Ein brennender Obus
AP/Telegram Channel of Petro Andryuschenko, the adviser of the head of Mariupol city’s administration
AKW, Damm betroffen

Neue Angriffe überziehen Ukraine

Bei den seit Monaten schwersten russischen Raketenangriffen auf die ukrainische Energieversorgung wurde am Freitag unter anderem eine Stromleitung zum Atomkraftwerk Saporischschja gekappt. Auch die größte Talsperre der Ukraine wurde getroffen. In beiden Fällen soll es derzeit keine Gefahr für die Sicherheit geben.

In der Nacht herrschte in weiten Teilen der Ukraine erneut Luftalarm. Russland überzieht das Land weiter mit Raketenangriffen und hat dabei offenbar die Energieversorgung im Blick. Ins Visier gerieten praktisch alle Landesteile der Ukraine von Lwiw im Westen bis nach Donezk im Osten, von Charkiw und Sumy im Norden bis nach Odessa und Mykolajiw im Süden.

Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj setzte Russland in der Nacht 60 Schahed-Drohnen iranischer Bauart und fast 90 Raketen für den Angriff ein. „Die Welt erkennt die Ziele der russischen Terroristen absolut klar: Kraftwerke und Stromleitungen, der Damm eines Wasserkraftwerks, gewöhnliche Wohnhäuser und sogar ein Obus“, sagte er. Den Angehörigen der Opfer sprach er sein Beileid aus. Nach ukrainischen Angaben starben mindestens zwei Menschen, drei Menschen würden vermisst. Zudem sei rund eine Million Menschen von Stromausfällen betroffen.

AKW-Betreiber warnt

In der Früh fiel nach einem Angriff die Hochspannungsleitung Dniprowskaja aus, wie die Leitung des besetzten AKW Saporischschja auf Telegram mitteilte. Die Stromversorgung gewährleiste eine Ersatzleitung, Gefahr für die Sicherheit des AKW bestehe nicht, hieß es weiter. Die Situation sei aber gefährlich „und droht einen Notfall auszulösen“, erklärte der ukrainische Betreiber Enerhoatom. Wenn die letzte Stromleitung unterbrochen werde, stehe die Anlage „kurz vor einem erneuten Stromausfall, wodurch die Bedingungen für einen sicheren Betrieb ernsthaft verletzt werden“.

Das Atomkraftwerk in Saporischschja ist das größte Europas. Es war kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine von russischen Truppen besetzt worden, wird aber von ukrainischen Leitungen mit Strom versorgt. Wegen der Sicherheitsbedenken wurden die Reaktoren heruntergefahren, müssen aber weiter gekühlt werden.

Zerstörungen in Saporischschja nach russischem Angriff
Reuters/Ivan Fedoreov Via Telegram
Ein Drohnenbild zeigt die Zerstörungen in Saporischschja

Seit Kriegsbeginn gab es zahlreiche Stromausfälle in dem AKW, bei denen auf Notfallgeneratoren und Sicherheitssysteme zurückgegriffen wurde. „Sollten diese versagen, wird die Gefahr eines Reaktor- und Strahlenunfalls auftreten“, sagte Enerhoatom.

Damm getroffen

Einen Angriff gab es auch auf das Wasserkraftwerk und die dazugehörende Talsperre DniproHES am Saporischschja-Stausee. Der Damm sei getroffen worden, laut ukrainischen Angaben besteht jedoch kein Risiko eines Bruchs. Es gebe ein Feuer in der Anlage, die Notfalldienste waren im Einsatz.

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal betonte, dass die Lage im ukrainischen Energiesystem „grundsätzlich unter Kontrolle“ sei. Es gebe keine Notwendigkeit zur Aktivierung von Notfallplänen, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Ukrinform. An der Behebung der Schäden werde bereits gearbeitet.

„Das Ziel (der Angriffe) besteht nicht nur darin, das Energiesystem des Landes zu beschädigen, sondern wie im letzten Jahr erneut zu versuchen, einen großflächigen Ausfall herbeizuführen“, schrieb der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko auf Facebook. In mehreren Landesteilen kam es im Zuge der Angriffe zu größeren Stromausfällen. In Charkiw gab es etwa laut Bürgermeister Ihor Terechow 15 Explosionen, Ziel sei auch hier die Energieinfrastruktur gewesen.

Die russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur und andere zivile Einrichtungen wurden von Österreich scharf verurteilt. „Diese Angriffe sind gefährlich und verantwortungslos. Während (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) Putin seinen Krieg fortsetzt, stehen wir weiterhin zur Ukraine“, teilte das Außenministerium am Freitag auf X (Twitter) mit.

Auch Ukraine flog Angriffe

Auch die Ukraine flog erneut Angriffe. Bei einer Attacke auf die russische Region Belgorod wurde nach Angaben des lokalen Gouverneurs ein Mensch getötet. Auch der Gouverneur der benachbarten Region Kursk, Roman Starowoit, berichtete über nächtlichen Beschuss. In der grenznahen Ortschaft Tjotkina sei dabei eine Person verletzt worden. Auch dort habe es Sachschäden gegeben.

Noch nicht bestätigt wurde eine von Medien gemeldete Bruchlandung eines Hubschraubers vom Typ Mi-8 in der Region Belgorod. Der Pilot habe verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, berichtete das Internetportal Baza. Belgorod und Kursk dienen der russischen Armee auch als Aufmarschgebiet für die Invasion der Ukraine. Die Regionen sind zuletzt deswegen auch verstärkt unter den Beschuss ukrainischer Kräfte geraten.

EU will Militärhilfe absichern

Indes gehen auf politischer Ebene die Verhandlungen darüber weiter, wie in Europa eingefrorenes Geld aus Russland zur Unterstützung der Ukraine verwendet werden kann. Die 27 EU-Staaten wollen in den kommenden Wochen ausarbeiten, wie die Zinsen aus russischem Vermögen für Waffenkäufe für die Ukraine genutzt werden können, wie der EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel entschied.

Bis zum 1. Juli könnte die erste Milliarde eingesetzt werden, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die EU-Kommission rechnet insgesamt mit Zinserträgen von bis zu drei Milliarden Euro pro Jahr. Mit dem Geld könnte etwa der weltweite Ankauf von Munition für die Ukraine finanziert werden.

Dem EU-Sanktionsbeauftragten David O’Sullivan zufolge will die EU zudem gemeinsam mit ihren Verbündeten gegen den Export von Gütern aus China zur Unterstützung des russischen Militärs vorgehen. Er habe diese Woche mit seinen US-Kollegen erörtert, wie man gegen die wachsende Rolle Chinas und die Rolle von Produktionszentren in Südostasien vorgehen könne.

Moskau wolle so die wegen des Krieges in der Ukraine verhängten Sanktionen gegen das Land umgehen. „Wir werden weiter prüfen, wie wir das Problem angehen können. Wir sehen, dass Hongkong und China als Quelle für diese Produkte immer mehr in den Mittelpunkt rücken. Wir sehen aber auch westliche Produktionszentren in Südostasien als Lieferquelle“, sagte O’Sullivan in Washington.