Moderator Paul Lendvai im Europastudio
ORF
44 Jahre im TV

Lendvai lud noch einmal ins „Europastudio“

Mit Paul Lendvai geht einer der bekanntesten und wohl auch längstdienenden Diskussionsgastgeber des ORF in den Ruhestand: Am Sonntag lud der Osteuropa-Experte zum letzten Mal in das „Europastudio“. Themen waren die kommende EU-Wahl mit einer Bestandsaufnahme der Lage Europas und insbesondere Deutschlands. Lendvai bleibt dem ORF als Osteuropa-Experte in aktuellen Sendungen erhalten.

Im März 1980 lud Lendvai erstmals ins damalige „Oststudio“, das er bis 1989 insgesamt 53-mal präsentierte. Mit dem Fall der Berliner Mauer, dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende der politischen Trennung Europas wurde die Sendung zum „Europastudio“, das erstmals am 4. Februar 1990 gesendet wurde. Insgesamt 255 Sendungen leitete Lendvai, nur zweimal wurde er vertreten, einmal von Klaus Emmerich, einmal von Peter Fritz.

Lediglich die Sendungen „Orientierung“ (seit 1969), „Pressestunde“ (seit 1979) und „Hohes Haus“ (seit 1980) gibt es länger im ORF. Am Sendeplatz des „Europastudio“ werden weiterhin die „Pressestunde“ und das neue Diskussionsformat „Die Runde“ zu sehen sein.

Platz in den ORF-Geschichtsbüchern „gewiss“

Er bedanke sich als Erfinder und Moderator zweier Sendungen beim ORF für die Möglichkeit, diese internationalen Sendungen so lange moderieren zu können, so Lendvai. „Ich danke auch allen Intendanten und Chefredakteuren für das Verständnis bei der Themenauswahl und für die mir gewährte absolute Freiheit bei den Einladungen der Gäste.“

Moderator Paul Lendvai im Interview
APA/Robert Jaeger
Seit Jahrzehnten gilt Paul Lendvai als Kenner der Politik Österreichs und Europas

Der ORF könne „sich glücklich schätzen, seit mehr als vier Jahrzehnten einen – nicht zuletzt ob seiner eigenen, bewegten Lebensgeschichte – derart kompetenten (Ost-)Europa-Experten als Sendungsmoderator in seinen Reihen zu wissen“, sagt ORF-Generaldirektor Roland Weißmann. Mit seinem internationalen Netzwerk sei es Lendvai stets gelungen, die besten Diskussionsteilnehmerinnen und Diskussionsteilnehmer einzuladen. „Sein Platz in den ORF-Geschichtsbüchern ist Prof. Lendvai schon jetzt gewiss, möge er noch viele Seiten als Experte hinzufügen.“

Letzte Sendung über Deutschland und EU-Wahl

Thema am Sonntag war im Speziellen die Lage Deutschlands . Einerseits ist die wirtschaftliche Lage für den stabilsten und stärksten EU-Mitgliedsstaat mittlerweile schwierig, andererseits schwächen Querelen in der deutschen „Ampelkoalition“ das Land politisch. Das ist auch in den Außenbeziehungen, etwa zu Frankreich, nicht hilfreich, der Streit über Rüstungs- und Finanzhilfe für die Ukraine hilft zudem Russland.

Europastudio: Was ist mit Deutschland los?

Der stabilste und stärkste EU-Staat befindet sich in einem politischen Schwächezustand unter der gespaltenen „Ampelregierung“. Wirtschaftlich droht das Land auch den Anschluss zu verlieren, und auch der deutsch-französische Motor der EU stottert. Mit Blick auf die kommenden EU-Wahlen diskutiert Paul Lendvai darüber mit seinen Gästen.

Journalistische Karriere begann früh

Lendvai wurde am 24. August 1929 in Budapest geboren. Er ist seit vielen Jahren als politischer Kommentator innerhalb und außerhalb Österreichs für zahlreiche Medien tätig, darunter über 20 Jahre für „Die Presse“, „Standard“ und die britische „Financial Times“. Mitte der 1980er Jahre war Lendvai Leiter der Osteuropa-Redaktion des ORF, danach bis 1998 Intendant von Radio Österreich International. Zudem war er Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift „Europäische Rundschau“. Heuer erschien sein mittlerweile 20. Buch.

Seine journalistische Tätigkeit begann Lendvai bereits mit 18 Jahren, neben seinem Jusstudium. Von den Nazis als Sohn jüdischer Eltern verfolgt, rettete ihn ein Zufall vor der Deportation in ein Todeslager im Oktober 1944. Im kommunistischen Ungarn wurde er zunächst zum überzeugten Marxisten, im Zuge seines Militärdienstes dann denunziert und für ein Jahr inhaftiert. 1953 erhielt er Amnestie, allerdings mit Berufsverbot.

Schließlich setzte sich Lendvai nach Österreich ab, da er die politische Lage in seinem Heimatland nicht mehr ertragen habe, schreibt er in seinen Memoiren. Seit 1957 lebt er in Wien. 1959 erhielt Lendvai die österreichische Staatsbürgerschaft, 1980 wurde ihm der Berufstitel Professor verliehen. Neben dem Großen und dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik wurde er unter anderem mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, I. Klasse ausgezeichnet. 2022 erhielt Lendvai vom Presseclub Concordia den Ehrenpreis für sein Lebenswerk.