Schwarze Rauchsäule über einen Elektrizitätswerk in Kharkiv, Ukraine
AP/Yevhen Titov
Ukraine

Kritische Offensive auf Energieversorgung

Im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben beide Seiten mittlerweile die jeweilige Energieversorgung bzw. Produktion gezielt im Visier. Während Russland mit Angriffen immer mehr Energieinfrastruktur der Ukraine zerstört, bringt die Ukraine Russlands Ölbranche durch Attacken auf die Raffinerien in Bedrängnis. Für die Energieversorgung der Ukraine wird es aber langsam kritisch.

In der Nacht auf Karfreitag meldete die Ukraine nach landesweitem Luftalarm und breiten russischen Angriffen erneut schwere Schäden an der Energieinfrastruktur des Landes. Es seien Wasser- und Wärmekraftwerke im Westen und im zentralen Teil der Ukraine beschädigt worden, teilte der Energieversorger Ukrenerho mit.

Die ukrainische Luftverteidigung meldete in der Früh, es seien von insgesamt 99 russischen Zielen 84 abgeschossen worden. Demnach setzte Russland Drohnen, Raketen und Marschflugkörper ein. Im Westen der Ukraine meldeten die Gebiete Iwano-Frankiwsk und Chmelnyzkyj Explosionen nach kombinierten Luftschlägen.

Schwarze Rauchsäule über der Raffinerie Lysychansk in der Region Luhansk, Ukraine
Reuters/Gleb Garanich
Die Angriffe Russlands konzentrieren sich derzeit auf die Energieversorgung der Ukraine, wie hier die Raffinerie Lyssytschansk

Nach Angaben des Energieministeriums in Kiew waren dieses Mal besonders Anlagen für die Stromerzeugung Ziele der Raketen und Drohnen. Einsatzkräfte arbeiteten daran, die Folgen der Luftschläge zu beseitigen, teilte das Ministerium mit. Betroffen war unter anderem auch die Region Dnipropetrowsk.

Ukraine muss Strom importieren

Russland versucht durch die Angriffe auf die Energieinfrastruktur, die Menschen in der Ukraine auch psychisch zu zermürben. Dem Stromnetzbetreiber Ukrenerho zufolge sind im Gebiet Charkiw derzeit planmäßige Stromabschaltungen notwendig. Gefährdet ist die Stromversorgung auch in den Gebieten Odessa und Chmelnyzkyj. Die Ukraine importiert derzeit Strom aus fünf westlichen Nachbarländern.

US-Botschafterin Bridget Brink verurteilte „Russlands barbarische Anstrengungen, Millionen von Männern, Frauen und Kindern den Strom zu nehmen“. „Die ganze Nacht über hat Russland rücksichtslos Raketen und Drohnen gegen die Energieinfrastruktur der Ukraine eingesetzt“, schrieb sie im Nachrichtendienst X (Twitter).

Ukraine zielt auf Russlands Ölproduktion

Doch auch die Ukraine zielt besonders auf wunde Punkte Russlands, einer davon ist die Öl- und Gasproduktion, die für Einnahmen und damit die Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine sorgt. Allein seit Mitte März attackierte die Ukraine mit Drohnen mindestens acht russische Ölraffinerien. Damit solle die Wirtschaft des Kriegsgegners geschwächt werden, erklärte der ukrainische Geheimdienst SBU.

Schwarze Rauchsäule über einer Raffinerie in Ryazan, Russland
Reuters/Video Obtained By Reuters
Mitte März wurde die Raffinerie im russischen Rjasan schwer getroffen

An den betroffenen Standorten war Insidern zufolge im vergangenen Jahr insgesamt mehr als ein Fünftel des in Russland raffinierten Öls verarbeitet worden. Zwar wurden nach russischen Angaben einige Angriffe abgewehrt, und etwaige Störungen waren demnach nur kurzzeitig, doch laut Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters sind mittlerweile rund 14 Prozent der Raffineriekapazität wegen Drohnenangriffen lahmgelegt.

Russland braucht Benzin aus Belarus

Die Kuibyschew-Raffinerie in der Region Samara stellte laut Branchenkreisen ihren Betrieb etwa vollständig ein. Sie ist zwar nur für 1,34 Prozent der russischen Ölverarbeitung verantwortlich, doch die Ausfälle summieren sich. Eine Raffinerie im Gebiet Rjasan, die für 5,8 Prozent der landesweiten Verarbeitung steht, konnte Insidern zufolge zwei Wochen lang nur mit 30 Prozent ihrer Kapazität arbeiten. Der staatliche Betreiber Rosneft schwieg dazu.

Russland, das gewöhnlich mehr Mineralölprodukte exportiert als importiert, verhängte Anfang März einen Ausfuhrstopp für Benzin. Inzwischen wird zusätzlich Benzin von Belarus importiert, die Einfuhren sollen auf monatlich 100.000 bis 150.000 Tonnen gesteigert werden. Nach Angaben aus Branchenkreisen war die Menge bereits in der ersten März-Hälfte auf fast 3.000 Tonnen erhöht worden, nachdem es im Februar noch 590 Tonnen gewesen seien und es im Jänner gar keine Lieferungen aus Belarus gegeben habe.

Ukraine musste Importe stark erhöhen

Auch die Ukraine muss immer mehr Energie importieren. Der größte private ukrainische Stromerzeuger DTEK verlor bei russischen Angriffen am vergangenen Freitag nach Angaben des Versorgers Yasno 50 Prozent seiner Produktionskapazität. Daraufhin erhöhte das Land seine Stromeinfuhren stark, zugleich seien die Stromausfuhren gestoppt worden, teilte das Energieministerium mit. Die Angriffe hätten Anlagen zur Stromerzeugung und -verteilung getroffen, auch Wärme- und Wasserkraftwerke, hieß es.

Turbinenhalle im AKW Saporischschja
IMAGO/TASS/Alexander Polegenko
Das AKW Saporischschja ist mittlerweile unter russischer Kontrolle

Mit dem Wegfall des Atomkraftwerks Saporischschja, des größten AKWs Europas, das mittlerweile unter russischer Kontrolle steht und keinen Strom mehr erzeugt, ist nicht nur die Versorgungslage in der Ukraine angespannt. Für die Aufrechterhaltung der Kühlung in dem AKW wird Strom benötigt, ebenso wie bei den anderen Atomkraftwerken in der Ukraine. Ein Ausfall der Stromversorgung bzw. Beschädigung von Leitungen stellt damit auch eine direkte Gefahr für die Bevölkerung dar.

Die Energieversorgung dürfte durch den Krieg zudem auf längere Zeit belastet sein: Am vergangenen Freitag setzte Russland mit Angriffen etwa das für die Abdeckung von Stromspitzen wichtige Dnipro-Wasserkraftwerk in Saporischschja außer Betrieb. Die nahe der russischen Grenze befindliche zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw war längere Zeit komplett ohne Strom. Das dortige große Heizkraftwerk wurde so stark beschädigt, dass eine Reparatur nach Schätzungen von Ingenieuren Jahre dauern dürfte.