Ein Lkw-Fahrer schläft in der Fahrerkabine
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Von Job bis Geschlecht

Warum Schlaf politisch ist

Schlaf ist nicht nur überlebensnotwendig, sondern auch politisch. Das betonen Fachleute anlässlich des Weltschlaftags am Freitag. Die Art der Arbeit und die soziale Herkunft spielen beim Thema Schlafgesundheit eine bedeutende Rolle – doch auch nach Geschlecht und Ethnie tun sich Unterschiede auf. Die beiden Expertinnen Anna Heidbreder und Brigitte Holzinger warnen.

Von zu wenig und zu schlechtem Schlaf sind insbesondere sozial schwache Bevölkerungsschichten betroffen: Angehörige unterer sozialer Schichten hätten „viel häufiger Ein- und Durchschlafstörungen“, berichtet die Schlafmedizinerin Anna Heidbreder (Johannes-Kepler-Universität Linz) gegenüber ORF.at. Dafür gibt es mehrere Erklärungen, von Schicht- und Wechselarbeit bis hin zum Schaukeln mehrerer Jobs. „Das ist psychisch herausfordernd, körperlich herausfordernd und natürlich auch zeitlich herausfordernd“, sagt sie.

Eine in den USA durchgeführte YouGov-Umfrage von 2019 zeigt beispielsweise, dass Menschen mit einem Jahreseinkommen von weniger als 30.000 US-Dollar deutlich weniger Schlaf bekommen als jene darüber. Fast jeder bzw. jede Vierte schläft unter sechs Stunden. Zum Vergleich: In der Gruppe, die ein Jahreseinkommen zwischen 50.000 und 100.000 US-Dollar aufweist, schrumpft dieser Wert auf elf Prozent.

Expertin warnt vor Folgen der Schichtarbeit

Menschen im Schicht- und Wechseldienst seien „ab einem gewissen Alter gesundheitsgefährdet, müssen aber trotzdem bis 60, 65 arbeiten“, betont die wissenschaftliche Leiterin des Masterlehrgangs Schlafcoaching der MedUni Wien, Brigitte Holzinger, im Gespräch mit ORF.at in dem Kontext. Die Forscherin, die Schichtarbeit ab 55 äußerst kritisch sieht, hält das Thema für unterschätzt.

Erwachsenen wird grundsätzlich zwischen sieben und neun Stunden Schlaf empfohlen, wobei Frauen laut Holzinger „tendenziell“ ein wenig mehr Schlaf benötigen als Männer. Die kurzfristigen Folgen von Unausgeschlafenheit sind vielfältig: Sie reichen von einer eingeschränkten Funktions-, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit über Gereiztheit bis hin zu Magen-Darm-Problemen. Chronische Folgen sind Heidbreder zufolge Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen bis hin zu demenziellen Erkrankungen. „Depressionen entwickeln sich leichter, und andere psychische Erkrankungen werden weniger gut abgefedert“, sagt Holzinger.

Frauen besonders von Schlafproblemen betroffen

Schlaflosigkeit gilt längst als Volkskrankheit: Eine repräsentative Umfrage der MedUni Wien von 2018 zeigt, dass hierzulande fast jeder beziehungsweise jede Zweite unter den Folgen eines nicht erholsamen Schlafs leidet. Anderen Daten zufolge ist knapp jeder oder jede Dritte von Schlafstörungen betroffen. Frauen berichten dabei häufiger von Unausgeschlafenheit und Schlafproblemen als Männer.

In Österreich hob das unter anderem eine Umfrage der Spectra-Marktforschung sowie eine weitere des Salzburger Schlafforschers Manuel Schabus hervor. Dahinter werden diverse Faktoren vermutet, etwa Unterschiede beim Schlaf-Wach-Rhythmus und hormonelle Fluktuationen. Außerdem verbringen Frauen nach wie vor mehr Zeit mit unbezahlter Care-Arbeit – auch das geht auf Kosten des Schlafs.

Zu den Facetten des „Gender Sleep Gap“ wurde in den vergangenen Jahren intensiv geforscht: Einer Umfrage der American Academy of Sleep Medicine zufolge würden Frauen (31 Prozent) viel häufiger von Unausgeschlafenheit berichten als Männer (17 Prozent).

