieb er auf X.

Vatikan versucht, Aussage einzufangen

Unterdessen versuchte der Vatikan, die umstrittenen Äußerungen des Papstes einzuordnen. Das zum Heiligen Stuhl gehörende Onlineportal Vatican News verbreitete am Sonntag in mehreren Sprachen, darunter auch Ukrainisch, einen Bericht über eine entsprechende Erklärung von Vatikan-Sprecher Matteo Bruni. Darin präzisierte Bruni, der Papst habe damit „vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben“ wollen.

Die Samstagabend von Medien verbreiteten Papst-Worte stammen aus einem Interview des katholischen Kirchenoberhauptes mit dem italienischsprachigen Schweizer Rundfunk RSI, das am 20. März in voller Länge ausgestrahlt werden soll. Mit den Aussagen, wonach die Ukraine „den Mut zur weißen Flagge und zu Verhandlungen“ haben solle, habe der Pontifex das Bild der weißen Fahne aufgegriffen, das der Interviewer eingeführt habe, sagte Vatikan-Sprecher Bruni.

Sinn der Aussage sei, dass Franziskus sich eine „diplomatische Lösung für einen gerechten und dauerhaften Frieden“ wünsche. „An anderer Stelle des Interviews, in dem er von einer anderen Konfliktsituation spricht, sich aber auf jede Kriegssituation bezieht, stellte der Papst weiter klar, dass eine Verhandlung ‚niemals eine Kapitulation‘ ist“, zitierte das Portal den Vatikan-Sprecher.

Die Worte des Papstes

In dem Interview fragte der Journalist Lorenzo Buccella den Papst: „In der Ukraine gibt es diejenigen, die den Mut zur Kapitulation, zur weißen Fahne, fordern. Aber andere sagen, dass das die Stärksten legitimieren würde. Was sagen Sie dazu?“ Darauf antwortete Franziskus: „Das ist eine Interpretationsweise. Aber ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut zur weißen Flagge hat, zu Verhandlungen. Und heute kann man mit der Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort ‚verhandeln‘ ist ein mutiges Wort.“

Weiters sagte der Papst in dem Interview: „Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln. Du schämst dich, aber wie viele Tote wird es am Ende geben? Verhandle rechtzeitig, suche ein Land, das vermittelt. Heute, zum Beispiel im Krieg in der Ukraine, gibt es viele, die vermitteln wollen. Die Türkei hat sich dafür angeboten. Und andere. Schämt euch nicht zu verhandeln“, so das Kirchenoberhaupt weiter.

Moskau und Kiew lehnen Verhandlungen ab

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte sich am Freitag erneut als Gastgeber für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine angeboten. Das NATO-Mitglied Türkei hat seit Beginn des Krieges seine Kontakte sowohl zur Ukraine als auch zu Russland aufrechterhalten.

Jedoch legte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan Nachdruck auf seinen Friedensplan. Dieser sieht unter anderem einen vollständigen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine und die Wiederherstellung der ukrainischen Staatsgrenzen vor. Russland lehnte Friedensgespräche zu von Kiew festgelegten Bedingungen ab.

In dem seit mehr als zwei Jahre dauernden Krieg gerät Kiew zunehmend unter Druck. Den ukrainischen Soldaten an der Front geht die Munition aus – unter anderem wegen der Verzögerung weiterer Militärhilfe aus den USA. Russland dagegen konnte jüngst neue Gebiete unter seine Kontrolle bringen, darunter die hart umkämpfte Stadt Awdijiwka.