Menschen zwischen zerstörten Häusern in Rafah, Gazastreifen
IMAGO/Xinhua/Khaled Omar
„Katastrophe“

Türk warnt vor Militäraktion in Rafah

Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, warnt im Fall einer israelischen Militäroffensive in Rafah im Süden des Gazastreifens vor einer „Katastrophe“. In der ZIB2 sprach sich der österreichische Jurist am Donnerstag neuerlich für einen „Waffenstillstand aus humanitären Gründen“ aus. Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte zuvor bekräftigt, die Armee werde in Rafah eindringen.

„Ich weiß gar nicht, welche Worte ich noch verwenden soll. Aber das wäre undenkbar“, sagte Türk über die mögliche Militäroffensive in Rafah. Er erinnerte daran, dass in der Stadt 1,5 Mio. Menschen auf engem Raum leben. Zur israelischen Ankündigung, die Zivilbevölkerung vor einem Angriff in sichere Zonen zu bringen, sagte Türk, der Gazastreifen sei eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt.

Vor allem der Norden sei großteils zerstört. Er wisse nicht, wo die Menschen „noch Schutz finden können“, besonders jene, die schon mehrmals vertrieben worden seien, so Türk. Den Vereinten Nationen seien solche „Pläne“ zur Evakuierung nicht bekannt, und „es scheint mir fast unmöglich, so etwas durchzuführen“. Türk verwies auf die Warnung aus vielen Staaten und die schweren Bedenken der USA, die Israels engster Verbündeter sind.

UNO-Hochkommissar zur humanitären Lage in Gaza

Israel kündigt trotz internationaler Proteste wegen der verheerenden humanitären Lage einen Angriff auf die Stadt Rafah im Gazastreifen an. Der österreichische UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, bezeichnete die Lage in Gaza als verheerend.

Netanjahu hielt am Donnerstag an der Offensive fest. „Es gibt internationalen Druck, um uns daran zu hindern, nach Rafah einzudringen und die Arbeit abzuschließen.“ Er weise diesen Druck seit Monaten zurück und werde das weiter tun. „Wir werden nach Rafah vordringen“, bekräftigte er. „Wir werden die Zerstörung der Hamas-Bataillone abschließen.“ Ziel sei es, die Sicherheit wiederherzustellen und einen „totalen Sieg für das israelische Volk und den Staat Israel“ zu erlangen.

Humanitäre Lage „äußerst prekär“

Die humanitäre Situation im Gazastreifen sei „äußerst prekär“, sagte Türk. Vor allem im Norden sei es „fast unmöglich, zu wirklicher humanitärer Hilfe zu gelangen“. Die Bevölkerung leide unter extremen Bedingungen. Was im Gazastreifen gebraucht werde, sei humanitäre Hilfe, „aber die kommt nicht in dem Ausmaß hinein, wie es notwendig ist“, so Türk.

Israel hatte den Vorwurf in den vergangenen Tagen abermals zurückgewiesen. 16.000 Lkws seien seit Kriegsbeginn in den Gazastreifen eingefahren, teilte die für Kontakte mit den Palästinenserinnen und Palästinensern und humanitäre Hilfe zuständige israelische Behörde Cogat mit. Nur 1,5 Prozent der Lastwagen seien nicht zugelassen worden.

Hungergefahr vor allem im Norden

Ein israelischer Armeesprecher hatte im Zusammenhang mit den humanitären Hilfslieferungen von einer Flut von Falschmeldungen gesprochen. Nach seinen Angaben gelangen Hilfslieferungen in den Küstenstreifen. Das Problem sei die Verteilung der Güter, was Aufgabe der UNO sei.

Türk wies die Aussagen in der ZIB2 zurück. Die Verteilung erfolge an Ort und Stelle durch UNO-Organisationen, „wenn sie denn noch tätig sein können“, und von Nichtregierungsorganisationen. Das wichtigste sei aber, „dass die Hilfe hineinkommt“ und nicht von einem Moment auf den anderen abgeschaltet werde.

IsIsraelische Sicherheitskräfte vor einem Lkw mit Hilfsgütern am Grenzübergang Kerem Shalom
APA/AFP/Jack Guez
Türk erneuerte seine Kritik, Israel lasse zu wenig humanitäre Hilfe für Gaza durch

Türk blieb bei der seiner Kritik, dass Israel Hilfslieferungen nicht im notwendigen Ausmaß zulasse. Zur Aussage des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Hunger werde im Gaza-Krieg als „Waffe“ eingesetzt, sagte Türk, Unterernährung sei bereits vor Beginn des Krieges am 7. Oktober ein schweres Problem gewesen. In den vergangenen Monaten sei es „zu einer extremen Verschlechterung“ gekommen. Die Gefahr des Hungers sieht er vor allem im Norden Gazas, „wo der Zugang ganz besonders schwierig geworden ist“.

Ruf nach Waffenstillstand

Türk sprach sich in der ZIB2 erneut für einen „Waffenstillstand“ aus humanitären Gründen aus. Er hoffe, dass bei den aktuellen Verhandlungen darüber die „Vernunft durchbricht“. Israel hatte Türk vorgeworfen, das Leid der Israelis zu negieren. Bei der Terrorattacke der radikalislamischen Hamas auf Israel waren am 7. Oktober über 1.140 Menschen ermordet und 250 in den Gazastreifen verschleppt worden.

Humanitäre Lage im Gazastreifen prekär

In Israel verdichten sich die Anzeichen auf eine baldige Offensive in der Stadt Rafah. Die israelische Armee wird nach Worten des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Süden des Gazastreifens vordringen. Angesichts der schlimmen humanitären Lage und der vielen toten Zivilistinnen und Zivilisten gibt es inzwischen aus vielen Ländern Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs in Gaza.

„Es stimmt nicht, dass ich das Leid der Israelis nicht hervorgestrichen habe“, sagte der UNO-Beamte in der ZIB2. Er habe klar Stellung genommen und stets betont, die Terroraktionen der Hamas seien „fürchterlich, inakzeptabel und zu verurteilen“. Türk forderte die rasche und bedingungslose Freilassung der israelischen Geiseln.

„Es ist klar, dass Israel natürlich die eigene Bevölkerung schützen muss, aber es kann nur in dem Ausmaß geschehen, wie man internationales humanitäres Völkerrecht beachtet“, so Türk. Es gehe darum, „wie solche militärischen Maßnahmen gesetzt werden“. Dafür gebe es „Regeln, und die müssen eingehalten werden“, sagte Türk.