Laut dem ukrainischen Energieversorger DTEK wurden bei Angriffen in den letzten neun Tagen fünf seiner Kraftwerke stark beschädigt. Es könne bis zu 18 Monate dauern, bis sie wieder ganz am Netz seien, hieß es am Sonntag. Die private Energie- und Bergbaugesellschaft mit Firmensitz in den Niederlanden liefert rund 25 Prozent des ukrainischen Strombedarfs.
Insgesamt gebe es Ausfälle bis zu 80 Prozent der normalen Produktionskapazität in fünf von sechs ihrer großen Kraftwerke, so die DTEK. Das Unternehmen ist der größte private Energieversorger der Ukraine und beschäftigt an die 70.000 Menschen, etwa auch im Kohleabbau.
Notabschaltungen in mehreren Regionen
Laut dem Unternehmen gab es am Wochenende „Notabschaltungen“ des Netzes unter anderem in den Regionen Dnipropetrowsk im Süden und Donezk im Osten des Landes. Auch in den Regionen Sumy im Nordosten und Poltawa im Zentrum des Landes meldeten die Regionalbehörden zuletzt die Unterbrechung der Stromversorgung.
Wie viele Haushalte von den Stromausfällen betroffen waren, teilten die ukrainischen Behörden nicht mit, am Samstag sollen die meisten davon wieder mit Strom versorgt worden sein, hieß es. In 120.000 Haushalten in der Region Charkiw im Osten der Ukraine gab es aber weiterhin nur eingeschränkt Strom, da die lokale Infrastruktur nach Angaben des Energieministeriums „erhebliche Schäden“ erlitten hatte.
Neuer Hilfsappell an den Westen
Die russische Armee hatte erst vor etwas mehr als einer Woche und dann am Freitag umfassende Angriffe auf die Energieinfrastruktur in der Ukraine begonnen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach am Samstag von „abscheulichen Attacken“ der russischen Armee.
Er bat zum wiederholten Mal eindringlich um mehr internationale Hilfe beim Schutz der Energieinfrastruktur seines Landes. „Wir haben die notwendigen Signale und konkrete Anfragen an all unsere Partner gesendet, die über die nötigen Luftverteidigungssysteme und Raketen verfügen“, sagte er. „Amerika, Europa und andere Partner wissen genau, was wir brauchen.“
Angriff auf Kachowka-Damm im Vorjahr
Laut Selenskyj wurden in der Nacht auf Freitag auch zwei große Wasserkraftwerke Ziel russischer Angriffe. Es habe sich dabei um die Anlagen Kaniw und Dnister gehandelt, teilte er auf Telegram mit. „Das Terrorland will die Umweltkatastrophe von Cherson wiederholen. Aber jetzt ist nicht nur die Ukraine in Gefahr, sondern auch Moldawien.“
Im Juni 2023 war nach einem russischen Angriff der Kachowka-Staudamm gebrochen, das dazu gehörende Wasserkraftwerk wurde zerstört. Unmengen Wasser überfluteten weite Teile des Regierungsbezirks Cherson. „Heiz- und Wasserkraftwerke in zentralen und westlichen Regionen wurden beschädigt“, teilte der Netzbetreiber Ukrenerho am Samstag via Telegram mit.
Laut Angaben des ukrainischen Energieministers German Galuschtschenko erfolgten die russischen Angriffe auf die Kraftwerke und das Stromnetz mittels Drohnen und Marschflugkörpern in mehreren Regionen im gesamten Land. Die Ukraine musste ihre Stromexporte vorübergehend einstellen.
Ukraine hat russische Erdölindustrie im Visier
Die Ukraine hat ihrerseits in letzter Zeit Angriffe auf Erdölraffinerien und die russische Mineralölindustrie generell forciert. Bis Mitte März wurden zumindest neun Raffinerien auf russischem Territorium Ziel ukrainischer Drohnenangriffe über Distanzen von bis zu 2.000 Kilometern.
Die US-Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg schrieb von einer „neuen Phase“ des Krieges mit dem Ziel, die russische Wirtschaft zu schwächen, wobei der Erdölindustrie eine Schlüsselrolle im Angriffskrieg gegen die Ukraine zukommt, einerseits für die Versorgung der Truppen mit Treibstoff, andererseits für die Einnahme von Devisen aus dem Export zur Finanzierung des Krieges.
Der ukrainische Geheimdienst SBU sprach von einer gut kalkulierten Strategie dahingehend, „dem Feind die Ressourcen zu entziehen“. Laut Schätzungen kosteten die Angriffe die russische Erdölindustrie bisher über zehn Prozent ihrer Produktionskapazitäten.