EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen und Ägyptischer Präsident al-Sisi
APA/AFP/Egyptian Presidency
Migration

EU fixiert Milliardenabkommen mit Ägypten

Die EU hat am Sonntag ein 7,4 Mrd. Euro schweres Partnerschaftsabkommen mit Ägypten geschlossen. Das in Kairo von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ägyptens Präsident Fattah al-Sisi und mehreren europäischen Staats- und Regierungschefs unterzeichnete Abkommen sieht vor, dass Ägypten im Gegenzug für EU-Hilfen Migration in Richtung Europa eindämmt. Von der Leyen sprach von einem „Meilenstein“, Sisi nannte den Deal einen „beträchtlichen Schritt vorwärts“ in den Beziehungen.

Ägypten befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise und ist dringend auf Finanzhilfe angewiesen – diese bekommt der frühere Armeechef und langjährige Präsident Sisi nun. Konkret umfasst das Abkommen nach EU-Angaben Kredite in Höhe von fünf Mrd. Euro, Investitionen im Umfang von 1,8 Mrd. Euro. 400 Mio. Euro für bilaterale Projekte sowie 200 Mio. Euro für Programme im Zusammenhang mit Migration.

An dem Spitzentreffen in der ägyptischen Hauptstadt nahmen neben EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen auch mehrere Regierungschefs von EU-Staaten teil, unter ihnen auch Bundeskanzler Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). Zudem dabei waren der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo, die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni, der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis.

Nehammer: „Geordnete Zuwanderung in Arbeitsmarkt“

Der „EU-Ägypten-Deal“ diene dazu, „die geordnete Zuwanderung in den Arbeitsmarkt“ zu regeln, wie Nehammer (ÖVP) sagte. „Ägypten ist hier zu vielen Kooperationen bereit und vor allem auch ein sehr interessanter Markt für österreichische Firmen“, so Nehammer. Gleichzeitig müsse aber die Basis geschaffen werden, um jene Ägypter und andere Migranten, „die nicht in Österreich bleiben dürfen“, durch ein bilaterales Rückführungsabkommen schneller „zurückzubringen“.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit anderen Vertretern in Ägypten
IMAGO/Belga/Dirk Waem
Nehammer, Mitsotakis, von der Leyen, Sisi, Christodoulidis und Meloni (v. l. n. r.)

Ägypten habe ein enormes Bevölkerungswachstum, so Nehammer. Im 110-Millionen-Einwohner-Staat komme jedes Jahr eine weitere Million Menschen dazu. Das bedeute eine „unfassbare“ Belastung für die Infrastruktur. „Daher ist es durchaus im ägyptischen Interesse, dass Fachkräfte geordnet auf den europäischen Arbeitsmarkt kommen können“, so Nehammer.

Griechenland äußerte Sorge über neue Ankünfte

Allein in Ägypten leben laut Schätzungen um die sechs bis sieben Millionen innerafrikanische Geflüchtete (vor allem aus dem Sudan, Äthiopien und Eritrea), offiziell liegen die Zahlen allerdings weit darunter. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) hat knapp 500.000 Personen mit anerkanntem Flüchtlingsstatus registriert. Zuletzt war auch die Zahl der Migranten, die von Libyen aus nach Griechenland übersetzen wollen, gestiegen.

Die griechische Regierung drückte jüngst ihre Sorge über die zunehmenden Ankünfte von Migranten ägyptischer Herkunft aus. Diese benutzen eine neue Flüchtlingsroute, die vom libyschen Mittelmeer-Hafen Tobruk aus in Richtung der Insel Kreta führt. Das UNHCR registrierte in diesem Jahr bereits mehr als 1.000 Menschen, die von Tobruk aus auf der Kreta vorgelagerten Insel Gavdos ankamen. Die meisten von ihnen stammen den Berichten zufolge aus Ägypten.

Meloni: „Historische Relevanz“

Italiens Premierministerin Meloni sagte, das Abkommen habe „historische Relevanz“. Die Initiativen zur Annäherung der beiden Ufer des Mittelmeers und zur Förderung der Zusammenarbeit seien Teil der Strategie, „die Italien seit einigen Monaten verfolgt“, so Meloni. Diesen Weg habe auch die EU eingeschlagen. Die Initiative sei „der beste Weg, um die Migration zu bewältigen“.

