AMS Wien
ORF/Roland Winkler
„Schönrederei“

Herbe Kritik nach neuen Arbeitslosenzahlen

Die Arbeitslosigkeit ist im März in Österreich um knapp elf Prozent auf die Quote von 6,9 Prozent gestiegen. Wegen dieses hohen Werts entbrannten am Dienstag Diskussionen über Lohnnebenkosten und „Rot-Weiß-Rot-Karte“. Die Kritik der Opposition ist mannigfaltig, doch der Tenor ist derselbe: Nun werde die Rechnung für die Untätigkeit der Regierung präsentiert.

Ende März waren 369.640 Personen beim Arbeitsmarkt (AMS) vorgemerkt. Davon waren 291.468 arbeitslos, 78.172 Personen nahmen an AMS-Schulungen teil, wie Wirtschaftsministerium und AMS am Dienstag mitteilten. Vor allem Bau und Industrie stehen schlecht da, hier stieg die Arbeitslosigkeit jeweils um mehr als 20 Prozent.

„Im Vergleich zu den Jahren vor Ausbruch der Covid-Pandemie ist das ein niedriger Wert“, so ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher. „Die aktuell etwas höhere Arbeitslosigkeit als im März 2023 ist vor allem ein Resultat des wirtschaftlich herausfordernden Umfelds.“ AMS-Chef Johannes Kopf sprach hingegen von einer „besonders schlechten Entwicklung“.

Österreich befinde sich offenbar noch immer deutlich in der Rezession, so Kopf. Er glaube nun auch nicht mehr an ein rasches Sinken der Arbeitslosigkeit. Firmen hätten aufgrund der hierzulande hohen Inflation nicht nur Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, sondern auch noch personelle Überkapazitäten aufgebaut. „Selbst wenn das Wachstum wieder kommt, wird die Arbeitslosigkeit wohl erst verspätet sinken“, so Kopf.

Muchitsch: „Zahlen jetzt alle doppelt und dreifach“

Die Opposition sah die Ursachen für diese Entwicklung in der Regierungsbank. „Den Preis für Untätigkeit der Regierung gegen die Rekordteuerung zahlen jetzt alle doppelt und dreifach in Form von Rekordpreisen, Rezession und Arbeitslosigkeit“, so SPÖ-Sozialsprecher und Gewerkschafter Josef Muchitsch. „Ich kann nicht verstehen und nicht akzeptieren, dass die Regierung das immer noch nicht als Alarmsignal wahrnimmt, sondern so wie ÖVP-Arbeitsminister Kocher immer noch versucht, die dramatische Entwicklung schönzureden.“

Grafik zur Arbeitslosigkeit im Detail im März 2024
Grafik: APA/ORF; Quelle: AMS

Die Regierung habe „plan- und ziellos Milliarden an Unternehmen“ verteilt. Das habe „keinen Preis gesenkt, nicht Investitionen und Beschäftigung gefördert, sondern nur die Unternehmensgewinne zusätzlich subventioniert“, so Muchitsch.

FPÖ gegen Ausweitung der „Rot-Weiß-Rot-Karte“

„ÖVP-Arbeitsminister Kocher ist lediglich ein neoliberaler Schwadroneur ohne echten und ehrlichen Gestaltungswillen“, so FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. „Seine schrankenlose Zuwanderungspolitik unter anderem in Form einer Aufweichung der Rot-Weiß-Rot-Karte, die nach wie vor von ÖVP und Grünen verursachte hohe Inflation, der anhaltende Anstieg der Insolvenzen in unserem Land sowie die sehr spät und wenig nachhaltige Bauoffensive sind die Hauptursachen für diese hohen Arbeitslosenzahlen.“ Auch Belakowitsch warf Kocher vor, die Lage schönzureden.

