Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in der ehemaligen Rennwegkaserne auf dem Rennweg in Wien
ORF/Carina Kainz
Spionage für Russland?

Neue Details zu Vorwürfen gegen Ott

Rund um jenen österreichischen Ex-Verfassungsschützer, der für Russland spioniert haben soll, überschlagen sich die Entwicklungen. Am Karfreitag war Egisto Ott in Kärnten festgenommen worden, am Montag wurde U-Haft wegen Verdunkelungsgefahr und Tatbegehungsgefahr über ihn verhängt. Ein Bericht der „Kronen Zeitung“, wonach er ein „Teilgeständnis“ abgelegt habe, wurde vom Wiener Landesgericht nicht bestätigt. Doch gibt es zugleich neue Informationen, wie die geheimen Daten von Wien direkt zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB gewandert sein sollen.

Bereits seit sieben Jahren wird von der Staatsanwaltschaft Wien gegen Ott ermittelt. Durch neue Informationen aus Großbritannien dürfte sich die Verdachtslage nun erhärtet haben, und diese dürften der Grund für die Verhaftung Otts gewesen sein. Britische Behörden waren auf Chats des damaligen Verfassungsschützers Ott mit Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek gestoßen – Mitte März wurden diese Chats dann an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelt.

Marsalek, der nach einer geglückten Flucht nach Russland dort mit neuen Identitäten ausgestattet worden sein soll und seither geheimdienstliche Tätigkeiten verrichten dürfte, soll an zwei mutmaßliche Spione in Österreich angedockt gewesen sein. Eben an den in Wien in U-Haft befindlichen Ott und an den Ex-BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss – über sie soll der Informationsfluss nach Russland gelaufen sein, es gilt die Unschuldsvermutung.

Handys von Spitzenbeamten beim FSB

Diese geheimen, streng vertraulichen Informationen seien demnach „systematisch“ an den FSB weitergeleitet worden. Sie kamen direkt aus dem ehemaligen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das seit Dezember 2021 unter dem Namen Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) arbeitet. Weitergeleitet worden seien auch personenbezogene Daten aus Polizeidatenbanken.

Am Tag der Festnahme Otts traten dann über den „Standard“ neue, erschreckende Details zutage: So seien im Sommer 2022 die Handys dreier ehemaliger Spitzenbeamten im Innenministerium auf Betreiben Otts, Weiss’ und Marsaleks nach Russland gelangt. Konkret soll es sich um die Geräte von Michael Kloibmüller, jahrelang Kabinettschef im Innenministerium, Michael Takacs, mittlerweile Bundespolizeidirektor, sowie von Gernot Maier, Direktor des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, handeln.

Wohnung in Wien-Floridsdorf als Umschlagplatz

Auf den Handys befanden sich laut Ermittlungsakt dem Amtsgeheimnis unterliegende sensible dienstliche und private Daten der Spitzenbeamten. Das Ö1-Mittagsjournal, die ZIB und der „Kurier“ berichteten am Dienstag über einen Umschlagplatz – eine Wohnung in Wien-Floridsdorf. Die Wohnung gehört demnach einem Verwandten Otts – der Ex-Schwiegersohn Otts war am Freitag festgenommen, aber mangels dringenden Tatverdachts auf freien Fuß gesetzt worden.

In dieser Wohnung seien die Geräte übergeben worden, auch Geld habe dort den Besitzer gewechselt – und das laut dem Bericht bis November 2022, also noch Jahre nach dem Beginn der Ermittlungen gegen Ott. Auch besagte Handys der drei Ex-Spitzenbeamten sollen von Unbekannten dort im Auftrag des russischen Geheimdiensts abgeholt worden sein.

Handys, Laptop aus Wohnung abgeholt

Und dabei soll es sich nicht nur um die Daten der Mobiltelefone gehandelt haben, sondern um die physischen Geräte. Ott soll die Handys in der Zeit davor laut „Kurier“ zwischengelagert haben, Unbekannte sollen mit der Abholung der Geräte in der Wohnung direkt von Marsalek beauftragt worden sein – über die Türkei sollen die Geräte dann nach Russland gebracht worden sein.

