Beschädigtes Haus in Moskau
Reuters/Maxim Shemetov
Anschlag nahe Moskau

Terror rückt IS-Ableger in den Fokus

Der Anschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau rückt den Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in den Fokus. Vom IS Khorasan (IS-K), der sich zur Terrorattacke mit über 130 Toten bekannte, geht nach Ansicht von Fachleuten auch eine Gefahr für Westeuropa aus. In Österreich machte der Name der Gruppe in Zusammenhang mit Anschlagsplänen zu Weihnachten die Runde, die der Terrorismusexperte Peter Neumann am Montag in der ZIB2 als sehr ernst zu nehmende Anschlagsgefahr bezeichnete.

Zur Frage, warum dieser IS-Ableger nun in Russland zugeschlagen habe, sagte der am Londoner King’s College tätige Experte, dass es dem IS-K in erster Linie wohl nicht um Russland gegangen sei. Vielmehr gehe es dem IS-Ableger mit Attentaten im Iran, der Türkei, aber auch den Anschlagsplänen in Wien und Köln um größtmögliche Aufmerksamkeit. Es handle sich um den derzeit „aggressivsten“ IS-Ableger, der, wie Neumann betonte, nun auch wieder über die für „Kommandoaktionen“ notwendigen Netzwerke verfüge.

In den vergangenen Jahren habe man häufig Einzeltäter gesehen – Anhänger des IS, die Propaganda im Internet konsumiert und dann auf eigene Initiative etwas unternommen hätten, so Neumann. Mit dem IS-K komme eine organisierte Gefahr hinzu, „eine recht professionelle Gruppe“, die laut Neumann aktuell auch für Europa wohl die größte Terrorgefahr darstelle.

Terrorforscher: Beweise für Ukraine-Beteiligung an Terror fehlen

Terrorforscher und Extremismusexperte Peter Neumann (King’s College London) geht davon aus, dass die nun verhafteten Tadschiken an dem Terroranschlag in Moskau beteiligt waren. Für eine Drahtzieherschaft der Ukraine würden seiner Ansicht nach Beweise fehlen.

„Wenig überrascht“ über Putins Aussage

Der IS-K hatte sich zum Anschlag auf die Crocus-Konzerthalle in Krasnogorsk nahe der russischen Hauptstadt bekannt. Zudem veröffentlichte die Terrorgruppe ein Video der Attentäter am Anschlagsort. Die BBC konnte die Aufnahmen verifizieren. Die mutmaßlichen Angreifer wurden Sonntagabend einem Moskauer Gericht vorgeführt. Sie wiesen sichtbare Folterspuren auf. Über die Männer, die aus Tadschikistan stammen und in Russland gelebt haben sollen, wurde Untersuchungshaft verhängt.

Personen legen Blumen an Gedenkort
Reuters/Maxim Shemetov
Vor dem Anschlagsort in Krasnogorsk legten Trauernde Blumen nieder

Neumann hatte am Samstag im Ö1-Mittagsjournal davon gesprochen, dass aus seiner Sicht „alle Belege“ in Richtung IS weisen. Das Bekennerschreiben des IS sei „sehr plausibel und authentisch, weil es über die richtigen Kanäle verbreitet wurde“. Auch Sprache und Kontext hätten zusammengepasst – vieles deute nach wie vor auf „echtes Täterwissen“ hin, wie Neumann am Montag dazu sagte.

Der Kreml lehnte es lange ab, sich zum Bekenntnis des IS zu äußern. „Die Ermittlungen dauern an“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. „Es wurde noch keine kohärente Version vorgebracht. Wir sprechen nur über vorläufige Daten.“ Präsident Wladimir Putin plane nicht, den Tatort zu besuchen, fügte Peskow hinzu.

Putin selbst sprach am Montag in einer vom russischen Fernsehen übertragenen Rede davon, dass der Anschlag von „radikalen Islamisten“ durchgeführt worden sei, sagte dazu aber auch: „Wir wissen nun, wessen Hände dieses Verbrechen gegen Russland und sein Volk verübten, jetzt wollen wir wissen, wer der Auftraggeber ist.“ Neumann zeigte sich von Putins Schwenk Richtung Dschihadisten wenig überrascht: Es wäre absurd gewesen, wenn Putin weiterhin die Täterschaft des radikalen Islamismus komplett bestritten hätte.

