Kush-Süchtige in Anstalt in Sierra Leone
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Notstand verhängt

Sierra Leone in den Fängen der Droge Kush

Der Präsident von Sierra Leone, Julius Maada Bio, hat wegen des hohen Drogenkonsums in dem westafrikanischen Staat den Notstand ausgerufen. „Unser Land steht derzeit vor einer existenziellen Bedrohung durch die verheerenden Auswirkungen von Drogen und Drogensucht, vor allem durch die synthetische Droge Kush“, sagte Bio in der Nacht auf Freitag in einer Rede an die Nation. Schätzungsweise ein Dutzend Menschen sterben in Sierra Leone pro Woche an dem gefährlichen Rauschgiftmix.

Kush tauchte vor wenigen Jahren erstmals in Sierra Leone auf. Die von kriminellen Banden hergestellte und vertriebene Droge kostet in der Regel fünf Leones (20 Cent) pro Joint, viele Konsumenten und Konsumentinnen geben jedoch mehr als neun Euro pro Tag aus – ein Vermögen für ein Land mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von unter 500 Euro pro Jahr. Mit der traditionellen Cannabissorte Kush, die ursprünglich aus der Region des Hindukusch-Gebirges in Zentralasien stammt, hat das neue Rauschgift nichts gemein.

Kush ist eine Mischung aus Cannabis, Fentanyl, Tramadol, Formaldehyd und – wie manche behaupten – zermahlenen Menschenknochen. Dafür gibt es allerdings keine Beweise. Es wird von lokalen kriminellen Banden gemischt, die Zusammensetzung der Droge variiert von Ort zu Ort. Während Cannabis in Sierra Leone in großem Umfang angebaut wird, geht man davon aus, dass Fentanyl und Tramadol aus Laboren in Asien stammt, wo die Droge illegal hergestellt und nach Westafrika verschifft wird.

Fentanyl, ein extrem starkes Opioid, erzeugt Euphorie und Verwirrung und verursacht neben einer Vielzahl anderer Nebenwirkungen Schläfrigkeit. Tramadol, ebenfalls ein Opioid, aber weniger stark als Fentanyl, führt dazu, dass die Konsumenten schläfrig und weggetreten sind, d. h. nicht mehr wissen, was um sie herum geschieht.

Junger Mann konsumiert die Droge Kush
APA/AFP/John Wessels
Kush lenkt Konsumenten für mehrere Stunden von der Realität ab – vielfach endet das tödlich

Kontrolle über Körper geht verloren

Bei manchen Konsumenten kann die Kush-Sucht ernsthafte psychiatrische Probleme auslösen. Es gibt auch Berichte über Schwellungen und Infektionen, die zu offenen Wunden an den Beinen führen. Die Droge kann auch tödlich sein. Es ist bekannt, dass Konsumenten im Rausch im Gehen einschlafen, wiederholt mit dem Kopf gegen Wände schlagen, in den Verkehr taumeln oder von hohen Plätzen stürzen.

„Diese tödliche Droge, die keine Grenzen von Klasse, Ethnie, Geschlecht oder Religion kennt, richtet in unseren Gemeinden verheerende Schäden an, reißt Familien auseinander und beraubt uns unserer zukünftigen Führungspersönlichkeiten. Als Regierung sagen wir, dass zu viel zu viel ist“, sagte Präsident Bio. Der Küstenstaat hat nach UNO-Angaben eine sehr junge Bevölkerung: 48 Prozent der rund acht Millionen Einwohner und Einwohnerinnen sind jünger als 18 Jahre.

Eine Taskforce, der die Regierung, Gesundheitsbehörden, NGOs und Partner angehören, soll nun eine Strategie umsetzen, die auf fünf Säulen beruht: Prävention, Behandlung, Unterstützung von Sozialdiensten, Strafverfolgung und Engagement der Gemeinschaft. Der Präsident kündigte an, dass in jedem Distrikt zugängliche Behandlungszentren mit qualifiziertem Personal eingerichtet werden sollen, „um Menschen, die unter Drogenmissbrauch leiden, Pflege und Unterstützung zu bieten“.

Chronische Unterversorgung

Bisher kann davon keine Rede sein, die Gesundheitsdienste des Landes sind stark eingeschränkt. Das Sierra Leone Psychiatric Teaching Hospital in der Hauptstadt Freetown kommt mit der steigenden Zahl an Süchtigen kaum zurecht. „Wir haben 2023 fast 2.000 Fälle von Kush-Süchtigen im Krankenhaus registriert. Viele von ihnen sterben in Heimen und auf der Straße“, sagte Jusu Mattia, stellvertretender medizinischer Leiter des Zentrums Anfang des Jahres dem britischen „Telegraph“.

2020 wurden in dem Spital lediglich 47 Personen wegen Kush-Konsums behandelt, 2022 waren es bereits über 1.000. Die meisten der Patienten sind Männer zwischen 18 und 25 Jahren. „Die Kush-Drogenkrise ist allgegenwärtig, aber nur wenige werden eingewiesen, und die meisten der Behandelten werden wieder rückfällig“, sagte Mattia.

Das Lehrkrankenhaus bietet eine drei- bis sechswöchige Isolationsbehandlung sowie antipsychotische Medikamente an, um die Patienten ihrer Sucht zu entwöhnen. Es ist jedoch die einzige Einrichtung ihrer Art, die Kush-Patienten in Sierra Leone aktiv betreut. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation gibt es in dem ganzen Land nur fünf Psychiater, sodass es unmöglich ist, die ausufernde Epidemie zu bekämpfen.

Welle schwappt über

Es gibt keine offiziellen Daten über Todesfälle im Zusammenhang mit der Droge, aber Gesundheitsfachleute gehen davon aus, dass in Sierra Leone wöchentlich etwa ein Dutzend Kush-Konsumenten sterben. Die Suchtwelle breitet sich inzwischen auch in den Nachbarländern Liberia und Guinea aus. Schätzungen zufolge sind inzwischen mehr als eine Million Menschen in der Region von Kush abhängig.

„Kush ist eine sehr gefährliche Droge, ähnlich wie Heroin oder Kokain. Sie ist stark, billig und leicht erhältlich, es gibt kaum Vorschriften und Kontrollen für den Verkauf der Droge, und sie breitet sich in Westafrika immer weiter aus“, sagte Edward Nahim, Facharzt für Psychiatrie am Sierra Leone Psychiatric Teaching Hospital, dem „Telegraph“. „Der Mangel an Arbeitsplätzen und Möglichkeiten treibt viele Jugendliche in die Drogensucht.“