Die nach einem Terroranschlag brennende Konzerthalle nahe Moskau
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Moskau-Attentat

IS-Video untergräbt Kreml-Darstellung

Ein neues Video der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die sich zu dem verheerenden Anschlag mit mehr als 130 Toten nahe Moskau bekannt hat, zeigt nicht nur mutmaßliche Details des Attentats, es unterläuft vor allem auch die Darstellung des Kremls und von Staatschef Wladimir Putin, der Ukraine die Schuld zuzuschieben. Über vier Verdächtige wurde inzwischen Untersuchungshaft verhängt.

Nach dem Terroranschlag auf die Konzerthalle bei Krasnogorsk im Oblast Moskau am Freitag veröffentlichte der IS ein Video der Bluttat. Der Propagandakanal AMAK publizierte am Sonntag ein fast 90 Sekunden langes Video, das die Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. In arabischen Untertiteln heißt es, AMAK zeige „exklusive Szenen“ der „blutigen Angriffe auf Christen“.

Zu Beginn ist zu sehen, wie ein schwer bewaffneter Mann mit einem Sturmgewehr in einen Gang feuert, wo bereits viele leblose Körper auf dem Boden liegen. Die Kamera schwenkt daraufhin zu einem der mutmaßlichen Terroristen, der mit einem Messer auf eine Person am Boden einsticht. Daraufhin durchqueren vier Männer einen verlassenen Bereich der Crocus City Hall. Die Stimmen der mutmaßlichen Täter sind verzerrt. Laut arabischen Untertiteln sagt eine Person: „Töte sie ohne Gnade“ und „Wir sind angetreten für die Sache Gottes“.

Vier Männer aus Tadschikistan in Untersuchungshaft

Sonntagabend erließ ein Gericht in Moskau die ersten Haftbefehle gegen vier mutmaßliche Täter. Die Verdächtigen sollen auf Anordnung des Gerichts für zwei Monate in Untersuchungshaft genommen werden. Drei der vier Männer, die einem Gericht in Moskau vorgeführt worden waren, bekannten sich laut dem Gericht in allen Anklagepunkten für schuldig.

Laut russischen Medien soll es sich bei den Verdächtigen um Staatsbürger der ehemaligen Sowjetrepublik Tadschikistan handeln, die in Russland gelebt hätten. Russische Medien veröffentlichten zudem Bilder aus dem Gerichtssaal, die die Verdächtigen zeigen sollen. Auf den Fotos ist zu sehen, dass alle vier Männer Verletzungen an Kopf und Gesicht aufweisen – mutmaßlich durch Misshandlungen oder Folter. Putin und Tadschikistans Präsident Emomali Rachmon hatten bereits Stunden zuvor eine verstärkte Zusammenarbeit in der Bekämpfung des Terrorismus vereinbart.

Experte: Eigene Sicherheit wegen Krieg missachtet

Nach dem Anschlag bei Moskau rücken missachtete Warnungen der USA und anderer westlicher Länder in den Fokus. Präsident Putin hatte diese lächerlich gemacht und als westliche Provokation bezeichnet. Neben den Warnungen, die auch öffentlich gemacht wurden, gab es laut „New York Times“ auch konkretere Warnungen des US-Geheimdienstes direkt an den russischen Geheimdienst. Der Kreml versuchte im Zusammenhang mit dem Anschlag, eine Verbindung zur Ukraine herzustellen.

In Moskaus Fingerzeig in Richtung Kiew ortet Militärexperte Nico Lange ein Ablenkungsmanöver. Putin habe Warnungen vor Anschlägen ignoriert und die innere Sicherheit des Landes zugunsten des Krieges vernachlässigt, sagte der Militärexperte Lange, Mitglied der Münchner Sicherheitskonferenz, der „Bild am Sonntag“. Das räche sich nun. „So oder so“ werde Russland westliche Geheimdienste, die Ukraine und die NATO verantwortlich machen, „auch um vom Versagen Putins abzulenken“.

„Putin wird diese Anschläge ausnutzen, um innere Säuberungen vorzunehmen und möglicherweise auch um noch mehr Brutalität und Unmenschlichkeit nach innen und nach außen zu rechtfertigen“, so Lange.

Tag der Trauer in Russland

Zwei Tage nach dem verheerenden Attentat auf eine Konzerthalle nahe Moskau mit mehr als 130 Toten begeht Russland am Sonntag einen nationalen Tag der Trauer.

Politikwissenschaftler Thomas Jäger rechnete gegenüber der „Bild“ damit, dass Putin den Angriff nutzen werde, um Russland „als bedroht darzustellen, als von Feinden umgeben, gegen die es mit aller Gewalt vorgehen muss“. Das bedeute, die Repression im Inneren zu verstärken und nach außen den Krieg gegen die Ukraine zu intensivieren. Gleichzeitig dürften die „Desinformationskampagnen gegen demokratische Staaten hochgefahren“ werden, vermutete der Lehrstuhlinhaber für Internationale Politik an der Universität Köln.

