Frau mit Kind geht auf mit Trümmern gesäumter Straße
Reuters/Dawoud Abu Alkas
Gipfel

EU fordert sofortige Feuerpause in Gaza

Die EU-Staaten verschärfen ihren Ton gegenüber Israel und fordern angesichts der dramatischen Notlage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen eine sofortige Feuerpause. Das teilte EU-Ratspräsident Charles Michel Donnerstagabend nach Gesprächen der Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel mit.

Diese Feuerpause solle zu einem nachhaltigen Waffenstillstand, zur bedingungslosen Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltener Geiseln und zur Bereitstellung humanitärer Hilfe führen, heißt es in einer von den Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Erklärung. Der Europäische Rat sei „entsetzt über den beispiellosen Verlust ziviler Leben und die kritische humanitäre Situation“.

Die Hamas und „andere bewaffnete Gruppen“ müssten „sofort einen humanitären Zugang zu den verbleibenden Geiseln“ ermöglichen, was Österreich explizit gefordert hatte. „Es ist uns gelungen, dies in die Schlussfolgerungen hineinzuverhandeln“, so Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach dem Treffen gegenüber Journalisten. Auch Österreich habe immer noch eine Geisel im Gazastreifen.

Forderung: Keine Bodenoffensive in Rafah

Israel wird zudem aufgefordert, in Rafah im äußersten Süden des Gazastreifens keine Bodenoffensive zu beginnen, welche die bereits katastrophale humanitäre Lage verschlimmern und die dringend benötigte Grundversorgung mit humanitärer Hilfe verhindern würde. In der Stadt leben derzeit rund 1,5 Millionen Zivilisten und Zivilistinnen – die meisten von ihnen sind Flüchtlinge aus anderen Teilen des Gazastreifens.

EU-Regierungschefs im Gespräch beim EU-Gipfel
APA/AFP/Sameer Al-Doumy
Überraschend schnelle Einigkeit in Brüssel

Als Hintergrund der Forderung wird auch die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes vom 26. Jänner genannt. Durch sie wurde Israel völkerrechtlich verbindlich aufgetragen, alles zu tun, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhindern. Alle Konfliktparteien müssten sich an internationales Recht inklusive des humanitären Völkerrechts halten.

Österreich wollte Vergewaltigungen klarer benennen

Nicht erfüllt wurde die Forderung von Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), dass die Vergewaltigung von Israelinnen durch Hamas-Kämpfer deutlicher verurteilt und klarer benannt wird. In den Schlussfolgerungen wird die Hamas nicht ausdrücklich im Zusammenhang mit sexueller Gewalt genannt, allerdings wird auf UNO-Berichte verwiesen, in denen es um sexuelle Gewalt bei der Attacke am 7. Oktober 2023 geht.

Es wird allerdings auch auf Berichte der UNO-Sonderberichterstatterin Reem Alsalem verwiesen. Sie war unter anderem an einem Bericht beteiligt, in dem sexuelle Gewalt israelischer Soldaten gegen palästinensische Frauen beklagt wird.

Wochenlange Diskussionen

Der Einigung auf die Erklärung waren wochenlange Diskussionen zwischen den Mitgliedsstaaten vorausgegangen. Ursprünglich sollten bereits bei Gipfeltreffen im Dezember und Anfang Februar Erklärungen zum Nahost-Konflikt veröffentlicht werden. Doch hatten sich die Staaten nicht auf eine Linie einigen können.

Vor allem Länder wie Österreich, Tschechien und Ungarn halten es eigentlich für unangebracht, Israel nach dem Massaker der islamistischen Hamas in Israel vom 7. Oktober zu großer Zurückhaltung aufzufordern. Auf der anderen Seite stehen Länder wie Spanien, die das Vorgehen Israels im Gazastreifen für völkerrechtswidrig halten und sich eine stärkere Reaktion der EU wünschen.

Nehammer: „Verursacher dieser Tragödie ist Hamas“

Es gebe viele Probleme und viele zivile Opfer im Gazastreifen. Aber man dürfe Täter und Opfer nicht verwechseln. „Die Hamas verwendet Menschen, Kinder, Frauen als Schutzschilde für ihr grausames Geschäft. Ziel eins muss es sein, die Hamas zu zerstören. Die Hamas könnte das Leiden sofort beenden. Ich sehe es in österreichischer Verantwortung, darauf hinzuweisen, wer ist der Verursacher dieser Tragödie, und das ist die Hamas“, so der Bundeskanzler.

USA wollen Sicherheitsrat Resolution vorlegen

Die USA wollen dem UNO-Sicherheitsrat ihren Resolutionsentwurf über einen „sofortigen Waffenstillstand“ in Verbindung mit der Geiselfreilassung im Gazastreifen am Freitag zur Abstimmung vorlegen. „Wir werden diese Resolution Freitagfrüh zur Abstimmung bringen“, erklärte Nate Evans, der Sprecher von UNO-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield, am Donnerstag.

Cupal (ORF) über US-Resolution

Inhaltlich sei in der US-Resolution, in der eine sofortige Waffenruhe in Gaza gefordert wird, kein Kurswechsel zu sehen, so der ORF-Korrespondent Tim Cupal. Der Grund sei, dass die Waffenruhe an Bedingungen für die Hamas geknüpft ist, zum Beispiel die Freilassung aller israelischen Geiseln. Ein Kurswechsel sei aber in der Tonalität der USA zu sehen.

Die US-Resolution werde „eindeutig die laufenden diplomatischen Bemühungen unterstützen“, die darauf abzielten, „einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza als Teil eines Geiselabkommens zu erreichen“. Die USA setzen sich im UNO-Sicherheitsrat erstmals für eine „sofortige Feuerpause“ im Gazastreifen ein. US-Außenminister Antony Blinken hatte den Kurswechsel Washingtons am Mittwochabend bei einem Besuch in Saudi-Arabien bekanntgegeben.

„Wir haben tatsächlich eine Resolution vorgelegt, die jetzt dem Sicherheitsrat vorliegt, die eine sofortige Feuerpause verbunden mit der Freilassung der Geiseln fordert“, sagte Blinken im Sender Al-Hadath. Er hoffe, dass davon ein „starkes Signal“ ausgehe.

Israel: Rafah-Offensive auch ohne Zustimmung der USA

Eine israelische Delegation wird kommende Woche auf Aufforderung der US-Regierung zudem in Washington erwartet. Dort will Israels wichtigster Verbündeter laut Berichten Alternativen zu einer Bodenoffensive aufzeigen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe US-Präsident Joe Biden nach eigenen Worten jedoch schon „unmissverständlich klargemacht“, dass seine Regierung zur Zerschlagung der letzten verbliebenen Bataillone der Hamas entschlossen sei. Nur so könne die Hamas nachhaltig besiegt und entmachtet werden, sagte der israelische Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer.

Dessen Angaben zufolge werde die israelische Armee die geplante Militäroffensive in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Gazastreifen auch durchführen, selbst wenn das zu einem Zerwürfnis mit den USA führen sollte. „Es wird geschehen, auch wenn Israel gezwungen ist, allein zu kämpfen“, sagte Dermer, der laut Berichten Teil der Delegation in Washington sein wird.