Péter Magyar während Protest am ungarischen Nationalfeiertag
AP/Denes Erdos
Skandale in Ungarn

Opposition hofft auf Götterdämmerung

Die Regierung von Ungarns Premier Viktor Orban mag den Skandal um die Begnadigung eines in Kindesmissbrauch verwickelten Mannes überstanden haben. Doch der Fall entwickelt sich innenpolitisch zur Lawine. Der Ex-Mann der geschassten Justizministerin, Peter Magyar, will Beweise haben für schwere Korruption in Orbans Regierung. Nachdem er zuletzt bei der Justiz vorstellig geworden war, kündigte er am Samstag an, jene Beweise veröffentlichen zu wollen. Das schürt die Hoffnungen der Opposition.

Der Aufschrei in der Bevölkerung war für Beobachter überraschend groß, als die Begnadigung eines wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch verurteilten Mannes bekanntwurde. In Budapest wurden Großproteste veranstaltet, Staatspräsidentin Katalin Novak musste ebenso den Hut nehmen wie Justizministerin Judit Varga, die die Begnadigung gegengezeichnet hatte. Orban hatte seine Vertrauten geopfert, um den Skandal einzufangen. Bisher schien das auch gutzugehen. Doch nun trat Peter Magyar auf den Plan.

Magyar hatte am Donnerstag einen ersten Termin bei der Justiz in Budapest. Er war verheiratet mit der früheren Justizministerin Varga, die eigentlich für Orbans FIDESZ im Juni als Spitzenkandidatin für die Europawahl vorgesehen war. Bei seinem Termin ging es um Beweise, die Magyar gegen prominente Vertreter der Regierung haben will, allen voran gegen den mächtigen Medien- und Geheimdienstminister Antal Rogan.

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Laut Magyar sollen Rogan und sein Team etwa Ermittlungsakten manipuliert haben, die einen ehemaligen Staatssekretär schwer belasteten. Zudem wirft ihm Magyar die Veruntreuung öffentlicher Gelder vor und den Missbrauch von Inlandsgeheimdiensten zu persönlichen und Parteizwecken. Das Material habe das Potenzial, die gesamte Regierung zu stürzen, so Magyar. Am Dienstag – noch vor einem Termin bei der Staatsanwaltschaft – wolle er jene Beweise auf YouTube und Facebook veröffentlichen, teilte Magyar am Samstag auf seiner Facebook-Seite mit.

In der Offensive

Der 43-Jährige war selbst jahrelang ein Gefolgsmann und Günstling des Kreises um Orban. Jahrelang leitete er die Behörde zur Vergabe von Studierendenkrediten und hatte hohe Posten in regierungsnahen Betrieben, etwa im Aufsichtsrat der halbstaatlichen MBH Bank. Nachdem Orban Varga fallengelassen hatte, trat deren Ex-Mann Magyar von allen Positionen zurück und ging lautstark in die Offensive. Zunächst kritisierte er die Art, wie die Regierung auf den Begnadigungsskandal reagierte, in mehreren Interviews scharf.

Ungarische Ex-Justizministerin Judit Varga, 2022
APA/AFP/Attila Kisbenedek
Judit Varga musste den Hut nehmen. Nun packt ihr Ex-Mann offenbar aus

Auf dem oppositionellen YouTube-Kanal Partizan sprach er über die Mechanismen des Systems der Regierung und rechnete auch mit Rogan erneut schonungslos ab. Dieser beherrsche die Medien im Land, die im Zuge des Begnadigungsskandals Novak und Varga zu Sündenböcken gemacht hätten. In den gleichgeschalteten Staatsmedien gebe es keinen Bericht, der nicht von Rogans Gefolgsleuten kontrolliert werde, so Magyar. Der Clip wurde inzwischen von 2,4 Millionen Menschen angesteuert, für Ungarn mit knapp zehn Millionen Einwohnern ein großer Erfolg des Oppositionsmediums.

Versprechen einer Kehrtwende

Magyar griff auch in den vergangenen Wochen wiederholt einen Vorwurf auf, der die Regierung schon seit Jahren begleitet. Es gebe in Ungarn „eine Handvoll Familien, die die Hälfte des Landes“ besitze. Freunderlwirtschaft und Korruption seien das Gerüst, auf dem die Regierung handle. Der bekannteste Fall ist wohl Orbans Schulfreund Lorinc Meszaros, der innerhalb von zehn Jahren vom Installateur zum reichsten Mann Ungarns aufstieg. Magyar griff auch Orbans milliardenschweren Schwiegersohn Istvan Tiborcz an, dessen „Selbstbereicherung“ er anprangerte. Solche Praktiken wolle er nun abschaffen.

Vor einer Woche brachte Magyar zum ungarischen Nationalfeiertag dann Zehntausende Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung zu protestieren. Dabei kündigte er auch an, eine eigene Oppositionsbewegung zu formen. „Lasst uns eine Kraft schaffen, der sich alle Ungarn mit guten Absichten, die für ihr Land arbeiten wollen, anschließen können“, rief er. In Ungarn herrsche eine „Oligarchie“, die das Land ruiniere. Ungarn müsse sich wieder seinen westlichen Verbündeten annähern, im Land müssten Staatsanwaltschaften und Medien wieder unabhängig von der Politik werden.

Ungarischer Ministerpräsident Viktor Orbán hält Rede
Reuters/Bernadett Szabo
Premier Orban steht unter Druck: Korruptionsvorwürfe begleiten ihn und seine Regierung seit Langem

Schlagende Vorwürfe

Umfragen zufolge könnte Magyar mit einer eigenen Partei durchaus auf Wahlerfolge hoffen. Doch auch der Gegenwind ist stark. Aus der FIDESZ heißt es, Magyar wolle sich nur rächen, weil er mit dem Abgang Vargas auch alle Posten verloren habe. Zudem wurden Gerüchte ventiliert, wonach Magyar seine Ex-Frau geschlagen haben soll. Ein Polizeibericht über einen Streit zwischen dem Paar wurden von Orban-treuen Medien entsprechend interpretiert. Magyar selbst stritt alles ab. Abzuwarten bleibt nun, wie die Justiz mit Magyars vermeintlichen Beweisen umgeht.