Trauernde bei einer Gedenkstätte für die Opfer des Terroranschlags in Moskau
Reuters/Maxim Shemetov
Moskau-Attentat

Tag der Trauer in Russland

Zwei Tage nach dem verheerenden Attentat auf eine Konzerthalle nahe Moskau mit mehr als 130 Toten begeht Russland am Sonntag einen nationalen Tag der Trauer. Bereits am Samstag legten viele Menschen Blumen in mehreren Städten des Landes zum Gedenken an die Terroropfer an improvisierte Gedenkstätten. Washington bezeichnete die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterdessen als „gemeinsamen Feind“ der USA und Russlands.

Die USA und andere westliche Länder hatten erst kürzlich vor möglichen Anschlägen gewarnt, der russische Präsident Wladimir Putin hatte diese Warnungen lächerlich gemacht und als westliche Provokation bezeichnet. Allerdings hatte nicht nur die US-Botschaft eigene Staatsbürger zuletzt wegen eines möglichen Anschlags zur Vorsicht aufgerufen. Laut Medienberichten hatten US-Geheimdienstvertreter Anfang März ihr russisches Gegenüber direkt vor einem drohenden Anschlag gewarnt.

Internationales Entsetzen

Staatschef Wladimir Putin rief für Sonntag einen nationalen Trauertag aus. Die EU, die USA und die UNO verurteilten den Angriff. Mehrere arabische Länder, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und Syrien, verurteilten den Anschlag ebenfalls.

US-Außenminister Antony Blinken sprach von einem „abscheulichen Verbrechen“ und drückte den Betroffenen „unser tiefstes Beileid aus“. Die USA stünden angesichts des Terrorismus „in Solidarität mit dem russischen Volk, das den Verlust von Menschenleben durch dieses schreckliche Ereignis betrauert“.

Das Weiße Haus versuchte wenig später noch direkter, eine Gemeinsamkeit zu finden, die – angesichts der aufgrund russischer Desinformationskampagnen und des Ukraine-Krieges schwer beeinträchtigten diplomatischen Beziehungen – zumindest eine partielle Kooperation ermöglichen könnte. Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Karine Jean-Pierre, nannte den IS einen „gemeinsamen terroristischen Feind“. Dieser müsse „überall bekämpft werden“, sagte sie. Die USA „verurteilen nachdrücklich die abscheuliche terroristische Attacke von Moskau“, so Jean-Pierre.

Trauernde an einer Gedenkstätte mit Blumen
Reuters/Anton Vaganov
In ganz Russland trauerten Menschen, so wie hier in St. Petersburg

Beileidsbekundungen für die Opfer des Angriffs kamen auch vom deutschen Kanzler Olaf Scholz, dem britischen Außenminister David Cameron und von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Nichts könne solche abscheulichen Verbrechen rechtfertigen, argumentierte die NATO.

Putin deutet in Richtung Kiew

Trotz des Bekenntnisses der Terrorgruppe IS zum Anschlag auf die Konzerthalle nahe Moskau mit mehr als 130 Toten, versuchte Staatschef Wladimir Putin eine Verbindung zur Ukraine herzustellen. Kiew weist die Vorwürfe vehement zurück und befürchtet, Putin könnte das Attentat zum Anlass für eine Eskalation des Krieges gegen die Ukraine nehmen. Warnungen des US-Geheimdienstes vor einem drohenden Anschlag hatte Putin ignoriert.

In einer Fernsehansprache Samstagmittag bestätigte Putin, dass alle Angreifer festgenommen worden seien. Sie hätten versucht, in die Ukraine zu fliehen, wiederholte er die bereits zuvor vom FSB vorgebrachten „Kontakte“ zur Ukraine.

„Sie haben versucht, sich zu verstecken, und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war“, so Putin. Er kündigte harte Strafen für die „barbarische terroristische Tat“ an. Er ging dabei nicht auf das Bekennerschreiben des IS ein. Am Sonntag soll ein Tag der Trauer stattfinden.