Wiener Wohnung gehört Verwandten Otts

Der ehemalige Verfassungsschützer Egisto Ott ist mittlerweile in U-Haft. Er soll zahlreiche Informationen an den russischen Geheimdienst übergeben haben. Umschlagplatz war möglicherweise eine Wohnung in Wien.

Hochsensible Daten

Der Hinweis auf den Geheimdienst ergibt sich wohl aus Chats von Marsalek, in denen die Rede von Lubjanka ist, dem Sitz des russischen Geheimdienstes FSB. Zu den Handys soll auch ein SINA-Laptop (SINA steht für: Sichere Inter-Netzwerk Architektur) an Russland weitergegeben worden sein – für 20.000 Euro, wie es heißt. Geldkuverts seien in die Wohnung gebracht worden. Auf dem Laptop sollen sich der Geheimhaltung unterliegende, hochsensible Daten eines EU-Staates befunden haben. Wie Ott an den Laptop gelangen konnte, ist unklar.

„Evakuierung“ nach Dubai

Ex-BVT-Abteilungsleiter Weiss soll Marsalek bereits 2015 kennengelernt haben, Ott soll seit 2017 auf geheime Datenbanken zugegriffen und sogar im Rechtshilfeweg aus Italien und Großbritannien Informationen für Marsalek bzw. Russland beschafft haben. In Chats nannte Marsalek Weiss „unseren Freund“, dessen „Evakuierung“ nach Dubai er organisiert habe.

Weiss, der sich seit 2023 dort aufhalten dürfte, soll für Ott „Ansprechpartner und Auftraggeber“ in Bezug auf Tätigkeiten für Marsalek gewesen sein. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten besteht kein Auslieferungsabkommen – Weiss ist also für die heimische Justiz nicht greifbar, das war er auch beim letzten BVT-Prozess im Vorjahr nicht, bei dem er als Beschuldigter geführt worden war.

Chats: Marsalek und Russen eng verzahnt

Zugleich kristallisiert sich zunehmend heraus, wie eng die Verzahnung Marsaleks mit dem russischen Geheimdienst sein dürfte. Das zeigen die Chats von Marsalek mit einem inzwischen in Großbritannien inhaftierten Bulgaren, der eine fünfköpfige, für Russland tätige Spionagezelle angeführt haben soll. Auf Grundlage dieser Chats war ja die Festnahme Otts erfolgt.

Von den Strafverfolgungsbehörden in Großbritannien wird fünf Männern bulgarischer Herkunft vorgeworfen, von August 2020 bis Februar 2023 für russische Geheimdienste gleichermaßen geheime wie nützliche Informationen gesammelt sowie in Großbritannien und anderen europäischen Ländern Personen ausgekundschaftet zu haben.

„Aktive Maßnahmen“ gegen Investigativjournalisten

Mit dem mutmaßlichen Chef dieser bereits zur Anklage gebrachten Gruppierung, der 2009 nach Großbritannien übersiedelt war und der als ausgewiesener Spezialist für Abhörtechniken gilt, tauschte sich Marsalek rege aus. So berichtete Marsalek von einer Schießübung „mit den Alfa-Jungs“, einer Spezialeinheit des FSB. Auch über „aktive Maßnahmen“ gegen den russlandkritischen Investigativjournalisten Christo Grosew unterhielten sich Marsalek und sein Gesprächspartner.

Grosew lebte bis Anfang 2023 in Wien. Er hatte zu den Giftanschlägen auf Sergej Skripal und Alexej Nawalny recherchiert, im Dezember 2022 setzte ihn das russische Innenministerium auf eine Fahndungsliste, im Februar 2023 übersiedelte Grosew aus Sicherheitsgründen in die USA.

Mittlerweile gilt als gesichert, dass Journalist Grosew einer von mindestens 309 Betroffenen war, für die Marsalek illegale Abfragen aus Polizeidatenbanken tätigen bzw. vertrauliche, der Verschwiegenheit unterliegende Informationen einholen ließ.