Forschende der englischen Universität Warwick fanden anhand von Daten aus Deutschland heraus, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes in der Regel häufiger an Schlafstörungen leiden als Männer. Eine kürzlich erschienene britische Studie zu atypischen Arbeitsmustern (wie Schicht- oder Wochenendarbeit) und Schlaf kam zudem zu dem Schluss, dass der Zusammenhang zwischen langen Arbeitszeiten und kurzem Schlaf bei Frauen stärker ausgeprägt ist.

Ethnische Dimension des Schlafs

Beim Thema Schlafgerechtigkeit tut sich überdies eine ethnische Dimension auf, wie einige Untersuchungen zeigen. So gaben 20 Prozent der in den USA befragten Personen mit schwarzer Hautfarbe in der bereits erwähnten YouGov-Umfrage an, unter sechs Stunden zu schlafen. Bei den hispanischen Befragten lag der Wert bei 17 Prozent, bei Befragten mit weißer Hautfarbe bei 15 Prozent.

Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt eine 2022 veröffentliche Studie der US-Universität Yale: Die Forschenden analysierten Daten des National Health Interview Survey von 2004 bis 2018. „Im Jahr 2018 war der Prozentsatz der Menschen, die über eine kurze Schlafdauer berichteten, bei Schwarzen im Vergleich zu Weißen um elf Punkte höher“, heißt es da. 2004 ergab sich ein Unterschied von 7,5 Prozentpunkten. „Die anhaltenden Schlafunterschiede bei Schwarzen tragen möglicherweise zu dem anhaltend schlechteren Gesundheitszustand der Schwarzen bei“, erklärte Yale-Professor Harlan M. Krumholz.

Für Österreich könnten nach Ansicht von Heidbreder und Holzinger ähnliche Schlüsse gezogen werden. In einem im Oktober im Fachmagazin „Lancet Public Health“ erschienenen Artikel heißt es dazu: „Schlafmangel spiegelt im Allgemeinen das Niveau sozialer Benachteiligung oder Ausgrenzung wider; die sozialen Determinanten der Schlafgesundheit variieren zwischen und innerhalb der Länder oder Regionen.“ Thematisiert werden weiters die Folgen der Klimakrise. Hohe Temperaturen wirkten sich negativ auf die Schlafdauer aus, wovon ältere Menschen und Bewohner von Niedriglohnländern in wärmeren Klimazonen besonders betroffen sind.

Schlaf als „gesellschaftliche Ressource“

„Der Schlaf erscheint uns so privat, ist aber eine gesellschaftliche Ressource, die genutzt wird und einberechnet: Wir müssen schlafen, um arbeiten zu können, um fit zu sein für die Arbeit“, fasste die Historikerin Hannah Ahlheim („Der Traum vom Schlaf im 20. Jahrhundert“) gegenüber der deutschen Zeitung „taz“ bereits im Jahr 2018 zusammen. Und sie ergänzte: „Wir schlafen nicht zum Vergnügen, sondern um etwas leisten zu können. Und das ist überhaupt nicht mehr privat.“

Dem Grundbedürfnis Schlaf werde in der „immer schneller werdenden Zeit immer weniger nachgekommen“, sagt Heidbreder: „Wir haben vor 100 Jahren tatsächlich noch mehr Zeit mit Schlaf verbracht, als wir das heute tun.“ Der wohl größte Einschnitt erfolgte mit der Erfindung der Glühbirne im 19. Jahrhundert. „Damit war es möglich, die Nacht zum Tag zu machen und Menschen in großen Zügen in der Nacht arbeiten zu lassen“, sagt Schlafforscherin Holzinger. „Damit hat die Schichtarbeit begonnen und damit eben diese Hetze.“

Schlaf gehe zunehmend auf Kosten der Selbstoptimierung, sagt auch die Schlafmedizinerin Heidbreder. Kam der Mensch 1900 noch auf neun Stunden Schlaf, so waren es Heidbreder zufolge 1975 nur noch 7,5 Stunden und 2000 knapp sieben Stunden Schlaf – Tendenz weiter fallend. „Der Trend ist klar“, so Heidbreder. Die beiden Forscherinnen sehen angesichts dessen die Politik in der Pflicht. Neben mehr Prävention und Aufklärung führen diese auch ein verstärktes Angebot an arbeitsmedizinischen Untersuchungen sowie Änderungen beim Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetz ins Treffen.