Der amtierende Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu bei einer Ansprache
APA/AFP/Yasin Akgul
Gegen AKP

Istanbuls Bürgermeister verkündet Wahlsieg

Der Plan des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, seiner AKP in Istanbul bei den Kommunalwahlen zum Sieg zu verhelfen, ist gescheitert. Ekrem Imamoglu von der größten Oppositionspartei CHP verkündete Sonntagabend seine Wiederwahl als Bürgermeister. „Wir haben die Wahl gewonnen“, so Imamoglu, der als möglicher Konkurrent für Erdogan gilt.

„Wir stehen an erster Stelle mit einem Vorsprung von mehr als einer Million Stimmen“, nachdem 96 Prozent der Wahlurnen ausgezählt seien, sagte Imamoglu vor Journalisten in Istanbul. Erdogans Partei AKP hatte in Istanbul den früheren Umweltminister Murat Kurum ins Rennen geschickt. Istanbul ist die nach Einwohnern und Einwohnerinnen sowie Wirtschaftskraft größte Stadt der Türkei: 16 Millionen Menschen und damit etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung der Türkei leben dort.

In Ankara lag CHP-Bürgermeister Mansur Yavas ebenfalls deutlich vor dem AKP-Kandidaten und erklärte sich im Laufe des Abends zum Wahlsieger. „Die Wahlen sind vorbei, wir werden Ankara weiter dienen“, so Yavas. „Die Wähler haben dafür gestimmt, das Gesicht der Türkei zu verändern“, sagte der CHP-Vorsitzende Özgür Özel. „Sie wollen die Tür öffnen für ein neues politisches Klima in unserem Land“, fügte er hinzu. Auch in Izmir und Antalya dürfte sich die CHP durchsetzen.

Plakate des amtierenden Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu
AP/CTK/Pavel Nemecek
Imamoglu konnte das Amt des Bürgermeisters erfolgreich verteidigen

Erdogan sieht „Wendepunkt“

Erdogan selbst sprach in einer ersten Reaktion von einem „Wendepunkt“ für sein Lager. „Leider haben wir nicht die Ergebnisse erzielt, die wir uns gewünscht haben“, sagte er am Sitz seiner islamisch-konservativen AKP in Ankara vor einer ungewöhnlich stillen Menschenmenge. Er werde „die Entscheidung der Nation respektieren“. Teilergebnissen zufolge lag die Oppositionspartei auch in einigen Provinzhauptstädten vorne, die lange von der AKP dominiert wurden.

Rund 61 Millionen Menschen in 81 Provinzen waren dazu aufgerufen, Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Rund zehn Monate nach der Wiederwahl Erdogans wurde insbesondere mit Spannung erwartet, ob es der AKP gelingt, die Metropolen Istanbul und Ankara zurückzugewinnen. Erdogan hatte sich die Rückeroberung Istanbuls speziell vorgenommen. Die Wahlen gelten auch als Stimmungsbarometer und Weichensteller für die politische Zukunft des Landes.

Aufstieg Erdogans begann in Istanbul

Imamoglu hatte 2019 die Wahl in Istanbul gegen die AKP für sich entschieden. Die AKP ließ die Wahl damals annullieren. In der zweiten Runde gewann Imamoglu mit noch größerem Abstand – der Erfolg gilt als schwerster Rückschlag in Erdogans politischer Karriere. In Istanbul hatte einst Erdogans politischer Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 zum Bürgermeister gewählt wurde. Erdogan sagte am Sonntag bei seiner Stimmabgabe, er hoffe, die Wahl werde nun den Beginn einer „neuen Ära“ markieren.

Die landesweite Wahl fand unter schwierigen Vorzeichen statt: Viele Menschen haben mit der hohen Inflation zu kämpfen, steigende Lebensmittelpreise und Mieten machen ihnen das Leben schwer. Viele junge Menschen würden einer Umfrage zufolge am liebsten das Land verlassen. Die Opposition, die bei der Parlaments- und Präsidentenwahl 2023 noch im Bündnis antrat, gilt als zerstritten und trat nicht mehr geschlossen an.

Menschen feiern nach der Wahl
IMAGO/Middle East Images/Yagiz Gurtug
Die Wahlen galten auch als Gradmesser für die Stimmung im Land

Gradmesser für Zukunft der Kurden

Der Wahlkampf galt als unfair – ein Großteil der Medien in der Türkei steht unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung. Größere Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung wurden zunächst nicht gemeldet. Die prokurdische Partei DEM teilte mit, in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa hätten Beamte versucht, an mehr als einer Urne abzustimmen. Man habe das verhindert und dokumentiert.

Die Wahl ist auch bedeutend für die Zukunft der kurdischen Minderheit im Land. DEM hofft auf Wahlsiege im Südosten, wo sie traditionell große Unterstützung hat, aber einer starken AKP gegenübersteht. Die Partei hatte unter dem Namen HDP bei den vergangenen Kommunalwahlen 65 Bürgermeisterposten gewonnen – die Regierung in Ankara ließ einen Großteil der Politiker aber wegen Terrorvorwürfen des Amtes entheben und durch Zwangsverwalter ersetzen.

Tote bei Zwischenfällen

Im Südosten des Landes überschatteten tödliche Zwischenfälle die Abstimmung. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen wurden zwei Menschen getötet. In der Kurdenmetropole Diyarbakir wie auch in der Provinz Siirt seien Streitigkeiten rund um die Wahl eskaliert, berichtete die Nachrichtenagentur Anadolu. In Diyarbakir wurden dabei auch elf Menschen verletzt, in Siirt vier.

Bei den Auseinandersetzungen seien die Beteiligten mit Schusswaffen, Steinen und Stöcken aufeinander losgegangen. Die prokurdische Partei DEM (vormals HDP), die im Südosten große Unterstützung hat, teilte auf Anfrage mit, den Vorfall in Diyarbakir zu prüfen.