Als Reaktion auf den Anschlag sprachen sich im Laufe des Wochenendes mehrere Verbündete Putins für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. „Es wird eine Entscheidung getroffen werden, die der Stimmung und den Erwartungen unserer Gesellschaft entspricht“, sagte der Fraktionschef der Regierungspartei Geeintes Russland, Wladimir Wassiljew. Ähnlich äußerten sich der hochrangige Abgeordnete Juri Afonin und Ex-Präsident Dmitri Medwedew.

Polizei in Moskau
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Spekulationen über einen möglichen Terroranschlag in Moskau sind seit 7. März kursiert

Spekulationen seit 7. März

Spekulationen über einen möglichen Terroranschlag in Moskau kursierten seit dem 7. März. Damals hatte die US-Botschaft eine diesbezügliche Warnung ausgesprochen, die am 8. März unter anderem auch vom österreichischen Außenministerium übernommen worden war.

Putin hatte seinerseits am Dienstag „provokative Erklärungen einer Reihe von offiziellen westlichen Strukturen“ über einen möglichen Terroranschlag in Russland heftig angeprangert. „All das erinnert an offene Erpressung und die Absicht, Angst zu verbreiten und unsere Gesellschaft zu destabilisieren“, hatte er ausgerechnet vor den Spitzen des für Terrorbekämpfung verantwortlichen Inlandsgeheimdienstes FSB erklärt.

Putin deutet in Richtung Kiew

Trotz des Bekenntnisses der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) zum Anschlag versuchte Putin am Samstag eine Verbindung zur Ukraine herzustellen. Kiew weist die Vorwürfe vehement zurück und befürchtet, Putin könnte das Attentat zum Anlass für eine Eskalation des Krieges gegen die Ukraine nehmen. In einer Fernsehansprache Samstagmittag bestätigte Putin, dass alle Angreifer festgenommen worden seien. Sie hätten versucht, in die Ukraine zu fliehen, wiederholte er die bereits zuvor vom FSB vorgebrachten „Kontakte“ zur Ukraine.

Putin ging dabei nicht auf das Bekennerschreiben des IS ein. Terrorismusexperte Peter Neumann hält die russische Darstellung, Kiew stehe hinter dem Attentat, für ausgeschlossen. „Alle Belege weisen Richtung IS“, sagte Neumann bereits am Samstag im Ö1-Mittagsjournal.

Kiew: Vorwürfe „absurd“

Kiew stellte bereits am späten Freitagabend klar, dass es „absolut nichts“ mit dem Attentat zu tun habe. Die Vorwürfe seien „absurd“. „Es war klar, dass die Version der russischen Verantwortlichen ‚die ukrainische Spur‘ sein würde“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Putin Samstagabend vor, er wolle nach dem Attentat die Schuld auf die Ukraine „abwälzen“.

Das Antidesinformationszentrum des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrats der Ukraine stellte am Samstag sogar die Vermutung auf, dass Russland den Terroranschlag in der Konzerthalle inszeniert haben könnte, um die Ukraine zu diskreditieren und eine neue Einberufungswelle in die Armee zu rechtfertigen.

Gedenken an die Opfer des Anschlags in Moskau
Reutes/Maxim Shemetov
Trauernde legen Blumen nieder

Tag der Trauer in Russland

In Russland wehten am Sonntag zum Gedenken an die Anschlagsopfer die Fahnen auf halbmast. Putin hatte einen nationalen Trauertag ausgerufen. Vor dem Konzertsaal, in dem am Freitag nach Behördenangaben 137 Menschen getötet und mehr als 150 verletzt worden waren, legten Trauernde Blumen nieder.

Zerstörung nach Anschlag in der Konzerhalle in Moskau
AP/Russian Emergency Ministry
Die Eigentümerfirma der abgebrannten Crocus City Hall versprach einen Wiederaufbau des Gebäudes

Die Menschenschlange zu dem improvisierten Gedenkort am Zaun des Veranstaltungszentrums erstrecke sich über mehrere hundert Meter, meldete die Nachrichtenagentur TASS. Die Eigentümerfirma des Konzertsaals, der bei dem tödlichen Anschlag am Freitag abgebrannt ist, versprach einen Wiederaufbau des Gebäudes. Papst Franziskus verurteilte den Anschlag beim Angelus-Gebet am Palmsonntag und ermahnte zum Frieden in der „gepeinigten Ukraine“.

Forensiker setzten unterdessen die Identifizierung der Opfer fort. Bis Sonntagnachmittag seien 62 Opfer identifiziert worden, teilte das staatliche Ermittlungskomitee mit.