Unterstützung bei der Unterbringung vor Ort

Die wirtschaftliche Lage Ägyptens droht sich aufgrund der Konflikte in der Ukraine (gestiegene Getreidepreise), im Sudan und in Gaza zu verschlechtern, wodurch wiederum die Migrationszahlen nach Europa steigen könnten. Ein Schwerpunkt soll auf die Unterstützung bei der Unterbringung von Migrantinnen und Migranten gelegt werden. Aber auch die Bereiche „Wirtschaft, Handel und Investition, Sicherheit und Kampf gegen Terrorismus sowie Demografie und Humankapital“ sind demnach darin enthalten.

Weiters will die EU Ägypten aber auch in Fragen wie „Demokratie“ oder „Menschenrechte“ zur Seite stehen. Geplant ist zudem eine „Unterstützung in verschiedenen Bereichen wie erneuerbare Energien, grüner Wasserstoff, Industrialisierung, Digitalisierung, Landwirtschaft und Wasserversorgung“. Die EU plant, über den European Fund for Sustainable Development, europäische Finanzinstitute und EU-Mitgliedsstaaten Investitionen von bis zu neun Mrd. Euro bis 2027 zu generieren.

„Ganzheitlicher Ansatz“ in Migrationsfragen

In Migrationsfragen wird ein „ganzheitlicher Ansatz“ angestrebt. Dazu zählen „die Unterstützung legaler Migrationswege“ sowie der „Ausbau von Mobilitätsprogrammen“ wie den „Talent Partnerships“. Zudem sollen Programme für die „Kooperation zur Bekämpfung von Ursachen irregulärer Migration“ und die „Stärkung des Grenzmanagements“ oder „Anti-Smuggling“ sowie zur Förderung der Rückkehr („freiwillig und zwangsweise“) samt Reintegration gestärkt werden. Auch auf bilateraler Ebene sind aktuell Verhandlungen über eine „effektive Rückübernahmekooperation“ im Gange.

FPÖ sieht „Marketing-Gag“

Kritik an dem Deal kam von der FPÖ. „Offenbar handelt es sich wie zuvor bei der Türkei und Tunesien um einen Marketing-Gag als Beruhigungspille vor der EU-Wahl“, teilte FPÖ-Europaabgeordneter Harald Vilimsky via Aussendung mit. Es sei der Versuch, „einen drohenden Mega-Wahlverlust zu verhindern, obwohl jedem klar ist, dass bisher keine einzige Maßnahme der EU zu einer Lösung des illegalen Migrationsproblems geführt hat“.

SPÖ-EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder bemängelte: „Alleine Fotos von dieser Reise zu posten wird keine Lösung in der Migrationsfrage bringen.“ Auch hier sehe man eindeutig, dass die Konservativen und Rechten nicht an echten Lösungen für die Menschen in Europa interessiert seien, so Schieder in einer Aussendung.

Kritiker sehen Schutz der Menschenrechte nicht gewahrt

Ähnliche Deals hatte die EU bereits mit Mauretanien, der Türkei und Tunesien geschlossen. Diese waren aber auch auf Kritik gestoßen. Auch die Vereinbarung mit Ägypten wird von NGOs und Migrationsfachleuten mit Argwohn betrachtet. Flüchtlingsorganisationen sehen den Schutz der Menschenrechte nicht gewahrt. Migranten würden bei ihrer Flucht bloß auf „gefährlichere Routen“ ausweichen.

Pochen auf Waffenstillstand in Gaza

Auch der Gaza-Krieg war in Kairo Thema: Zwischen Israel und der Hamas müsse rasch ein Waffenstillstandsabkommen erzielt werden, das auch die Geiselbefreiung und die Lieferung humanitärer Hilfe möglich mache, so von der Leyen. Der Gazastreifen stehe vor einer Hungersnot, das könne man nicht akzeptieren. Nehammer sagte, er habe bei einem bilateralen Treffen mit Sisi auch die Problematik der österreichischen Hamas-Geisel angesprochen.