Zunächst hatte der Abgeordnete Alexander Chinschtein auf Telegram mitgeteilt, dass nach einer Verfolgungsjagd des mutmaßlichen Fluchtfahrzeugs mit Waffen zwei Personen festgenommen worden und weitere Verdächtige zu Fuß in einen nahegelegenen Wald geflüchtet seien. Kurz darauf meldete der russische Geheimdienst FSB dem Kreml, dass elf Personen verhaftet worden seien, darunter vier Verdächtige, die unmittelbar in den Anschlag involviert gewesen sein sollen, berichtete die Agentur TASS unter Berufung auf den Kreml.
Kurz darauf teilte der FSB seine Einschätzung mit, dass die Angreifer „Kontakte“ in die Ukraine hätten und versucht hätten, nach dem Angriff dorthin zu fliehen. Die Terrororganisation IS bekannte sich zu dem Anschlag. Experten halten das Bekennerschreiben für glaubwürdig. Auch die US-Geheimdienste teilten mit, dass es „keinen Grund für Zweifel (am Bekennerschreiben, Anm.)“ gebe. Russland kritisiert diese Schlüsse aber als vorschnell.
Russische Kritik an Haltung der USA
Das russische Außenministerium kritisierte, dass die USA sehr schnell die Ukraine als möglichen Drahtzieher des Anschlags entlastet habe. „Wenn die USA oder ein anderes Land verlässliche Fakten haben, sollten sie diese der russischen Seite zukommen lassen.“ Wenn es solche Fakten nicht gebe, hätten weder das Weiße Haus noch sonst jemand das Recht, vorab eine Absolution zu erteilen, sagte dessen Sprecherin Maria Sacharowa.
Die USA hatten in einer ersten Reaktion gemahnt, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen: „Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten“, sagte der Kommunikationschef des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby. Die USA hatten erst vor Kurzem vor einem möglichen Terroranschlag in Russland gewarnt.
Der russische Präsident Wladimir Putin tat diese Warnungen erst am Dienstag als westliche Provokation ab: „All das erinnert an offene Erpressung und die Absicht, Angst zu verbreiten und unsere Gesellschaft zu destabilisieren.“
Experte hält IS-Bekennerschreiben für echt
Die Terrororganisation IS hatte auf Telegram mitgeteilt, dass IS-Kämpfer „eine große Zusammenkunft (…) am Rande der russischen Hauptstadt Moskau angegriffen“ hätten. Der Terrorexperte Peter Neumann vom King’s College in London hält das Bekennerschreiben für echt. „Die Bekennernachricht lief über alle offiziellen IS-Kanäle. Ich und meine Kollegen können das 100%ig bestätigen“, schrieb Neumann auf X (Twitter).
Er warnt auch vor Falschnachrichten, die auf russischen Telegram-Kanälen kursierten mit der Behauptung, die IS-Mitteilung sei gefälscht. Es gebe „bereits massenweise ‚Fake News‘ – vermutlich, um das Narrativ zu spinnen, die Ukraine sei für den Anschlag verantwortlich“, schrieb Neumann.
Laut ORF-Korrespondentin Carola Schneider sind IS-Zellen in Russland bekannt. Der Geheimdienst FSB habe erst kürzlich zwei solcher Zellen ausgehoben, die einen Anschlag auf eine Synagoge in Moskau geplant haben sollen. Der IS wolle sich für das Vorgehen Moskaus in Syrien rächen, viele der Kämpfer stammten etwa aus Tschetschenien.
Terrorermittlungen in Russland
Von offizieller Seite in Russland gibt es bisher keine Angaben zu den Hintergründen der Tat sowie zu dem IS-Bekennerschreiben. Putin richtete den Verletzten rasche Genesungswünsche aus, äußerte sich aber sonst nicht offiziell zu dem Anschlag. Nach einem Bericht der TASS telefonierte er am Samstag mit dem weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Beide bekräftigten demnach ihre Bereitschaft, bei der Terrorismusbekämpfung zusammenzuarbeiten.
Die Chefin des Föderationsrats des Oberhauses des russischen Parlaments, Valentina Matwijenko, drohte den Drahtziehern mit Vergeltung. „Diejenigen, die hinter diesem fürchterlichen Verbrechen stehen, werden die verdiente und unausweichliche Strafe dafür erhalten.“ In Moskau wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft – auch an Flughäfen und Bahnhöfen anderer Großstädte. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin sagte alle öffentlichen Veranstaltungen für das Wochenende ab. Museen und Theater kündigten Schließungen an.
Kiew dementiert Verantwortung
Kiew reagierte auf indirekte Vorwürfe: Man habe „absolut nichts“ mit dem Schusswaffenangriff zu tun. „Lassen Sie uns klarstellen, dass die Ukraine absolut nichts mit diesen Ereignissen zu tun hat“, schrieb der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mychailo Podoljak, via Telegram.
Die Legion Freiheit Russlands, eine in der Ukraine ansässige Gruppe kremlfeindlicher russischer Kämpfer, die regelmäßig bewaffnete Vorstöße in russische Grenzregionen unternimmt, bestritt ebenfalls jegliche Beteiligung an dem Angriff auf eine Konzerthalle in einem Vorort von Moskau. „Wir betonen, dass die Legion nicht gegen russische Zivilisten kämpft.“
Schüsse kurz vor Konzert
In dem großen Konzertsaal mit 6.200 Plätzen des Veranstaltungszentrums Crocus City Hall hatten am Freitag mehrere Täter in Tarnkleidung kurz vor Beginn des ausverkauften Konzerts der Rockband Piknik wahllos auf Besucher und Besucherinnen geschossen. Laut Ermittlern wurde auch eine brennbare Flüssigkeit eingesetzt, um Feuer zu legen. Einige Besucher erlagen Rauchgasvergiftungen. Der Großbrand der Konzerthalle wurde erst in den frühen Morgenstunden unter Kontrolle gebracht.
Das russische Zivilschutzministerium teilte mit, dass das Gebäude auf einer Fläche von 13.000 Quadratmetern in Flammen gestanden war. Augenzeugenberichten zufolge brauchten die Menschen lange, um aus dem Gebäude herauszukommen. Die Nachrichtenagentur TASS meldete, dass bis Samstagfrüh alle Opfer des Anschlags aus dem Gebäude gebracht wurden. Unter den Toten befanden sich laut Behörden auch drei Kinder. In der Nacht fanden Ermittler Waffen und große Mengen an Munition.
Schock über Anschlag
Die EU reagierte bestürzt auf den Anschlag. Angesichts der Berichte über einen Terroranschlag sei man schockiert und entsetzt, teilte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell auf X mit. „Die EU verurteilt jegliche Angriffe gegen Zivilisten. Unsere Gedanken sind bei allen betroffenen russischen Bürgern.“ Mehrere arabische Länder, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und Syrien, verurteilten den Anschlag ebenfalls.
Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich entsetzt. Den betroffenen Familien und den Menschen in Russland sowie der Regierung sprach der UNO-Chef sein „tiefes Beileid“ aus, wie es in einer Mitteilung hieß. Auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte den „abscheulichen und feigen Terroranschlag“.