Kiew: Vorwürfe „absurd“

Kiew stellte bereits am späten Freitagabend klar, dass es „absolut nichts“ mit dem Attentat zu tun habe. Die Vorwürfe seien „absurd“. „Es war klar, dass die Version der russischen Verantwortlichen ‚die ukrainische Spur‘ sein würde“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Auch die Legion Freiheit Russland, eine in der Ukraine ansässige Gruppe kremlfeindlicher russischer Kämpfer, dementierte jegliche Beteiligung.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Putin Samstagabend vor, er wolle nach dem Attentat die Schuld auf die Ukraine „abwälzen“. Das Antidesinformationszentrum des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrats der Ukraine stellte am Samstag sogar die Vermutung auf, dass Russland den Terroranschlag in der Konzerthalle inszeniert haben könnte, um die Ukraine zu diskreditieren und eine neue Einberufungswelle in die Armee zu rechtfertigen.

Experte: Ablenkungsmanöver Putins

Bereits am Freitagabend kurz nach dem verheerenden Anschlag in der Konzerthalle bei Moskau mit mindestens 133 Todesopfern bekannte sich die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) dazu. Auch Terrorismusexperte Peter Neumann hält die russische Darstellung, Kiew stehe hinter dem Attentat, für ausgeschlossen.

„Alle Belege weisen Richtung IS“, sagte Neumann am Samstag im Ö1-Mittagsjournal. Das Bekennerschreiben des IS sei „sehr plausibel und authentisch, weil es über die richtigen Kanäle verbreitet wurde“. Der Terrorismusexperte vermutet den Versuch, der Ukraine die Schuld für den Anschlag zuzuschieben, um von der eigenen Verantwortung abzulenken.

Neumann hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Gruppe IS Khorasan hinter dem Anschlag steckt. Das sei derzeit die einzige Gruppe, die Anschläge im nicht muslimischen Ausland verübe und nicht nur in Afghanistan, sondern auch stark in Tadschikistan und Usbekistan rekrutiere. Neumann sieht weitere Hinweise, die auf diese Gruppe verweisen: Laut Ermittlerangaben seien sechs der festgenommenen Verdächtigen aus Tadschikistan.

Die abgebrannte Konzerthalle bei Moskau an der ein Anschlag verübt wurde
AP/Alexander Zemlianichenko
Die schwer zerstörte Konzerthalle am Tag danach

Tusk: Nicht als Vorwand missbrauchen

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk verurteilte Samstagabend den Terroranschlag entschieden und sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. Zugleich betonte er: „Wir hoffen, dass diese furchtbare Tragödie niemandem als Vorwand für eine Eskalation von Gewalt und Aggression dienen wird“, schrieb der liberalkonservative Politiker am Samstag bei X (Twitter).

Am Samstag veröffentlichte der IS ein Foto, das die Verantwortlichen für den Angriff auf die Konzerthalle zeigen soll. Der Vorfall in Russland stehe in Zusammenhang mit dem „wütenden Krieg“ zwischen dem IS und den Ländern, die gegen den Islam kämpfen, hieß es in der neuen Erklärung. Dass einige Mitglieder im IS Khorasan aus zentralasiatischen Republiken stammen und ihre eigenen Gründe für eine Abneigung gegen Russland mitbringen, gilt für Fachleute als eines der Motive, warum ausgerechnet Russland als Ziel ausgewählt wurde. Generell habe die Terrorgruppe in den letzten beiden Jahren Putin immer wieder verbal attackiert.

ORF-Analyse: Zweifel an IS-Bekenntnis im Kreml

ORF-Korrespondentin Carola Schneider meldet sich aus Moskau. Sie spricht über das Bekenntnis der Terrororganisation IS zum Attentat in einer Konzerthalle nahe Moskau. Schneider berichtet, dass in kremlnahen Kreisen das Bekennerschreiben des IS öffentlich angezweifelt wird.

FSB: Elf Verdächtige festgenommen

Der russische Geheimdienst FSB hatte Samstagfrüh in der Grenzregion Brjansk die Festnahme von elf Personen gemeldet, darunter seien vier Verdächtige, die unmittelbar in den Anschlag involviert gewesen sein sollen. Später hieß es aus dem russischen Innenministerium, dass es sich bei den vier mutmaßlichen Attentätern nicht um Russen handle.

Mehrere Täter hatten kurz vor dem Konzert der Rockband Piknik wahllos auf Besucher und Besucherinnen geschossen. Mit brennbaren Flüssigkeiten wurde Ermittlern zufolge Feuer gelegt. Der Großbrand zerstörte die häufig genutzte Konzerthalle. Das Dach stürzte Medienberichten zufolge teilweise ein.