Stadtansicht von Tokio
Getty Images/Yongyuan Dai
Historische Kehrtwende

Japan macht Schluss mit Negativzins

Japans Zentralbank erhöht erstmals seit 17 Jahren den Leitzins und vollzieht damit eine historische Kehrtwende. Nach acht Jahren endet zugleich die Negativzinspolitik. Der Zinssatz liegt künftig zwischen null und 0,1 Prozent, wie die Bank of Japan am Dienstag mitteilte. Sie ist damit die letzte große Zentralbank, die eine Zinswende nach oben vollzieht.

Die Bank of Japan gab ihre seit 2016 gefahrene Linie auf, eine Gebühr von 0,1 Prozent auf Überschussreserven zu erheben, die Banken bei ihr parken, und legte den Tagesgeldsatz als neuen Leitzins fest. Er soll in einer Spanne von null bis 0,1 Prozent gehalten werden, indem die Notenbank unter anderem 0,1 Prozent Zinsen auf Einlagen zahlt.

Mit der Anhebung folgt die japanische Zentralbank anderen großen Zentralbanken weltweit, obwohl etwa die Fed in den USA und die Europäische Zentralbank (EZB) nach teils aggressiven Erhöhungen im laufenden Jahr wieder eine erste Senkung anpeilen. Notenbankchef Kazuo Ueda sprach von einer Rückkehr zu einer „normalen Geldpolitik“, die wie bei anderen Zentralbanken auf kurzfristige Zinssätze abziele.

Hauptquartier der Bank of Japan in Tokio
AP/Kyodo News
Die Bank of Japan erhöht den Leitzins, der seit 2016 im Minusbereich lag, auf null bis 0,1 Prozent

Die höheren Zinsen verteuern Kredite für Unternehmen und Verbraucher. Auch der japanische Staat muss mehr für seine Schulden zahlen, die bei 260 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen und damit weltweit mit am höchsten sind. Die Gesamtverschuldung inklusive privater Haushalte und Unternehmen liegt gar bei 426 Prozent des BIP. Trotz der geldpolitischen Kehrtwende dürften die Finanzierungsbedingungen aber noch lange sehr locker bleiben, glauben Insider.

Reaktion auf Löhne und Inflation

Die Bank of Japan erklärte, sie reagiere mit der Zinsanhebung auf die „positive“ Entwicklung von Löhnen und Inflation. Ihr Ziel einer Inflationsrate von zwei Prozent werde „auf nachhaltige und stabile Weise“ in absehbarer Zeit erreicht. Die Gewerkschaften in Japan hatten für dieses Jahr die höchste Gehaltssteigerung seit mehr als 33 Jahren ausgehandelt, die Löhne stiegen im Schnitt um 5,28 Prozent. Einige Großkonzerne übertrafen die Forderung ihrer Arbeitnehmervertreter sogar.

Notenbankchef Ueda machte deutlich, dass die Bank of Japan den weiteren Zinspfad an den Inflationsaussichten ausrichten werde. Im Gegensatz zu anderen führenden Industrienationen kämpft Japan nicht mit einem zu starken Preisauftrieb. Vielmehr steckte das Land in einer langen Phase der Deflation – eine Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und Löhnen, die die Wirtschaft am Boden hielt.

Kazuo Ueda bei einem Pressetermin
Reuters/Kim Kyung-Hoon
Der Gouverneur der Bank of Japan, Kazuo Ueda, verkündet die Rückkehr zu einer „normalen Geldpolitik“

Mittlerweile liegt die Teuerungsrate allerdings seit über einem Jahr über dem Zweiprozentziel der Zentralbank. „Die Zinsanhebung ist das Signal für Japans Wirtschaft, dass aller Voraussicht nach das Ende der Deflation gekommen ist“, so ein Analyst gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Die japanischen Währungshüter werden auch die umstrittene Kontrolle der Renditekurve (YCC) aufgeben. Diese war seit 2016 in Kraft und deckelte die langfristigen Zinssätze bei null. Die Zentralbank wird zwar weiterhin Staatspapiere erwerben, doch wird sie die Höchstgrenze für ihre Käufe japanischer Staatsanleihen reduzieren. Zugleich sollen riskante Papiere wie börsengehandelte Fonds (ETFs) und japanische Immobilieninvestmentfonds (J-REITs) nicht mehr angegriffen werden.

Yen unter Druck

Die Bank of Japan hatte im großen Stil Anleihen aufgekauft, um ihre ultralockere Politik zu verteidigen. Kritiker warfen ihr vor, mit der YCC die Marktliquidität auszuhöhlen und einem unerwünschten Kursrückgang des Yen Vorschub zu leisten. Trotz der geldpolitischen Kehrtwende war die Währung des Landes unter Druck. Im Gegenzug stieg der Dollar um 0,7 Prozent auf 150,15 Yen. In Tokio verabschiedete sich der Nikkei-Index rund 0,7 Prozent fester mit 40.004 Punkten.

Auch nach der ersten Zinserhöhung seit 2007 bleibe unklar, wie es nun weitergehe, hieß es von Insidern. Gleichzeitig könnte die weiterhin ultralockere Geldpolitik der Zentralbank die Inflation weiter anheizen. Das sei wohl der Grund dafür, dass die Finanzmärkte auf den Zinsentscheid mit einer Abwertung des Yen und leicht sinkenden lange laufenden Staatsanleiherenditen reagierten.

Laut vielen Fachleuten und Investoren würden weitere Zinsschritte erst im Juli folgen, denn die Wirtschaft wächst langsamer als erwartet. „Auch wenn ein gutes Ergebnis der Tarifverhandlungen eine gute Nachricht ist, sollte man nicht mit einem sprunghaften Anstieg des Konsums rechnen“, zitierte das deutsche „Handelsblatt“ den Ökonomen Stefan Angrick: „Eine Serie schneller Zinserhöhungen durch die Bank of Japan ist aus dem gleichen Grund unwahrscheinlich.“

Zwei Versuche seit 1999

Zweimal hatte die Zentralbank seit 1999 versucht, den Leitzins anzuheben – um ihn dann wieder auf null Prozent zu senken. Im Jahr 2000 hatte der geldpolitische Ausschuss der Bank of Japan die Zinsen zu früh angehoben und musste rasch korrigieren. Der heutige Notenbankchef Ueda stimmte damals als einziges Ausschussmitglied dagegen.

Im Jahr 2007 erhöhte die Zentralbank den Zinssatz auf 0,5 Prozent, was zu einem der längsten Wirtschaftsaufschwünge in der Geschichte Japans führte. Doch 2008 zerstörte die globale Finanzkrise die Hoffnungen der Zentralbank, das Land aus der Deflation zu führen. Ab 2013 versuchte die Notenbank sogar, durch große Anleihekäufe mit der Brechstange Inflation zu erzeugen – bis vor Kurzem allerdings ohne Erfolg.