Blumen im Gedenken an die Opfer des Anschlags
Reuters/Maxim Shemetov
Experte zu Anschlag

„Alle Belege weisen Richtung IS“

Bereits am Freitagabend kurz nach dem verheerenden Anschlag in der Konzerthalle bei Moskau mit mindestens 133 Todesopfern hat die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) die Verantwortung übernommen. Russland sieht hingegen Verbindungen in die Ukraine. Die Angreifer hätten dort „Kontakte“ gehabt. Terrorismusexperte Peter Neumann hält aber eine Beteiligung der Ukraine für ausgeschlossen.

„Alle Belege weisen Richtung IS“, sagte Neumann am Samstag im Ö1-Mittagsjournal. Das Bekennerschreiben des IS sei „sehr plausibel und authentisch, weil es über die richtigen Kanäle verbreitet wurde“. Der Terrorismusexperte vermutet den Versuch, der Ukraine die Schuld für den Anschlag zuzuschieben, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Die USA und andere westliche Länder warnten erst kürzlich vor möglichen Anschlägen, der russische Präsident Wladimir Putin hatte diese Warnungen lächerlich gemacht und als westliche Provokation bezeichnet.

Neumann hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Gruppe IS Khorasan hinter dem Anschlag steckt. Das sei derzeit die einzige Gruppe, die Anschläge im nicht muslimischen Ausland verübe und nicht nur in Afghanistan, sondern auch stark in Tadschikistan und Usbekistan rekrutiere. Laut Ermittlerangaben seien sechs der festgenommenen Verdächtigen aus Tadschikistan, sieht Neumann weitere Hinweise, die auf diese Gruppe verweisen.

Am Samstag veröffentlichte der IS ein Foto, das die Verantwortlichen für den Angriff auf die Konzerthalle zeigen soll. Der Vorfall in Russland stehe in Zusammenhang mit dem „wütenden Krieg“ zwischen dem IS und den Ländern, die gegen den Islam kämpfen, hieß es in der neuen Erklärung.

FSB: Elf Verdächtige festgenommen

Der russische Geheimdienst FSB hatte Samstagfrüh in der Grenzregion Brjansk die Festnahme von elf Personen gemeldet, darunter seien vier Verdächtige, die unmittelbar in den Anschlag involviert gewesen sein sollen. Die Verdächtigen hätten nach Einschätzung des FSB „Kontakte“ in die Ukraine, sie hätten zudem versucht, nach dem Angriff dorthin zu fliehen. Später hieß es aus dem russischen Innenministerium, dass es sich bei den vier mutmaßlichen Attentätern nicht um Russen handle.

Der russische Abgeordnete und Ex-General Andrej Kartapolow forderte laut der Nachrichtenagentur RIA eine deutliche Reaktion auf dem Schlachtfeld, sollte sich herausstellen, dass die Ukraine hinter dem Angriff steckt.

Das russische Außenministerium zeigte sich verärgert, dass die USA die Ukraine als möglichen Drahtzieher des Angriffs schnell entlasteten. Damit reagierte das Ministerium auf eine Aussage aus den USA, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass die Ukraine in die Angriffe involviert sei. Vielmehr hieß es von US-Geheimdiensten, dass es „keinen Grund für Zweifel“ am Bekennerschreiben des IS gebe.

Schnellfeuergewehr am Tatort
AP/Russian Investigative Committee
Die Verdächtigen haben geschossen und laut Ermittlern Brandsätze mit einer brennbaren Flüssigkeit geworfen

Putin: „Barbarische terroristische Tat“

In einer Fernsehansprache Samstagmittag bestätigte Putin, dass alle Angreifer festgenommen worden seien. Sie hätten versucht, in die Ukraine zu fliehen, wiederholte er die bereits zuvor vom FSB vorgebrachten „Kontakte“ zur Ukraine.

„Sie haben versucht, sich zu verstecken, und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war“, so Putin. Er kündigte harte Strafen für die „barbarische terroristische Tat“ an. Er ging aber nicht auf das Bekennerschreiben des IS ein. Am Sonntag soll ein Tag der Trauer stattfinden.

Kiew: Vorwürfe „absurd“

Kiew stellte bereits am späten Freitagabend klar, dass es „absolut nichts“ mit dem Attentat zu tun habe. Die Vorwürfe seien „absurd“. „Es war klar, dass die Version der russischen Verantwortlichen ‚die ukrainische Spur‘ sein würde“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Auch die Legion Freiheit Russland, eine in der Ukraine ansässige Gruppe kremlfeindlicher russischer Kämpfer, dementierte jegliche Beteiligung.

Das Antidesinformationszentrum des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrats der Ukraine stellte am Samstag sogar die Vermutung auf, dass Russland den Terroranschlag in der Konzerthalle inszeniert haben könnte, um die Ukraine zu diskreditieren und eine neue Einberufungswelle in die Armee zu rechtfertigen.

Auch Kinder unter Toten

Offiziellen Angaben zufolge starben bei dem Angriff von Freitagabend im Veranstaltungszentrum Crocus City Hall auch drei Kinder. Menschen legten aus Trauer Blumen und Plüschtiere beim Ort des Anschlags ab.

Mehrere Täter hatten kurz vor dem Konzert der Rockband Piknik wahllos auf Besucher und Besucherinnen geschossen. Mit brennbaren Flüssigkeiten wurde Ermittlern zufolge Feuer gelegt. Der Großbrand zerstörte die häufig genutzte Konzerthalle. Das Dach stürzte Medienberichten zufolge teilweise ein.

Internationales Entsetzen

EU und UNO verurteilten den Angriff. Aber auch die Taliban meldeten sich mit einer Verurteilung des Attentats. Es sei eine „koordinierte, klare und entschlossene Haltung“ der Länder in der Region gegen Terror erforderlich, schrieb der Sprecher des Taliban-Außenministeriums, Abdul Kahar Balchi, am Samstag auf X (Twitter). Mehrere arabische Länder, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und Syrien, verurteilten den Anschlag ebenfalls.

Beileidsbekundungen für die Opfer des Angriffs kamen auch vom deutschen Kanzler Olaf Scholz, dem britischen Außenminister David Cameron und von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Bundespräsident Alexander Van der Bellen bezeichnete die Bilder des Anschlags als „schockierend“. Nichts könne solche abscheulichen Verbrechen rechtfertigen, argumentierte die NATO.