US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus
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Biden zu Israel

„Nicht genug getan, um Helfer zu schützen“

Nach dem Tod von sieben Mitarbeitern der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) im Gazastreifen durch einen Luftschlag des israelischen Militärs ist das internationale Entsetzen groß. Auch US-Präsident Joe Biden zeigte sich „empört und untröstlich“. Er warf Israel mit scharfen Worten vor, die Zivilbevölkerung zu wenig zu schützen: „Das ist kein Einzelfall.“

Wiederholt hatten die USA Israel aufgefordert, die Militäroperationen gegen die Hamas von humanitären Einsätzen zu entkoppeln, um zivile Opfer zu vermeiden. „Israel hat nicht genug getan, um die Helfer zu schützen, die versuchen, die Zivilbevölkerung mit dringend benötigter Hilfe zu versorgen.“ Das sei einer der Hauptgründe, warum die Verteilung der humanitären Hilfe im Gazastreifen so schwierig sei.

Biden forderte eine zügige Untersuchung und eine Veröffentlichung der Ergebnisse. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Die Helfer „waren mutig und selbstlos. Ihr Tod ist eine Tragödie“. Die sieben Opfer stammten laut der Mitteilung von WCK aus Australien, Polen, Großbritannien und den Palästinensergebieten – zudem habe eines der Opfer die amerikanische und kanadische Staatsbürgerschaft.

Kritik an Israel nimmt zu

Bei einem israelischen Luftangriff in Gaza wurden sieben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation WCK getötet. Israels Premier Benjamin Netanjahu spricht, obwohl die Autos mit einem Logo der Hilfsorganisation gekennzeichnet waren, von einem „unbeabsichtigten und tragischen Vorfall“. Die Kritik an ihm und dem Vorgehen Israels wird immer lauter.

Hilfsorganisationen pausieren Einsatz

Die Organisation will angesichts des tödlichen Vorfalls ihren Einsatz in der Region sofort stoppen und bald Entscheidungen „über die Zukunft unserer Arbeit treffen“. Auch andere Hilfsorganisationen haben ihre Tätigkeit im Gazastreifen aus Sicherheitsgründen vorerst eingestellt. Israel riskiere, am Ende ohne Partner für die Bereitstellung und Lieferung humanitärer Hilfe in den Gazastreifen dazustehen, zitierte die Zeitung „Times of Israel“ einen Beamten der US-Regierung.

„Jeder fühlt sich jetzt bedroht“, zitierte die „New York Times“ am Dienstag (Ortszeit) Michael Capponi, Gründer der Hilfsorganisation Global Empowerment Mission. Es müsse der internationalen Gemeinschaft von Nichtregierungsorganisationen „garantiert werden, dass wir bei unserer Arbeit, die so wichtig ist, sicher sind“, forderte Capponi.

„Mehr als 200 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden in diesem Konflikt getötet, der damit zu einem der schlimmsten Konflikte für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in der jüngeren Geschichte zählt“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats in den USA, John Kirby. „Dieser Vorfall steht sinnbildlich für ein größeres Problem und ist Beweis dafür, warum die Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen so schwierig ist.“

Generalstabschef: „Schwerer Fehler“

Israels Generalstabschef Herzi Halevi nannte den Tod der Helfer „einen schweren Fehler“ und drückte in der Nacht auf Mittwoch sein Bedauern aus: „Der Angriff wurde nicht in der Absicht durchgeführt, den WCK-Helfern zu schaden. Es war ein Fehler, der auf eine falsche Identifizierung folgte – in der Nacht in einem Krieg unter sehr komplexen Bedingungen. Das hätte nicht passieren dürfen.“

Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Dienstag, Israels Armee sei an internationales Recht gebunden. „Wir sind verpflichtet, unsere Einsätze gründlich und transparent zu untersuchen“, sagte Hagari. „Wir werden eine Untersuchung eröffnen, um diesen schwerwiegenden Vorfall weiter zu prüfen. Das wird uns dabei helfen, die Gefahr zu verringern, dass sich so ein Vorfall wiederholt.“

WCK: Einsatz mit Armee koordiniert

„Das WCK-Team war in einer konfliktfreien Zone in zwei gepanzerten Fahrzeugen mit dem WCK-Logo und einem ungeschützten Fahrzeug unterwegs“, schrieb die Hilfsorganisation. Der Konvoi sei getroffen worden, obwohl man die Fahrt mit der israelischen Armee koordiniert habe. Die Helfer hätten gerade ein Lagerhaus in der Ortschaft Deir al-Balah im zentralen Abschnitt des Gazastreifens verlassen, als sie beschossen worden seien. Dort hätten sie mehr als 100 Tonnen humanitärer Lebensmittelhilfe entladen, die auf dem Seeweg in den Gazastreifen gebracht worden sei.

UN-Arbeiter untersuchen das zerstörte Auto
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Durch einen israelischen Angriff starben sieben Mitarbeiter einer Hilfsorganisation im Gazastreifen

Der israelischen Zeitung „Haaretz“ zufolge ging der Angriff auf einen Terrorverdacht zurück. Die Streitkräfte hätten den Hilfskonvoi wegen der Vermutung attackiert, ein Terrorist sei mit diesem unterwegs gewesen, berichtete das Blatt unter Berufung auf nicht näher genannte Verteidigungsbeamte.

Netanjahu: „Unbeabsichtigt getroffen“

Israels Präsident Herzog sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Sein Büro erklärte, Herzog habe mit dem Gründer der Hilfsorganisation, Jose Andres, telefoniert und „seine tiefe Trauer und aufrichtige Entschuldigung angesichts des tragischen Verlusts“ ausgedrückt.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach von einem „tragischen Zwischenfall“, bei dem das israelische Militär „unbeabsichtigt unschuldige Menschen im Gazastreifen“ getroffen habe. Seine Regierung stehe mit den Regierungen der betroffenen Menschen in Kontakt und werde „alles tun, damit so etwas nicht noch einmal passiert“.

Aufklärung gefordert

EU-Chefdiplomat Josep Borrell verurteilte den Luftangriff im Gazastreifen. Der Außenbeauftragte der EU würdigte die getöteten NGO-Mitarbeiter und drängte auf eine Untersuchung. „Trotz aller Forderungen zum Schutz von Zivilisten und humanitären Helfern gibt es neue unschuldige Opfer.“ Die britische und spanische Regierung forderten eine umgehende Aufklärung des Vorfalls. Auch Ägypten verurteilte den Angriff.

Das österreichische Außenministerium forderte ebenfalls eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls und den ungehinderten Zugang von Helfern und Helferinnen zum umkämpften Küstenstreifen. „Das Leben von Zivilisten und die humanitären Helfer müssen zu allen Zeiten beschützt werden.“ Die UNO prangerte eine „Missachtung“ des Schutzes für die Helfer im Gazastreifen an.

Für den polnischen Regierungschef Donald Tusk stellt der „tragische Angriff“ auf humanitäre Helfer sowie die öffentliche Reaktion der israelischen Regierung die Solidarität mit Israel „auf eine harte Probe“. Der Vorfall erzeuge „verständlichen Zorn“, sagte er in Richtung Netanjahu.