Heftige Kritik übte Belakowitsch auch an Überlegungen, die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ auszuweiten. Die Karte soll ausländischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen mit Know-how die Ausübung vor allem gewisser Mangelberufe in Österreich ermöglichen. Über diese Option solle nicht „noch mehr Arbeitsmigranten“ Tür und Tor geöffnet werden, so Belakowitsch. Das wäre „verantwortungslos“, verwies sie auf die angestiegene Arbeitslosigkeit unter ausländischen Personen.

Grafik zur Arbeitslosigkeit in den Bundesländern im März 2023
Grafik: APA/ORF; Quelle: AMS

AMS-Chef Kopf sah tatsächlich ein „ernstzunehmendes Problem“ bei ausländischen Arbeitskräften, allerdings nicht bei qualifizierten Fachkräften, sondern bei vielen Geflüchteten. Das seien derzeit monatlich etwa 1.200 Personen vor allem aus Syrien, sagte er im Ö1-Mittagsjournal. In Wien sei inzwischen fast jeder vierte Mensch ohne Arbeit ein Geflüchteter. Die Integration in den Arbeitsmarkt brauche zumindest zwei, drei Jahre. Das Baupaket der Regierung werde wohl auch nicht vor dem Sommer wirken, sagte Kopf.

Debatte über Arbeitslosengeld

Auch NEOS forderte am Dienstag Bewegung bei der Regierung, allerdings beim Thema Lohnnebenkostensenkung. „Die Regierung muss endlich gegensteuern“, so Sozial- und Wirtschaftssprecher Gerald Loacker. Es brauche die Senkung, nicht nur Gespräche darüber. In der laufenden Frühjahrslohnrunde würde ein solcher Schritt „Druck aus den Verhandlungen nehmen“.

Doch gerade die immer wieder angedachte Lohnnebenkostensenkung ist erneut umstritten. Die ÖVP hatte schon im Februar in ihrem „Österreichplan“ eine Senkung der Lohnnebenkosten um jährlich 0,5 Prozentpunkte bis 2030 versprochen. Bewerkstelligen will sie das unter anderem durch Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung. Konkret soll die Nettoersatzrate (aktuell 55 Prozent) zeitabhängig auf unter 50 Prozent sinken.

Die Nettoersatzrate solle aber steigen, forderte am Dienstag erneut der Gewerkschaftsbund (ÖGB): Teuerungsbedingt solle sie auf 70 Prozent des Letztbezugs angehoben werden, so ÖGB-Geschäftsführerin Ingrid Reischl, die auch bessere Arbeitsbedingungen etwa im Tourismus einforderte.

IV fürchtet Förderung von „Inaktivität“

Ähnlich reagierte die Arbeiterkammer (AK): „Derzeit wird im Zuge der Debatte zur Kürzung der Lohnnebenkosten immer wieder über die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung diskutiert – angesichts der Arbeitsmarktlage und der Erhebungsergebnisse zur sozialen Lage von Arbeitsuchenden der völlig falsche Ansatz“, so die im Wahlkampf befindliche AK-Präsidentin Renate Anderl am Dienstag. Laut dem gewerkschaftsnahen Momentum Institut ist jeder dritte arbeitslose Mensch in Österreich armutsgefährdet. Eine Hauptursache dafür sah der Thinktank auch darin, dass das Arbeitslosengeld der starken Teuerung hinterherhinke. Die Gehälter, die zur Berechnung der Grundlage herangezogen werden, lägen im Regelfall um mindestens zwölf Monate zurück.

Die Industrie hingegen forderte vehement Maßnahmen ein, „die den Faktor Arbeit entlasten und den Wirtschaftsstandort stärken“, so Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV). Alle Potenziale für eine Senkung der Lohnnebenkosten seien tatsächlich zu nutzen, um den Arbeitsstandort zu entlasten, ohne die hohen sozialen Standards in Österreich zu berühren. Potenzial sieht die IV im Arbeitslosenversicherungsbeitrag, eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes würde hingegen „Inaktivität fördern“.