Ein zerstörtes Auto der World Central Kitchen
Reuters/Ahmed Zakot
Israelischer Angriff

Entsetzen über Tod von Helfern in Gaza

Der Tod von ausländischen Helfern im Gazastreifen bei einem israelischen Luftangriff hat international große Empörung ausgelöst. Die Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) bestätigte am Dienstag den Tod von sieben ihrer Mitarbeiter. Israels Präsident Isaac Herzog sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Die USA und zahlreiche andere Staaten fordern eine gründliche und unabhängige Untersuchung.

„Das ist kein Einzelfall“, kritisierte US-Präsident Joe Biden Dienstagabend (Ortszeit) in einer schriftlichen Stellungnahme. Israel habe nicht genug getan, um die Helfer zu schützen. Das sei einer der Hauptgründe, warum die Verteilung der humanitären Hilfe im Gazastreifen so schwierig sei. Die USA fordern eine zügige Untersuchung und Veröffentlichung der Ergebnisse.

„Mehr als 200 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden in diesem Konflikt getötet, der damit zu einem der schlimmsten Konflikte für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in der jüngeren Geschichte zählt“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats in den USA, John Kirby. „Dieser Vorfall steht sinnbildlich für ein größeres Problem und ist Beweis dafür, warum die Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen so schwierig ist.“

Kritik an Israel nimmt zu

Bei einem israelischen Luftangriff in Gaza wurden sieben Mitarbeiter und -innen der Hilfsorganisation WCK getötet. Israels Premier Benjamin Netanjahu spricht, obwohl die Autos mit einem Logo der Hilfsorganisation gekennzeichnet waren, von einem „unbeabsichtigten und tragischen Vorfall“. Die Kritik an ihm und dem Vorgehen Israels wird immer lauter.

Die israelischen Streitkräfte müssten deutlich mehr tun, um Zivilisten, Zivilistinnen und humanitäre Helfer besser zu schützen, forderte Kirby. Auch US-Außenminister Antony Blinken rief Israel zu einer „raschen, gründlichen und unabhängigen Untersuchung“ auf.

Karte zeigt Deir al-Balah im Gazastreifen
Grafik: APA/ORF; Quelle: ISW

WCK setzt Arbeit in Nahost aus

Die sieben Opfer stammten laut der Mitteilung von WCK aus Australien, Polen, Großbritannien und den Palästinensergebieten – zudem habe eines der Opfer die amerikanische und kanadische Staatsbürgerschaft. Die Organisation will angesichts des tödlichen Vorfalls ihren Einsatz in der Region sofort stoppen und bald Entscheidungen „über die Zukunft unserer Arbeit treffen“.

„Das WCK-Team war in einer konfliktfreien Zone in zwei gepanzerten Fahrzeugen mit dem WCK-Logo und einem ungeschützten Fahrzeug unterwegs“, schrieb die Hilfsorganisation. Der Konvoi sei getroffen worden, obwohl man die Fahrt mit der israelischen Armee koordiniert habe. Die Helfer hätten gerade ein Lagerhaus in der Ortschaft Deir al-Balah im zentralen Abschnitt des Gazastreifens verlassen, als sie beschossen worden seien. Dort hätten sie mehr als 100 Tonnen humanitärer Lebensmittelhilfe entladen, die auf dem Seeweg in den Gazastreifen gebracht worden sei.

Ein Mann neben dem zerstörten Auto der World Central Kitchen
Reuters/Ahmed Zakot
Israel werde die Tragödie gründlich untersuchen, versprach die Staatsspitze

„Haaretz“ berichtet von Terrorverdacht

Der israelischen Zeitung „Haaretz“ zufolge ging der Angriff auf einen Terrorverdacht zurück. Die Streitkräfte hätten den Hilfskonvoi wegen der Vermutung attackiert, ein Terrorist sei mit diesem unterwegs gewesen, berichtete das Blatt unter Berufung auf nicht näher genannte Verteidigungsbeamte.

