Benjamin Netanyahu bei einem Pressetermin
Reuters/Ronen Zvulun
Streit über Wehrpflicht

Netanjahu unter Zugzwang

Der Streit über die Ausnahme von jüdisch-orthodoxen Männern von der Wehrpflicht in Israel schwelt schon länger. Am Sonntag endet nun eine Übergangsregelung. Das fragile Kriegskabinett unter Premier Benjamin Netanjahu ist in dieser Frage besonders gespalten und schaffte es bisher nicht, sich auf ein neues Gesetz zu einigen. Eine Entscheidung des obersten Gerichts fachte den Konflikt zusätzlich an.

Israelische Männer müssen fast drei Jahre Militärdienst leisten, Frauen zwei Jahre. Die politisch einflussreichen Orthodoxen machen etwa 13 Prozent der israelischen Gesellschaft aus. Sie sind bereits seit der Gründung Israels von der Wehrpflicht befreit, wenn sie in Religionsschulen, den Jeschiwas, studieren. Diese Ausnahmeregelung befreite allein im vergangenen Jahr 66.000 ultraorthodoxe Juden.

Die Ungleichbehandlung spaltet die israelische Bevölkerung und seit dem Gaza-Krieg umso mehr. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Anteil der Orthodoxen seit der Staatsgründung Israels gestiegen ist. Ein Gesetz, das die Befreiung von der Wehrpflicht erlaubt, lief im vergangenen Jahr aus. Seitdem gilt eine vorübergehende Regelung – allerdings nur noch bis Sonntag.

Gericht will Subventionen streichen

Der Oberste Gerichtshof entschied am Donnerstag, dass das derzeitige System diskriminierend ist, und gab der Regierung eine Frist bis Montag, um einen neuen Plan vorzulegen. Dieser müsse bis 30. Juni verabschiedet werden. Das Gericht erließ eine einstweilige Verfügung, die der Regierung vorschreibt, die staatlichen Subventionen für orthodoxe Männer in den Religionsschulen im wehrpflichtigen Alter ab 1. April zu streichen. Das Urteil, ob junge ultraorthodoxe Männer ebenfalls der Wehrpflicht unterliegen, steht noch aus und könnte bereits am Sonntag erfolgen.

Sudenten in einer Jeschiva
Reuters/Nir Elias
Zigtausende orthodoxe Juden sind für das Thorastudium derzeit von der Wehrpflicht ausgenommen

Auf die Bitte Netanjahus, eine Verlängerung der Frist um 30 Tage zu gewähren, reagierte das Gericht bisher nicht. Netanjahus Regierung arbeitet an einem neuen Gesetz. Das Kriegskabinett, getragen von säkularen und ultraorthodoxen Parteien, muss nun eine Kompromisslösung finden, vertritt aber stark gegensätzliche Positionen.

Spannungen in Koalition

Arje Deri, Vorsitzender der ultraorthodoxen Schas-Partei, bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als „beispiellose Schikanierung von Thorastudenten im jüdischen Staat“. Welchen Schritt der mächtige Block der ultraorthodoxen Parteien setzt, sollten die Ultraorthodoxen ihren Vorzugsstatus verlieren, kündigte er nicht an. Verlassen sie die Regierung, würde das die Koalition sprengen. Einige Vertreter drohten mit einem Ausscheiden aus der Regierung.

Zugleich weigerten sich Verteidigungsminister Joav Galant aus Netanjahus Likud-Partei und Ex-General Benni Ganz, beide im Kriegskabinett, einer Fortsetzung der Ausnahmeregelung zuzustimmen. Ganz hatte mit seinem Rücktritt gedroht. Ein Ende der Koalition würde zu einer Neuwahl führen. Umfragen zufolge würde Netanjahu nicht mehr gewinnen.

Benjamin Netanyahu, Yoav Gallant und Benny Gantz
APA/AFP/Abir Sultan
Ganz (r.) und Galant (M.), beide Minister in Netanjahus Kriegskabinett, fordern eine Ende der Ausnahmeregelung

Treffen in USA geplant

Auswirkungen hat die innenpolitische Debatte über die Wehrpflicht auch auf die Entwicklungen im Gaza-Krieg. Berichten zufolge könnten Vertreter von Israel und den USA in Washington zu Gesprächen über die von Netanjahu geplante Bodenoffensive in Rafah im Gazastreifen bereits am Montag zusammenkommen. Es sei aber noch unklar, ob die israelische Delegation in die USA reisen dürfe, solange diese innenpolitische Angelegenheit noch nicht geklärt sei, berichtete CNN mit Blick auf den Streit über die Wehrpflicht.

Laut US-Beamten stehe ein genaues Datum für den Besuch in Washington nicht fest. Aber das Büro von Netanjahu habe zugestimmt, das Treffen neu anzusetzen. Denn eigentlich hätte ein Gespräch bereits vergangene Woche stattfinden sollen. Es wurde von Netanjahu aber abgesagt, nachdem der UNO-Sicherheitsrat ohne Widerstand der USA eine Resolution mit der Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe verabschiedet hatte.

USA liefern Israel Waffen

Die USA haben große Bedenken wegen Israels geplanter Bodenoffensive in Rafah, liefern aber dennoch Waffen in Milliardenhöhe. Einem Bericht der „Washington Post“ zufolge genehmigte die Regierung von US-Präsident Joe Biden rund 2.300 Bomben und einige Kampfflugzeuge – ungeachtet der angespannten Beziehungen zu Netanjahu. „Die Konditionierung von (militärischer, Anm.) Hilfe war nicht unsere Politik“, wurde ein Beamter zitiert.