Türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
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Türkei

Erdogan muss Wahlschlappe einräumen

Die Niederlage der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP bei der Kommunalwahl hat die politische Landschaft in der Türkei aufgerüttelt. Während sich die Opposition im Aufwind sieht, signalisierte Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Kurskorrektur. „Wenn wir einen Fehler gemacht haben, werden wir ihn beheben“, sagte er am Montag. Welche Änderungen er innerhalb seiner Partei oder in der Politik vornehmen wolle, ließ er allerdings offen.

„Das ist nicht das Ende für uns, sondern ein Wendepunkt“, sagte Erdogan. Bei der Abstimmung am Sonntag hatte seine AKP ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Erstmals seit ihrer Gründung 2002 wurde sie bei einer Wahl nur zweitstärkste Kraft im Land.

Die größte Oppositionspartei, die Mitte-links-Partei CHP (Republikanische Volkspartei), gewann inoffiziellen Ergebnissen zufolge landesweit 35 der 81 Oberbürgermeisterposten und konnte damit ihren größten Erfolg seit Jahrzehnten einheimsen. Sie verteidigte zudem ihre Posten in der wichtigen Metropole Istanbul und in der Hauptstadt Ankara – insgesamt gewann sie in den fünf größten Städten des Landes. Zudem weitete sie ihren Einfluss in Anatolien – eigentlich Kernland der AKP – aus.

Rund 61 Millionen Menschen, darunter rund eine Million Erstwählerinnen und Erstwähler, waren dazu aufgerufen gewesen, Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker und -politikerinnen zu wählen. Oppositionsanhänger feierten ihren Erfolg bis Montagfrüh ausgelassen. Sowohl in Istanbul als auch in Ankara strömten die Menschen mit Türkei-Flaggen auf die Straße. Autokorsos fuhren hupend durch die Stadt.

Anhänger der CHP jubeln
Reuters/Cagla Gurdogan
Bei den Kommunalwahlen ist die Oppositionspartei CHP stärkste Kraft geworden

Das Gesamtergebnis der Wahl kam einigermaßen überraschend. Noch bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vor nicht einmal einem Jahr schien es, als könnten Erdogan weder die galoppierende Inflation noch die Unzufriedenheit nach den verheerenden Erdbeben im Südosten etwas anhaben. Er musste sich zwar einer Stichwahl stellen, gewann aber am Ende souverän.

Denkzettel angesichts hoher Inflation

Fachleute gehen davon aus, dass viele AKP-Anhänger und -Anhängerinnen angesichts der schlechten Wirtschaftslage nicht zur Wahl gingen oder für kleinere konservative Parteien wie die islamistische Yeni Refah (YKP) stimmten. Diese machte der AKP Konkurrenz und konnte zwei Provinzen von ihr erobern.

Die aktuelle Teuerungsrate von fast 70 Prozent macht vor allem Geringverdienern und Pensionistinnen zu schaffen. Vor allem Lebensmittel und Mietpreise werden stetig teurer. Die ideologische Bindung ist bei Kommunalwahlen traditionell nicht so stark, was es konservativen Wählern leichter gemacht haben könnte, Erdogan einen Denkzettel zu verpassen.

Darauf deutet auch die geringere Wahlbeteiligung hin. Diese lag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur mit gut 78 Prozent etwa sechs Prozentpunkte unter jener bei vergangenen Kommunalwahlen.

Opposition gewinnt Kommunalwahlen in Türkei

Bei den Kommunalwahlen in der Türkei ist die Oppositionspartei CHP stärkste Kraft geworden. Die Wahlbehörde bestätigte am Montag den überraschenden Wahlausgang, der sich bereits in der Nacht abgezeichnet hatte. Die islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan erlitt landesweit Verluste.

Großstädte als Chance für Opposition

Ob Erdogan dauerhaft geschwächt ist, wird sich zeigen. Große Städte zu regieren kann eine Chance für die Opposition sein, das eigene Profil zu schärfen – noch dazu in einem Land, in dem die Medien zum Großteil staatlich kontrolliert sind. Erfahrungsgemäß macht es die Regierung in Ankara oppositionell regierten Städten aber oft schwer, bedeutende Veränderungen anzustoßen oder große Projekte umzusetzen.

Erdogan selbst hat sich zudem in der Vergangenheit immer wieder als anpassungsfähig erwiesen. Der Plan einer Verfassungsänderung scheint aber erst einmal vom Tisch. Ein starkes Abschneiden der AKP hätte den Präsidenten darin bestärken können, eine Verfassungsänderung anzustreben, um sich eine weitere Amtszeit zu sichern.

Der Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu spricht zu seinen Anhängern
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Ekrem Imamoglu konnte seinen Bürgermeisterposten in Istanbul behaupten

Imamoglu könnte Zeitenwende einläuten

Ob die CHP das Momentum auch für Erfolge auf nationaler Ebene nutzen kann, hängt teilweise auch von ihrem Hoffnungsträger ab – dem Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu. Er wurde in der 16-Millionen-Metropole wiedergewählt und stärkte damit seine Position als möglicher künftiger Präsidentschaftsanwärter. Istanbul, das wirtschaftliche und kulturelle Herz des Landes, gilt als Sprungbrett für höhere Ambitionen. Auch Erdogans politischer Aufstieg begann in Istanbul.

Imamoglu droht aber auch immer noch ein Politikverbot als Resultat eines Verfahrens gegen ihn, das viele Beobachter als politisch motiviert kritisieren. Eine Entscheidung wird in den kommenden Wochen erwartet.

Imamoglu gewann laut vorläufigen Ergebnissen mit rund elf Prozent Vorsprung und ließ sich noch in der Nacht auf Montag vor jubelnden Anhängern feiern. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der 53-Jährige erneut Unterstützung von kurdischen Wählern erhielt, obwohl die prokurdische DEM eine eigene Kandidatin aufstellte. Der Bürgermeister hat zudem bewiesen, dass er die Sechserallianz, mit der die Opposition bei den Präsidentenwahlen angetreten war, nicht braucht. Die nationalkonservative Iyi-Partei, die als Konkurrentin von Imamoglus CHP galt, versank in der Bedeutungslosigkeit.

Wahlbeobachter üben Kritik

Unabhängige Wahlbeobachter und Wahlbeobachterinnen sprachen von einem insgesamt ordnungsgemäßen Verlauf, übten jedoch auch Kritik. „Der Wahltag war insgesamt ruhig und professionell organisiert, mit einer hohen Wahlbeteiligung, die ein starkes Engagement der Bürger für demokratische Prozesse zeigt“, sagte David Eray, der Leiter der vom Europarat eingesetzten Beobachtungsmission.

Allerdings hätten die Kommunalwahlen „in einem stark polarisierten Umfeld“ stattgefunden, das für die Demokratie „nur teilweise förderlich war“, fügte der stellvertretende Leiter Vladimir Prebilic hinzu. Ein Großteil der Medien in der Türkei steht unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung.