Haitis Regierungschef Ariel Henry
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Bandengewalt in Haiti

Premier Henry kündigt Rücktritt an

Nach der Gewalteskalation in Haiti hat Interimspremierminister Ariel Henry seinen Rücktritt angekündigt. Banden, die große Teile des Karibikstaates und fast die gesamte Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren, hatten seinen Rücktritt gefordert. Henry, der seit Wochen im Ausland festsitzt, gab nun nach: Er werde nach der Einsetzung eines Übergangsrats sein Amt niederlegen.

Haiti brauche Frieden und Stabilität, sagte Henry in einer in der Nacht auf Dienstag veröffentlichten Videobotschaft. Es soll ein siebenköpfiger Präsidialrat gegründet werden, der den Übergang hin zu Wahlen anleitet und einen neuen Interimspremierminister bestimmt, wie Guyanas Präsident Mohamed Irfaan Ali kurz zuvor nach einem Treffen der Regierungschefs karibischer Staaten in Jamaika mitgeteilt hatte.

Sobald das geschehen sei, lege er das Amt nieder, so Henry. US-Außenminister Antony Blinken sagte, der Rat habe die Aufgabe, die Grundversorgung der Haitianerinnen und Haitianer sicherzustellen und die Bedingungen für freie Wahlen zu schaffen. Henry könne im US-Außengebiet Puerto Rico bleiben, wo er sich derzeit aufhält.

Haitis Regierungschef Ariel Henry
Reuters/Ralph Tedy Erol
Die Lage in Haiti ist vollends eskaliert

Auf Videos, die in sozialen Netzwerken in Haiti verbreitet wurden, waren nach der Ankündigung Feiernde auf der Straße zu sehen. Menschen tanzten in einer Partyatmosphäre mit Musik auf den Straßen, Feuerwerkskörper wurden in den Nachthimmel geschossen.

Wahlen immer wieder verschoben

Henry hatte am 20. Juli 2021, rund zwei Wochen nach der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moise, als Interimspremierminister die Regierungsgeschäfte in Haiti übernommen. Moise hatte ihn keine 36 Stunden vor seinem Tod zum siebenten Premierminister seiner Amtszeit erkoren. Allerdings hatte Henry das Amt vor dem Attentat noch nicht angetreten.

Unter der Ägide des 74-jährigen Neurochirurgen wurden Wahlen mit Verweis auf die Sicherheitslage mehrmals verschoben und bis heute nicht nachgeholt. Das völlig verarmte Land mit rund elf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern hat derzeit keine gewählten nationalen Amtsträger – weder einen Präsidenten noch ein Parlament.

Bandenchef: „Machen eine blutige Revolution“

Kriminelle Banden kontrollierten nach UNO-Angaben schon vor Beginn der aktuellen Gewaltwelle etwa 80 Prozent von Port-au-Prince. Seit Ende Februar ist die Lage vollends eskaliert, inzwischen gilt ein landesweiter Ausnahmezustand. Die zwei mächtigsten Banden schlossen sich zusammen und forderten Henrys Rücktritt – andernfalls werde es zu einem Bürgerkrieg kommen, drohte der Bandenchef Jimmy „Barbecue“ Cherizier.

Haitis Regierungschef Ariel Henry
AP/Odelyn Joseph
In Port-au-Prince wurde gegen den Interimspremier heftig protestiert

Bandenmitglieder legten große Teile Haitis mit ihrer Gewalt lahm: Sie griffen unter anderem Polizeistationen und Flughäfen an, seit mehr als einer Woche gehen keine Flüge von und nach Haiti mehr. Auch wurden mehr als 4.500 Häftlinge gewaltsam aus Gefängnissen befreit. Diplomaten der EU und der USA haben Haiti inzwischen verlassen.

Cherizier hatte gedroht, Hotelbesitzer zu verfolgen, die Politiker verstecken oder mit Henry zusammenarbeiten. „Wir befinden uns nicht in einer friedlichen Revolution. Wir machen eine blutige Revolution in diesem Land, denn dieses System ist ein Apartheidsystem, ein böses System“, sagte Cherizier. Die USA gehen davon aus, dass die Banden große Waffenarsenale angehäuft haben.

Henry sitzt im Ausland fest

Die jüngste Eskalation der Ereignisse fiel mit einer Auslandsreise Henrys zusammen, die ihn erst nach Guyana und dann am 1. März nach Kenia führte – das ostafrikanische Land hatte sich bereiterklärt, eine vom UNO-Sicherheitsrat genehmigte Sicherheitsmission in Haiti anzuführen. Zuletzt flog er am 5. März nach Puerto Rico, nachdem ihm die an Haiti grenzende Dominikanische Republik keine Landeerlaubnis erteilt hatte. Der dominikanische Präsident Luis Abinader erklärte Henry aus Sicherheitsgründen zur Persona non grata.

Der Druck auf Henry, sein Amt niederzulegen, wurde immer größer. Die USA, denen viele Haitianer und politische Experten nachsagen, Henry bisher an der Macht gehalten zu haben, forderten ihn auf, den politischen Übergang hin zu Wahlen zu beschleunigen. Am Montag nahm Blinken am Caricom-Treffen in Kingston teil und sprach von einer unhaltbaren Situation für die Haitianer. Der nun zu gründende Präsidialrat soll sich laut Ali aus Vertretern der haitianischen Gesellschaft und Politik zusammensetzen.

USA sagen weitere 100 Millionen Dollar zu

Bei dem Krisentreffen in Kingston sagte Blinken außerdem, finanzielle Zusagen der USA für eine multinationale Sicherheitsmission um 100 Millionen auf 300 Millionen Dollar (rund 274 Mio. Euro) zu erhöhen. Er sagte weiters 33 Millionen Dollar an humanitärer Hilfe für Haiti zu. Die eskalierende Bandengewalt schaffe in Haiti eine „unhaltbare Situation“, so Blinken.

Haiti: Premier Henry kündigt Rücktritt an

Nach der Gewalteskalation in Haiti hat Interimspremierminister Ariel Henry seinen Rücktritt angekündigt. Banden, die große Teile des Karibikstaates und fast die gesamte Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren, hatten seinen Rücktritt gefordert.

„Wir alle wissen, dass dringendes Handeln sowohl auf politischer Ebene als auch auf der Sicherheitsebene notwendig ist.“ Der US-Außenminister sagte zugleich: „Nur die Bevölkerung Haitis kann über ihre Zukunft entscheiden – niemand anderes.“ Der UNO-Sicherheitsrat hatte die Mission zur Unterstützung der haitianischen Polizei im Kampf gegen kriminelle Banden bereits im Oktober genehmigt.