Europarat in Brüssel
ORF.at/Peter Prantner
Gipfel in Brüssel

EU will russisches Geld für Ukraine nutzen

Wenn sich die führenden Politikerinnen und Politiker der Europäischen Union am Donnerstag in Brüssel zum Gipfel treffen, wird die Hilfe für die Ukraine wieder im Mittelpunkt stehen – „so lange wie nötig, so schnell wie möglich“ heißt das Motto mit deutschem Copyright. Außerdem wird es um Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina gehen, die Not in Gaza – und um die Landwirtschaft. Die Bauern haben sich wieder zu Protesten angesagt.

Seit Russland die Ukraine im Februar vor zwei Jahren überfallen und dem europäischen Kontinent wieder einen Krieg aufgezwungen hat, geht es darum, die Ukraine zu unterstützen – militärisch, wirtschaftlich und humanitär. Bei diesem Treffen des Europäischen Rates geht es darüber hinaus und zum ersten Mal konkret um die Zuhilfenahme von russischem Vermögen. Die meisten EU-Länder sind inzwischen dafür.

Die westlichen Länder haben insgesamt ungefähr 260 Milliarden Euro an russischem Vermögen beschlagnahmt oder eingefroren, zwei Drittel davon in der EU, und davon liegt ein Löwenanteil in Belgien, bei Euroclear, einem der wichtigsten Finanzdienstleister in Europa. Ein Teil in bar, der größere Teil in anderen Guthaben. Und dieses Vermögen wirft Gewinne ab, drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr, wird geschätzt.

Die EU plant nun, diese Erträge für Militärhilfe zugunsten der Ukraine zu verwenden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte das im vorigen Monat im EU-Parlament als Absicht präsentiert, der Außenbeauftragte der Union, Josep Borrell, musste aber angesichts fortwährender Diskussionen noch einige Zeit und Arbeit in die Ausarbeitung investieren, ehe er den Plan am Mittwoch präsentierte. Russland bezeichnete Borrells Vorschlag als „Banditentum“ und drohte den EU-Ländern mit jahrzehntelanger Strafverfolgung.

Der ukrainische Premierminister Denys Shmyhal, der Chef der EU-Außenpolitik Josep Borrell und der EU-Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung, Oliver Varhelyi
Reuters/Yves Herman
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell will bis 2027 mehr als zehn Mrd. Euro aus russischem Vermögen für die Ukraine gewinnen

Beschluss erfordert Einstimmigkeit unter den 27

Eine Mehrheit für die militärische Nutzung des russischen Kapitals ist unter den 27 EU-Ländern nach intensiver Diskussion inzwischen vorhanden. Noch aber fehlt die nötige Einstimmigkeit. Österreich zum Beispiel zögert unter Hinweis auf die Neutralität, die Kapitalerträge für Militärhilfe zu verwenden. Irland, ebenfalls neutral, hat keine Einwände. Allem Anschein nach fehlen noch einige rechtliche Klärungen und Abstimmungen zwischen den Regierungen und ihren Rechtsexperten. Die Debatte wird voraussichtlich über das aktuelle EU-Gipfeltreffen hinaus fortgesetzt werden.

Einig sind die europäischen Staats- und Regierungschefs und -chefinnen in der Absicht, die gemeinsame Verteidigung zu stärken. Samt besserer und intensiverer Zusammenarbeit bei der Produktion und Beschaffung von Waffen und immer mit dem Blick auf die Entwicklung eigener, europäischer Waffenschmieden.

Nahost-Konflikt spaltet Union

Der Krieg in Gaza ist und bleibt ein heißes politisches Thema. Die richtige Balance zu finden bei der Beurteilung und Beschreibung der israelischen Kriegsführung, des Terrors der Hamas, des Schicksals der israelischen Geiseln, der Drangsalierung der Palästinenser und Palästinenserinnen durch israelische Siedler im Westjordanland, vor allem aber bei der immer größeren Not der Zivilbevölkerung in Gaza – das alles führt immer wieder zu Streit zwischen Politikern und Politikerinnen der Union.

Zerstörte Gebäude im Nuseirat-Flüchtlingslager, Gaza
Reuters/Ramadan Abed
Das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung löst immer wieder heftige Debatten aus

Der Versuch, einen gemeinsamen Text zu verabschieden, wird wieder eine Herausforderung werden und die Nerven der Verhandler strapazieren. Die einfallsreichsten Formulierungen sind in den vergangenen Monaten oft in Sekundenschnelle am realen Geschehen zerschellt.

Entscheidung zu Bosnien-Herzegowina könnte fallen

So viele EU-Staaten wie noch nie sind anscheinend für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina. Die Kommission würdigte jüngste Reformen im Land und empfahl die Aufnahme, was die Voraussetzung für ein Votum des Rates darstellt. Vor allem Österreich setzt sich dafür ein – acht Jahre, nachdem die Balkan-Republik den Antrag gestellt hat.

EU-Ratsgebäude in Brüssel
Reuters/Oliver Hoslet
Langwierige Beratungen stehen im Ratsgebäude in Brüssel bevor

Gesichert ist es nicht, dass der Startschuss für Verhandlungen gegeben wird. Die eine oder andere Regierung hat Bedenken und will diese Bedenken zumindest erwähnt sehen, ob jetzt zur Verschleppung der Übung oder nur als Zeichen, ohne den Prozess aufzuhalten.

Die Landwirtschaftspolitik wird sich den Gipfelteilnehmern ebenfalls aufdrängen. Als mehr oder weniger konkrete Diskussion über allfällige weitere Abschwächungen von Auflagen für Landwirte und -wirtinnen am Konferenztisch, etwa in Zusammenhang mit Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen, und in Form von Traktorenblockaden auf den Straßen vor dem Ratsgebäude. Bauernverbände haben neuerlich Proteste angekündigt.