Touristen in typischen Cabrios fahren am Gebäude der US-Botschaft in Kuba vorbei
AP/Desmond Boylan
Kranke Diplomaten

Neue Theorie zum „Havanna-Syndrom“

Das „Havanna-Syndrom“, mysteriöse gesundheitliche Beschwerden, über die erstmals diplomatisches Personal der USA in der gleichnamigen kubanischen Hauptstadt geklagt hat, gibt seit Jahren Rätsel auf. Nun soll sich eine neue Spur zur bisher unbekannten Ursache nach Russland finden. Der Kreml will mit der mysteriösen Erscheinung nichts zu tun haben – und es sind noch viele Fragen offen.

Am Montag wies die russische Regierung Berichte zurück, dass ihre Geheimdienste hinter dem rätselhaften Syndrom stünden. Es war erstmals 2016 im Umfeld der US-Botschaft auf Kuba aufgetaucht, 2021 traten nach Berichten des „New Yorker“ zahlreiche Fälle in Wien bei Diplomaten und Regierungsbeamten der USA auf. Später gab es Verdachtsfälle etwa auch in Deutschland und Kolumbien.

Allen Fällen ist eines gemeinsam: Die Betroffenen klagten über unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Hörverlust, Schwindel, Gedächtnisausfälle, vereinzelt soll es zu Bewusstlosigkeit gekommen sein. Die Ursache ist unbekannt. Vermutet wurden Pestizide genauso wie mysteriöse Mikrowellen- und Schallwaffen als Auslöser.

Ominöse „Einheit 29155“

Nichtsdestotrotz will ein Rechercheverband, bestehend aus der auf Russland spezialisierten Investigativplattform Insider mit Sitz im lettischen Riga, dem Investigativformat des US-Senders CBS, „60 Minutes“, und dem deutschen Nachrichtenmagazin „Spiegel“, nun neue Spuren gefunden haben, die nach Russland führen.

Laut denen soll eine „Einheit 29155“ des russischen Militärnachrichtendienstes GRU hinter dem mysteriösen Phänomen stehen. Insider schrieb am Montag von „jahrelangen Recherchen“, mit denen man auf die Spur gestoßen sei. Der „Spiegel“ berichtete, Mitglieder der Geheimdiensteinheit hätten Prämien für die Entwicklung „nicht tödlicher akustischer Waffen“ erhalten.

Kreml vermisst stichhaltige Beweise

Moskau dementierte am Montag. Das Thema „Havanna-Syndrom“ sei absolut kein neues, sagte der Sprecher des Kreml, Dmitri Peskow. Es sei jahrelang in der Presse aufgeblasen worden, und das von Beginn an in Verbindung mit Anschuldigungen an Russland.

Allerdings habe nie jemand „irgendwelche überzeugenden Belege für diese haltlosen Anschuldigungen“ gefunden oder vorlegen können, so Peskow. Sein Fazit: Damit sei all das nicht mehr als unbegründete, aus der Luft gegriffene Anschuldigungen der Medien an die Adresse Russlands.

Kopf „wie in einem Schraubstock“

Der „Spiegel“ stellte dennoch am Montag die Frage, ob denn „russische Agenten Mikrowellenwaffen gegen US-Diplomaten“ einsetzten, und ließ in einer Reportage einen früheren Mitarbeiter des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, seinerzeit eingesetzt in Moskau, als Betroffenen zu Wort kommen. Er erzählte von plötzlich aufgetretenen rätselhaften Beschwerden und einem Gefühl dabei, als sei sein Kopf „wie in einem Schraubstock“ eingespannt gewesen.

Die Rechercheplattform Insider, die die „berüchtigte Sabotageeinheit des Kreml“ hinter dem „Havanna-Syndrom“ sieht, stellte am Montag auch die Frage, was denn Washington genau über die Ursachen dahinter wisse und „was eine adäquate Antwort des Westens“ darauf sein könne.

Spur bleibt vage

„60 Minutes“ berichtete am Montag ebenfalls von einer „Spur“ nach fünf Jahren Recherche und ließ eine Ermittlerin der US-Bundespolizei FBI als Betroffene zu Wort kommen. Betroffene seien frustriert darüber, dass die Regierung in Washington offiziell in Zweifel ziehe, dass eine feindliche Macht US-Bürger im Visier habe.

Tatsächlich haben sich die US-Geheimdienste intensiv mit dem „Havanna-Syndrom“ und seinen möglichen Ursachen befasst. Letztes Jahr hieß es dazu, es sei eher unwahrscheinlich, dass eine solche feindliche Macht hinter dem erstmaligen Auftreten der mysteriösen Beschwerden bei Botschaftspersonal in der kubanischen Hauptstadt 2016 gestanden sei.

US-Geheimdienste bisher etwas vorsichtiger

Insider will von Fällen schon vor 2016 wissen. Zwei Jahre zuvor, 2014, habe es bereits Fälle im deutschen Frankfurt gegeben, einer habe einen US-Regierungsbeamten betroffen, der plötzlich das Bewusstsein verloren habe. Der US-Kongress verabschiedete 2021 ein Gesetz („HAVANA Act“), das finanzielle Entschädigung für Betroffene des mysteriösen Syndroms ermöglicht.

Im Jahr 2022 erklärte die CIA allerdings, dass sie in ihren Ermittlungen bis dahin keine Hinweise darauf finden konnte, dass irgendeine feindliche Macht für das Auftreten der mysteriösen Symptome verantwortlich ist. Aber auch an diesen Ermittlungen wurden Zweifel laut. Im Vorjahr kam eine Untersuchung der US-Geheimdienste zu einem ähnlichen Ergebnis.