Polizei beobachtet Wähler in Schlange
APA/AFP/Natalia Kolesnikova
Nach Protestaktionen

Festnahmen am letzten Wahltag in Russland

In Russland sind am dritten und letzten Tag der Präsidentschaftswahl am Sonntag offenbar etliche Menschen Protestaufrufen unterschiedlicher Initiativen gefolgt. Die hauptsächliche Variante war, in möglichst vielen Städten lange Warteschlangen vor Wahllokalen zu provozieren. Nach Berichten über Warnungen vor der Teilnahme an Protesten per SMS folgten nach Angaben der Opposition Festnahmen.

Offizielle Meldungen bzw. Zahlen zu den Festnahmen gab es keine, oppositionelle Gruppierungen wie die Menschenrechtsorganisation OWD-Info sprachen von mehr als 70 zumindest vorübergehenden Festnahmen bis zum frühen Nachmittag in insgesamt 17 russischen Städten, auch in der Hauptstadt Moskau, die meisten davon allerdings in der Stadt Kasan an der Wolga in Zentralrussland. Die 2011 gegründete Gruppe betreibt eine Website, auf der sie ungerechtfertigte Festnahmen dokumentiert.

Zu Protesten aufgerufen hatten unterschiedliche oppositionelle Initiativen. Ein Aufruf lautete, in der jeweiligen Zeitzone (es sind elf in ganz Russland) exakt um 12.00 Uhr wählen zu gehen, die entstehenden Warteschlangen vor den Wahllokalen sollten einen Eindruck davon geben, dass viele Menschen mit Präsident Wladimir Putin und seiner Politik nicht einverstanden sind.

SMS-Warnungen vor „Provokationen“

Festnahmen waren bereits im Vorfeld befürchtet worden, die Behörden warnten vor einer Teilnahme an der Aktion, in der sie „Anzeichen extremistischer Aktivitäten“ erkannten.

Wie mehrere russische Medien berichteten, hatten potenzielle Teilnehmer an den Protestaktionen bzw. Personen, die als regierungskritisch bekannt sind, am Samstag in Moskau auf ihre Mobiltelefone Warnmeldungen unbekannter Absender erhalten. Sie sollten zur Wahl gehen, „aber ohne Warteschlangen und Provokationen“.

„Mittags gegen Putin“

Noch vor seinem Tod Mitte Februar in einem Strafgefangenenlager in Sibirien hatte Russlands prominentester Oppositioneller Alexej Nawalny zu Protesten aufgerufen. Nun erneuerte seine Witwe Julia Nawalnaja den Aufruf und warb für die Protestaktion „Mittags gegen Putin“. Die Wähler sollen für einen der Gegenkandidaten Putins stimmen oder den Wahlzettel mit dem Schriftzug „Nawalny“ ungültig machen.

Laut dem Team um Nawalny versammelten sich ab Mittag im äußersten Osten Russlands in Wladiwostok, Nowosibirsk, Omsk, Irkutsk und anderen sibirischen Städten Menschen vor Wahllokalen, auch in Jekaterinburg am Ural, später auch in anderen russischen Großstädten. Auch Putin-Gegner wie der im Exil in Großbritannien lebende russische Geschäftsmann und Oligarch Michail Chodorkowski riefen die Menschen auf, keine Angst zu haben und an der Aktion teilzunehmen.

Russland-Wahl: Nawalnaja wählt in Berlin

Die Witwe des in Lagerhaft gestorbenen russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja, hat sich am letzten Tag der russischen Präsidentschaftswahl in die Warteschlange vor der russischen Botschaft in Berlin eingereiht.

Julia Nawalnaja reihte sich in die Warteschlange vor der russischen Botschaft in Berlin ein, wo sie kurz nach 18.00 Uhr dann ihre Stimme abgab. Auch in vielen anderen Städten, darunter etwa auch Salzburg und Wien, prägten am Sonntag lange Warteschlange das Bild vor Russlands Konsulaten und Botschaften – mehr dazu in salzburg.ORF.at und in wien.ORF.at.

„So viele Menschen hat es bei russischen Wahlen hier nie gegeben – nicht einmal im Ansatz“, sagte ein seit mehr als zehn Jahren in Wien lebender Russe gegenüber der APA. Laut dem Einsatzleiter der Wiener Polizei warteten zur Spitzenzeit etwa 1.200 bis 1.300 Personen auf Einlass. „Das ist eigentlich eine Demonstration, denn ohne den Aufruf zur Aktion ‚Zu Mittag gegen Putin‘ gäbe es hier keine derartige Schlange“, erklärte der russische Politologe Kirill Rogow im Gespräch mit der APA vor der Botschaft.

Nawalny-Gedenkstätte in Wien zerstört

In Wien wurde am Samstag eine gegenüber der russischen Botschaft eingerichtete Nawalny-Gedenkstätte zerstört. Noch Samstagabend hatten Anhänger Nawalnys die improvisierte Gedenkstätte in der Reisnerstraße in Ordnung gebracht, frische Blumen hinterlegt sowie Kerzen angezündet. Später sollen dann Unbekannte die Gedenkstätte zerstört haben – mehr dazu in wien.ORF.at.

Ausgeschlossener Nadeschdin schließt sich Protest an

Der von der Wahl ausgeschlossene Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin beteiligte sich indes in Moskau an einer friedlichen Protestaktion. Im Moskauer Institut für Physik und Technik, wo ein Wahllokal eingerichtet war, wurde er mit großem Applaus von Studenten empfangen, wie ein von ihm am Sonntag via Telegram veröffentlichtes Video zeigt.

Person kommt aus Wahlkabine in Russland
APA/AFP/Stringe
Gewählt wurde auch in den besetzten Gebieten (im Bild: Donezk) ind er Ukraine, auch dort kam es zu Störaktionen

An den ersten beiden Wahltagen war es vereinzelt zu Protesten gekommen. In mehreren Fällen wurde grüne Farbe in Wahlurnen geschüttet, um Stimmzettel ungültig zu machen. Es handelte sich allerdings nur um eine kleine Zahl. Russlands Wahlleiterin Ella Pamfilowa sagte, Störaktionen seien aus 20 russischen Wahlregionen gemeldet worden. Außerdem habe es acht Brandstiftungen in Wahllokalen gegeben. Es gab zumindest zwei Festnahmen.

Ein Mann gibt seine Stimme bei der russischen Wahl ab
AP/Dmitri Lovetsky
Die Warnungen vor einer Störung der Wahl waren deutlich

Die Präsidentschaftswahl hatte am Freitag begonnen. Es galt als sicher, dass sich Amtsinhaber und Kreml-Chef Putin eine weitere (die fünfte) sechsjährige Amtszeit sichern wird. Gegen Putin traten lediglich drei unbedeutende Kandidaten an. Alle bedeutenden Kritiker des russischen Präsidenten – wie etwa Nawalny – sind entweder tot, inhaftiert oder im Exil. Die Wahl endete am Sonntag mit der Schließung der Wahllokale in Kaliningrad um 19.00 Uhr MEZ.