Eine Einheit hatte demnach kurz vor der Einfahrt in die Lagerhalle einen bewaffneten Mann auf einem Lastwagen identifiziert. Dieser von Fahrzeugen des WCK eskortierte Lastwagen sei dann in die Lagerhalle gefahren, er hätte die Halle aber nicht mehr mit den anderen Fahrzeugen der Hilfsorganisation verlassen. Eine Drohne hätte daraufhin drei Raketen auf die Autos abgefeuert.

Generalstabschef: „Schwerer Fehler“

Israels Generalstabschef Herzi Halevi nannte den Tod der Helfer „einen schweren Fehler“ und drückte in der Nacht auf Mittwoch sein Bedauern aus: „Der Angriff wurde nicht in der Absicht durchgeführt, den WCK-Helfern zu schaden. Es war ein Fehler, der auf eine falsche Identifizierung folgte – in der Nacht in einem Krieg unter sehr komplexen Bedingungen. Das hätte nicht passieren dürfen.“

Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Dienstag, Israels Armee sei an internationales Recht gebunden. „Wir sind verpflichtet, unsere Einsätze gründlich und transparent zu untersuchen“, sagte Hagari. „Wir werden eine Untersuchung eröffnen, um diesen schwerwiegenden Vorfall weiter zu prüfen. Das wird uns dabei helfen, die Gefahr zu verringern, dass sich so ein Vorfall wiederholt.“

Netanjahu: „Tragischer Zwischenfall“

Israels Präsident Herzog sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Sein Büro erklärte, Herzog habe mit dem Gründer der Hilfsorganisation, Jose Andres, telefoniert und „seine tiefe Trauer und aufrichtige Entschuldigung angesichts des tragischen Verlusts“ ausgedrückt. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach von einem „tragischen Zwischenfall“, bei dem das israelische Militär „unbeabsichtigt unschuldige Menschen im Gazastreifen“ getroffen habe. Seine Regierung stehe mit den Regierungen der betroffenen Menschen in Kontakt und werde „alles tun, damit so etwas nicht noch einmal passiert“.

EU-Chefdiplomat Josep Borrell verurteilte den Luftangriff im Gazastreifen. Der Außenbeauftragte der EU würdigte die getöteten NGO-Mitarbeiter und drängte auf eine Untersuchung. „Trotz aller Forderungen zum Schutz von Zivilisten und humanitären Helfern gibt es neue unschuldige Opfer.“ Die britische und spanische Regierung forderten eine umgehende Aufklärung des Vorfalls. Ägypten verurteilte den Angriff.

Das österreichische Außenministerium forderte ebenfalls eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls und den ungehinderten Zugang von Helfern und Helferinnen zum umkämpften Küstenstreifen. „Das Leben von Zivilisten und die humanitären Helfer müssen zu allen Zeiten beschützt werden.“

Die UNO prangerte eine „Missachtung“ des Schutzes für die Helfer im Gazastreifen an. „Die Vielzahl solcher Ereignisse ist das unvermeidliche Ergebnis der Art und Weise, wie dieser Krieg derzeit geführt wird“, erklärte ein Sprecher von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres.

Tausende protestieren vor der Knesset in Jerusalem

Tausende Israelis haben gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu demonstriert. In Jerusalem forderten Tausende Demonstrierende eine vorgezogene Neuwahl sowie die Freilassung der Geiseln in der Gewalt der Terrororganisation Hamas.

18,5 Milliarden Dollar Sachschaden

Der Gaza-Krieg hat einer Schätzung der Weltbank und der UNO zufolge in dem abgeriegelten Küstenstreifen einen Sachschaden in zweistelliger Milliardenhöhe verursacht. Die Institutionen bezifferten den Schaden an der kritischen Infrastruktur mit rund 18,5 Mrd. US-Dollar (rund 17,2 Mrd. Euro), wie aus einem gemeinsamen Bericht hervorgeht. Das entspricht den Angaben zufolge 97 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Gazastreifen und Westjordanland im Jahr 2022.

Der Bericht befasst sich auch mit den Auswirkungen auf die Menschen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens stehe „am Rande einer Hungersnot“, und die gesamte Bevölkerung leide unter akuter Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung. Mehr als eine Million Menschen seien obdachlos, 75 Prozent der Bevölkerung seien vertrieben worden. Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen treffe der Krieg am schlimmsten.