Senioren sitzen in der Waermeinsel der Caritas
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Europarat

Deutschland zu lax im Kampf gegen Armut

Deutschland muss nach Ansicht des Europarats bei der Bekämpfung von Armut, Wohnungsnot und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen deutlich mehr tun. Das hohe Maß an Armut und sozialer Benachteiligung stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, heißt es in einem am Dienstag veröffentlichen Bericht. Armut sei vor allem für Kinder, Senioren und Seniorinnen und Menschen mit Behinderungen ein großes Problem.

Es brauche entschlossene Schritte, um den Kreislauf der Kinderarmut zu durchbrechen, heißt es in dem Bericht. Auch müssten die Kinderrechte gestärkt und etwa mit einer zentralen Behörde koordiniert werden, weil sonst die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bei politischen Entscheidungen übersehen würden – beispielsweise während der Pandemie.

Außerdem müsse gegen die hohe Armutsquote bei Seniorinnen und Senioren vorgegangen werden. Bei den Rechten behinderter Menschen wurden den Angaben zufolge insgesamt nur begrenzte Fortschritte erzielt: Inklusion und Teilhabe seien in vielen Bereichen nicht möglich.

Seniorin beim Einkauf in einem Discounter
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Die hohe Armutsquote bei Seniorinnen und Senioren stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, moniert der Europarat

„Wachsende Ungleichheit“

Der Europarat begründet das mit mangelndem politischem Engagement und zwar gut finanzierten, aber ausgrenzenden Strukturen wie Behindertenwerkstätten, Förderschulen und Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen. Damit könne ein unabhängiges Leben nur schwer verwirklicht werden. Stattdessen brauche es integrative Strukturen.

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, begrüßte zwar die von der deutschen Regierung ergriffenen Maßnahmen, etwa das Sozialsystem zu reformieren, um es zugänglicher zu machen, die Sozialversicherungsleistungen zu erhöhen und mehr Ausbildungsmöglichkeiten für Arbeitslose anzubieten. Es seien jedoch weitere Anstrengungen nötig, um die „wachsende Ungleichheit“ zu bekämpfen.

Mangel an bezahlbarem Wohnraum

Außerdem seien dringend Maßnahmen nötig, um dem akuten Mangel an bezahlbaren Wohnraum insbesondere in städtischen Zentren zu begegnen. Dazu gehörten auch Eingriffe in den Wohnungsmarkt. Um Obdachlosigkeit zu verhindern und zu beseitigen, seien umfassende und langfristige Maßnahmen nötig, etwa Änderungen beim Mietrecht.

Obdachlose unter der Brücke am Stuttgarter Platz in Berlin
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Den Europarat besorgt auch die zunehmende Obdachlosigkeit in Deutschland

Aus Berlin hieß es, die Regierung teile „die Sorgen der Kommissarin hinsichtlich der steigenden Zahl wohnungsloser Menschen in Deutschland“. Allerdings wurde darauf verwiesen, dass erstmals beschlossen worden sei, einen Nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Wohnungslosigkeit zu verabschieden.

Berlin bessert nach

Zwar sei der Bestand an Sozialwohnungen in Deutschland von rund drei Millionen Wohnungen im Jahr 1990 auf derzeit etwa eine Million Sozialmietwohnungen „abgeschmolzen“. Aktuell sei jedoch vorgesehen, dass der Bund den Ländern für den sozialen Wohnbau im Zeitraum 2022 bis 2027 insgesamt über 18 Milliarden Euro zur Verfügung stellt.

Besondere Aufmerksamkeit mahnt der Europarat auch beim Anstieg der Fremdenfeindlichkeit ein: Sie sei potenziell in der Lage, den sozialen Zusammenhalt zu untergraben und die demokratischen Institutionen zu destabilisieren. Dazu hieß es aus Berlin, die Regierung arbeite „derzeit an einer neuen Strategie“ im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, die „repressive“ und „präventive" Ansätze“ umfassen soll.

Der Europarat wurde 1949 zum Schutz von Demokratie, Menschenrechten und des Rechtsstaats in Europa gegründet. Er ist von der Europäischen Union unabhängig. Ihm gehören 46 europäische Staaten an. Der nun veröffentlichte Bericht folgt auf einen Besuch von Mijatovic Ende des vergangenen Jahres in Deutschland.