Feuer in einer Raffinerie in Ryazan
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Zentraler Nerv

Ukraine hat russische Raffinerien im Visier

Die ukrainische Armee hat in den letzten Tagen Angriffe auf russisches Territorium deutlich verstärkt. Moskau sperrte deshalb am Mittwoch den Zugang zu mehreren Ortschaften in der Grenzregion Belgorod. In den Fokus der ukrainischen Gegenoffensive rückte zuletzt aber vor allem die russische Erdölindustrie. Mehrfach gab es Angriffe auf Raffinerien, die offenbar bereits Folgen zeigen.

Zuletzt war am Sonntag, dem letzten Tag der Präsidentschaftswahl in Russland, eine Raffinerie in der Schwarzmeer-Region Krasnodar von einer oder mehreren ukrainischen Drohnen getroffen worden, Folge war ein Brand. Am Vortag brannte es in einer Anlage des russischen Ölkonzerns Rosneft in der Region Samara, gleichfalls nach einem Angriff aus der Ukraine.

Drei Tage zuvor hatten ukrainische Drohnen eine Rosneft-Raffinerie in Rjasan südöstlich von Moskau getroffen, zuvor eine von Lukoil in Nischni Nowgorod an der Wolga. In der südwestrussischen Region Orjol löste ein Angriff aus der Ukraine einen Brand in einem Treibstofflager aus, zwei Raffinerien nahe St. Petersburg waren ebenfalls Ziele von Angriffen.

„Neue Phase“ im Krieg

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine sei in eine „neue Phase“ eingetreten, hieß es am Mittwoch in einer Analyse der US-Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg. Die Ukraine forciere mittlerweile deutlich Angriffe mit selbst entwickelten Drohnen über eine Distanz von bis zu 2.000 Kilometern auf Zentren der Öl- und Gasindustrie in Russland.

Feuer in einer Raffinerie in Krasnodar
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Brand in einer Raffinerie bei Krasnodar nach einem ukrainischen Drohnenangriff

Seit Jahresbeginn seien zumindest neun russische Raffinerien Ziel ukrainischer Angriffe gewesen, die Ausfälle in der Produktion bezifferte Bloomberg auf Basis von Schätzungen auf rund elf Prozent. Nachdem die russische Armee mehr als zwei Jahre nach ihrem Angriff auf die Ukraine bei den Kämpfen dort in der Offensive sei, komme den Angriffen auf die russische Ölindustrie eine entscheidende Bedeutung zu, „sowohl in symbolischer als auch in strategischer Hinsicht“.

Treibstoffversorgung und Export im Visier

Die ukrainischen Drohnen erreichten mittlerweile Ziele „tief im russischen Territorium“ und träfen eine Industrie, die eine zentrale Rolle für die Kriegsführung des Kreml spiele, analysierte Bloomberg, sowohl für die Versorgung der Truppen in der Ukraine mit Treibstoff als auch für die Einnahme von Devisen aus dem Export von Ölprodukten.

Russland sei eine „Tankstelle mit einer Armee“, zitierte Bloomberg den Mitbegründer und Vorstandsvorsitzenden des ukrainischen Drohnenherstellers Terminal Autonomy, Francisco Serra-Martins. Am härtesten zu treffen sei Russland bei seinen finanziellen Ressourcen, und darauf konzentriere sich die Strategie.

„Gut kalkulierte Strategie“

Ähnlich hatte sich zuletzt der ukrainische Geheimdienst SBU gegenüber dem Nachrichtenportal Ukrainska Prawda geäußert: „Wir setzen systematisch eine gut kalkulierte Strategie um, um das wirtschaftliche Potenzial der Russischen Föderation zu reduzieren.“ Die Aufgabe sei dabei, „dem Feind die Ressourcen zu entziehen“. Die Treibstoffversorgung des russischen Militärs solle gekappt werden und gleichzeitig der Fluss von Einnahmen aus dem Ölexport, die Russland „in den Krieg und die Tötung ukrainischer Bürger“ lenke.

Der SBU kalkuliert offenbar mit weitreichenden Folgen für Russland: Ein Treibstoffengpass könnte etwa die russische Landwirtschaft treffen, „was bedeutet, dass die Lebensmittelpreise ab Mitte des Sommers drastisch steigen“ würden, schrieb der frühere stellvertretende ukrainische Innenminister Anton Heraschtschenko auf X (Twitter). Treibstoffmangel könnte auch die Preise für andere Güter nach oben treiben.

Mögliche Folgen auch außerhalb Russlands

Auch wenn die Drohnenoffensive eine „Erfolgsgeschichte“ für die Ukraine mehr als zwei Jahre nach dem Angriff Russlands werden könnte, hieß es am Mittwoch bei Bloomberg, könnte sie auch Folgen für den Weltmarkt haben und damit auch für die westlichen Verbündeten Kiews – nämlich dann, wenn der Ölpreis weiter steigt und irgendwann eine für die russischen Exporte zentrale Anlage Ziel eines Angriffs wird. Bisher waren die Auswirkungen moderat, was sich ändern könnte, wenn eines der großen Exportterminals am Baltischen oder Schwarzen Meer ausfallen würde.

Raffinerie in Samara
Reuters/Alexander Manzyuk
Die Angriffe auf die russische Ölwirtschaft könnten auch Folgen für den Weltmarkt haben

Psychologie und Strategie

Laut Bloomberg setzte Russland Mitte Februar nach bis dahin fünf Angriffen auf Raffinerien den Export von Diesel Anfang März bis Ende August aus, um die steigende heimische Nachfrage vor dem Sommer bedienen zu können.

Die ukrainische Führung stehe auf dem Standpunkt, dass sie – wenn ihre Armee schon im Land in der Defensive ist – Russland maximalen Schaden zufügen müsse, so der frühere Russland-Analyst des US-Geheimdiensts CIA, Peter Schroeder, gegenüber Bloomberg. Was mit Drohnenangriffen auf den Kreml in Moskau als „großteils symbolisches“ Unterfangen begonnen habe, um dem Aggressor zu zeigen, dass er auch im eigenen Land nicht unverwundbar ist, sei inzwischen zu einer gut geplanten Aktion gegen ein strategisches Ziel geworden.

Evakuierung in russischer Grenzregion

Angriffe aus der Ukraine konzentrierten sich zuletzt auch auf die russische Grenzregion generell. Als Folge wurde der Zugang zu mehreren Ortschaften um die Stadt Belgorod nahe der ukrainischen Grenze und knapp 600 Kilometer südlich von Moskau begrenzt.

Es werde versucht, die Bewohner und Bewohnerinnen zu überzeugen, sich in Sicherheit zu bringen. „Ich habe mich persönlich davon überzeugt, dass zum heutigen Tag eine große Zahl an Einwohnern unter Beschuss bleibt“, so der Gouverneur von Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow. Vor sechs Siedlungen seien aus Sicherheitsgründen am Mittwoch Absperrposten der Polizei, der Nationalgarde, des Grenzschutzes und der Verwaltung eingerichtet worden.