Arbeiterin in einer Textilfabrik in China#
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Mehrmals verschoben

EU-Staaten stimmen für Lieferkettengesetz

Die EU-Staaten haben sich am Freitag auf eine EU-Lieferkettenrichtlinie geeinigt. Das teilte die belgische Ratspräsidentschaft auf X (Twitter) mit. Eine Abstimmung unter den 27 EU-Mitgliedsstaaten war mehrmals verschoben worden, nachdem mehrere Staaten, allen voran Deutschland, Italien und Österreich, nicht zustimmen wollten. Nun scheint doch eine Einigung gefunden worden zu sein, um die nötige qualifizierte Mehrheit zu erreichen.

Laut mehreren Medienberichten machte das Einlenken Italiens den Weg für die Einigung frei. Allerdings wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie deutlich eingeschränkt. Sah die Einigung zwischen den EU-Staaten und dem EU-Parlament noch vor, dass die Richtlinie für Unternehmen ab 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Umsatz gelten soll, soll sie jetzt erst ab 1.000 Mitarbeitern und 450 Millionen Euro Umsatz gelten.

Zudem soll es keine gesonderten Regeln für Risikosektoren mehr geben, die Klagerechte der Zivilgesellschaft wurden eingeschränkt. Weiters ist in dem finalen Kompromisstext von einer „risikobasierten Sorgfaltspflicht“ die Rede. Bei Zulieferern aus als sicher geltenden Ländern müsste weniger genau hingeschaut werden. Das hatten Deutschland und Österreich immer wieder gefordert.

Deutschland, Österreich sowie acht andere Staaten hatten trotz allem noch Vorbehalte und sind somit überstimmt worden. Während Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter schäumen, freuen sich Befürworterinnen und Befürworter des Lieferkettengesetzes über die Einigung, kritisieren aber die dafür nötige Aufwässerung des Textes.

Kocher weiterhin mit Vorbehalten

„Bei der Lieferkettenrichtlinie wurden während der Verhandlungen in den letzten Wochen viele Verbesserungen erreicht, jedoch gibt es immer noch zu viele Vorbehalte, um dieser zustimmen zu können“, teilte ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher mit.

Die Grundziele der Richtlinie hinsichtlich des Schutzes von Menschenrechten und der Umwelt teile man uneingeschränkt, so Kocher, jedoch sei man der Meinung, dass die Ziele der Richtlinie besser und mit viel weniger bürokratischem Aufwand für Unternehmen erreicht werden könnten.

WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr bezeichnete die Einigung auf X als „nicht ideal“. Er habe sich „ein starkes Gesetz gewünscht, das bei den Lieferanten ansetzt, nicht bei den Lieferbeziehungen. Schade. Diese Lösung ist teuer und wenig effektiv.“

EU-Parlament am Zug

Nachdem die belgische Ratspräsidentschaft immer wieder neue Entschärfungen eingebracht hatte, um eine Einigung zu erzielen, und somit vom mit dem Europaparlament gefundenen Kompromiss abgewichen war, dürfte nun auch das EU-Parlament nochmals mitreden müssen.

Das EU-Lieferkettengesetz soll große Unternehmen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan vorlegen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderhitzung vereinbar sind.

ÖVP und NEOS kritisch, SPÖ und Grüne erfreut

„Alleine, dass noch so viele Länder der Richtlinie nicht final zustimmen konnten, zeigt, wie unausgereift das Gesetz ist“, bemängelt die ÖVP-EU-Abgeordnete Angelika Winzig. Gegen das Gesetz in seiner jetzigen Form ist auch NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos: „Ein Lieferkettengesetz, das insbesondere mittelständische Betriebe in Bürokratieketten legt, gefährdet Wohlstand und Arbeitsplätze und wirft uns nicht zuletzt auch im Kampf gegen die Teuerung weit zurück.“

EU-Lieferkettengesetz kommt gegen Österreichs Willen

Nach wochenlangen Diskussionen ist der Weg für das EU-Lieferkettengesetz frei, das Kinderarbeit und Umweltzerstörung in Lieferketten von Großbetrieben eliminieren soll. Deutschland und Österreich wurden überstimmt. Nun muss noch das EU-Parlament dem finalen Gesetzestext zustimmen.

