Gipfel: Streit über Verwendung russischer Vermögen

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat sich vor dem EU-Gipfel in Brüssel dafür ausgesprochen, die Erträge aus eingefrorenen russischen Vermögen für Waffen- und Munitionskäufe zur Verteidigung der Ukraine heranzuziehen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich diesbezüglich skeptisch. Er betonte, für die Neutralen müsse sichergestellt seien, dass das nicht der Fall sei. Den ursprünglichen Vorschlag, die Gelder für den Wiederaufbau zu verwenden, halte er für vernünftig.

Ein EU-Diplomat des NATO-Staates Ungarn äußerte sich gegenüber Journalisten diesbezüglich kritisch. Aus ungarischer Sicht dürften die Gelder aus russischen Vermögen nicht für Waffen ausgegeben werden – jedenfalls müsse Ungarn aber eine Opt-out-Möglichkeit gegeben werden. Wie diese genau ausschauen könnte, müsse sich aber erst in den Verhandlungen zeigen.

Selenskyj: Russland soll „höchsten Preis für den Krieg zahlen“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte in seiner Videoansprache an die EU-Spitzen, „der Aggressor sollte den höchsten Preis für den Krieg zahlen“.

Es sei „nur fair, wenn sowohl die Gewinne aus den russischen Vermögenswerten als auch die Vermögenswerte selbst“ der Unterstützung und dem Wiederaufbau der Ukraine und „zum Teil dem Kauf von Waffen zur Beendigung des Terrors dienen“. Der ukrainische Präsident zeigte sich „dankbar für die Einrichtung des Hilfsfonds für die Ukraine in Höhe von fünf Milliarden Euro und für die tschechische Initiative zum Kauf von Granaten für unsere Soldaten.“ Das sei aber nicht genug.

„Wir müssen den Luftraum über der Frontlinie zuverlässig schützen. Wir müssen dafür sorgen, dass Putin den Kampf um den ukrainischen Himmel verliert“, forderte Selenskyj. Auch Munition sei ein wichtiges Thema. Europa könne mehr leisten, „und es ist wichtig, das jetzt zu beweisen“, so Selenskyj.

Scholz: „Es muss schnell gehen“

Scholz betonte, die weitere Unterstützung der Ukraine sei wichtig, alle europäischen Staaten müssten einen erkennbaren Beitrag leisten. Munition müsse man weltweit einkaufen, „weil es schnell gehen muss“, nahm Scholz Bezug auf eine entsprechende Beschaffungsinitiative Tschechiens.

Er wünsche sich auch, dass die Erträge aus eingefrorenem russischem Vermögen, die niemandem zustünden, zuerst für den Erwerb von Waffen und Munition verwendet würden.

Der Gipfel müsse ein klares Signal an den russischen Machthaber Wladimir Putin senden. „Er hat sich verrechnet, wenn er glaubt, dass wir die Ukraine nicht unterstützen, wie es notwendig ist“, so Scholz.

Borrell: 90 Prozent der Zinsgewinne verwenden

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hatte vorgeschlagen, dass die EU 90 Prozent der Zinsgewinne eingefrorener russischer Vermögensgüter für den Kauf von Waffen für die Ukraine über die Europäische Friedensfazilität verwende. Zehn Prozent sollten in den Wiederaufbau der Ukraine und in die Stärkung der Kapazitäten der ukrainischen Verteidigungsindustrie fließen. Die Ukraine soll auch von einer EU-Verteidigungsstrategie profitieren, die u. a. mehr gemeinsame Militäreinkäufe vorschlägt.

0,25 Prozent des BIP für Ukraine?

Die estnische Regierungschefin Kaja Kallas schlug vor, dass sich der EU-Gipfel auf ein gemeinsames Ziel für Militärhilfen für die Ukraine verständige. Wenn jedes Land mindestens 0,25 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Militärhilfen zur Verfügung stellen würde, könnten die Ukrainer Russland übertrumpfen, sagte sie.

Kallas stellte sich zugleich hinter den Vorschlag, Erträge der eingefrorenen russischen Zentralbankgelder für Waffenkäufe für die Ukraine zu nutzen.

Estland gibt nach Zahlen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft derzeit 3,6 Prozent seines BIP für die Unterstützung der Ukraine aus, so viel wie kein anderes Land der Welt.