Höchste Terrorwarnstufe in Frankreich

Neumann und andere Fachleute vermuten den Versuch, der Ukraine die Schuld für den Anschlag zuzuschieben, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Die USA und andere westliche Länder hatten erst kürzlich vor möglichen Anschlägen gewarnt, Putin hatte diese Warnungen lächerlich gemacht und als westliche Provokation bezeichnet.

Analyse: Erhöhte Warnstufe in Frankreich

Nach dem Anschlag auf einen Konzertsaal bei Moskau mit mehr als 130 Toten ruft die französische Regierung in ihrem Land nun die höchste Alarmstufe aus. Peter Fritz analysiert.

In Frankreich wurde in direkter Reaktion auf den Moskau-Anschlag die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen. Präsident Emmanuel Macron zufolge hat derselbe wohl involvierte Ableger des IS zuletzt auch in Frankreich versucht, Anschläge zu verüben. „Diese bestimmte Gruppe, die, wie es scheint, in den Anschlag verwickelt ist, hat in den vergangenen Monaten mehrere (Anschlags-)Versuche auf unserem eigenen Boden gemacht“, so Macron. Vorsichtshalber habe man daher die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen. Ende Juli beginnen in Paris die Olympischen Spiele.

Auch Italien verstärkt vor Ostern die Sicherheitsvorkehrungen. Die Überwachung durch die Polizei werde verstärkt, teilte das Innenministerium in Rom am Montag mit. Besondere Aufmerksamkeit gelte sensiblen Zielen. Die deutsche Regierung sieht die Sicherheitsbehörden des Landes gewappnet. Die Sicherheitsmaßnahmen seien bereits besonders hoch, hieß es aus dem Innenministerium.

Anschläge in Afghanistan

Der IS-K ist ein Ableger der Terrormiliz, die Ende 2014 von sunnitischen Extremisten gegründet worden war. Der IS hatte die Schwäche des irakischen Staates und den Bürgerkrieg in Syrien ab 2011 genützt, um in Teilen beider Länder eine Schreckensherrschaft zu errichteten.

Mit dem Eingreifen der russischen Armee auf der Seite des syrischen Diktators Baschar al-Assad ab 2015 wurde Russland zu einem der Feindbilder der IS-Terroristen. Bis zum militärischen Sieg über den IS 2016 schwappte dessen extremistische Ideologie auch auf andere Weltregionen über.

Zerstörte Gegenstände auf Straße in Afghanistan nach Explosion
APA/AFP/Wakil Kohsar
IS-K-Anschlag in Afghanistans Hauptstadt Kabul im Jahr 2023

So schworen abtrünnige Mitglieder der pakistanischen Taliban-Organisation Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP), der afghanischen Taliban und der Islamischen Bewegung in Usbekistan dem damaligen IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi die Treue und gründeten den regionalen IS-K.

Auch sunnitische Extremisten aus dem mehrheitlich schiitischen Iran und Mitglieder der Islamischen Turkestan-Partei, die sich unter anderen aus Uiguren aus dem Nordosten Chinas zusammensetzt, schlossen sich der Terrorgruppe an.

Blutige Anschläge in Afghanistan

Khorasan ist eine historische Region in Zentralasien, auf dem Gebiet der heutigen Staaten Afghanistan, Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan. Anfang 2015 erkannte die Führung des IS schließlich den Ableger offiziell an. Der IS-K konnte in der Folge vor allem im Nordosten Afghanistans Fuß fassen.

Seither gingen einige der blutigsten Anschläge der vergangenen Jahre in Afghanistan und Pakistan auf das Konto des IS-Ablegers. Die sunnitischen Extremisten nahmen dabei vor allem schiitische Muslime, die sie als „Ketzer“ betrachten, ins Visier. Kämpfer des IS-Ablegers verübten außerdem regelmäßig Massaker in Dörfern.

Mutmaßliche Pläne für Anschlag auf Stephansdom

Der US-Geheimdienst CIA schätzte die Stärke des IS-K im Vorjahr auf 1.000 bis 6.000 Mitglieder. Sympathisanten der Terrorgruppe gibt es auch in Europa: So wurden etwa jene Tadschiken, die in Anschlagspläne gegen den Wiener Stephansdom und den Kölner Dom eingebunden gewesen sein sollen, dem IS-K zugerechnet.