Die SPÖ-EU-Abgeordnete und Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Evelyn Regner, begrüßte die Einigung. „Das sind gute Nachrichten, denn einerseits nehmen wir mit echten Sorgfaltspflichten endlich auch große Unternehmen in die Pflicht, für den Schutz von Beschäftigten und Umwelt entlang der gesamten Lieferkette zu sorgen“, schrieb sie in einer Aussendung, in der sie auch nicht mit Kritik an Kocher sparte.

Auch die grüne Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, Lena Schilling, zeigte sich erfreut über den gefundenen Kompromiss, „auch wenn der Kompromiss an manchen Stellen stark verwässert ist. Am Ende ist es eine gute Nachricht für den Umweltschutz und die Menschenrechte. Der erste Schritt ist getan, die Bremser sind gescheitert.“

ÖGB begrüßt Kompromiss

Freude gab es auch bei den Gewerkschaften. Mit der Einigung könne „der lange verhandelte Paradigmenwechsel von freiwilligen Selbstverpflichtungen hin zu verpflichtenden Regelungen, um Menschen-, Arbeits- und Gewerkschaftsrechte zu achten und die Umwelt zu schützen, endlich eingeleitet werden“, so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.

Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf unterstützt die Ziele der Richtlinie. Bei der nationalen Umsetzung dürfe es aber nicht zu einer „übermäßigen bürokratischen Belastung der Unternehmen“ kommen, so Kopf. „Wir dürfen auch nicht die akute Gefahr unterschätzen, dass sich europäische Unternehmen aus bestimmten Drittstaaten aus Sorge vor ausufernden Haftungsrisiken zurückziehen. Damit würde der Schutzzweck des EU-Lieferkettengesetzes unterlaufen werden.“

Kritik von Umweltorganisationen

Kritik kam von Umweltorganisationen. „Die Einigung an sich ist zwar ein Fortschritt, aber die vielen Verwässerungen der Richtlinie trüben das Gesamtbild deutlich. Das ist kein gutes Signal für die Umwelt und den Schutz der Menschenrechte“, kritisierte Teresa Gäckle von WWF Österreich.

Bei Global 2000 sah man einen Sieg von „Vernunft und Menschlichkeit gegen die Interessen der Konzernlobbys“. „Schwer enttäuschend ist jedoch, dass Wirtschaftsminister Kocher eine Zustimmung Österreichs blockiert hat“, so Anna Leitner, Expertin von Global 2000.

„Dass es dieses Feilschen in den letzten Wochen überhaupt gegeben hat, ist skandalös“, kommentierte Teresa Millesi, Vorsitzende der Katholischen Jungschar und deren Dreikönigsaktion. „Die neuerliche Verwässerung, um das EU-Lieferkettengesetz zu retten, schmerzt.“

IV: Entscheidung „unverantwortlich“

„Nicht nur hinsichtlich der eingeschränkten Effektivität der Richtlinie, sondern auch aufgrund der demokratiepolitischen Komponente, die hier mitschwingt: EU-Mitgliedsstaaten waren auf Zuruf der Industrielobby dazu bereit, die demokratischen Spielregeln der Europäischen Union infrage zu stellen“, kritisierte Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferkettenexperte der Entwicklungshilfe-NGO Südwind.

„Die heutige Entscheidung zur Lieferkettenrichtlinie ist unverantwortlich, die aktuelle Ausgestaltung sieht Regulatorien vor, die jenseits jeglicher unternehmerischer Realitäten stehen“, sagte dagegen der Chef der Industriellen Vereinigung (IV), Georg Knill. Er befürchte vor allem eine starke Belastung für kleine und mittlere Unternehmen.