Autos passieren die Tobin Memorial Bridge in Chelsea
AP/Steven Senne
Alt und ungeschützt

Die „verwundbaren“ Brücken der USA

Am 26. März ist die Francis Scott Key Bridge in Baltimore (US-Bundesstaat Maryland) eingestürzt, nachdem ein Containerfrachter einen Pfeiler gerammt hatte. Mehrere Menschen starben, einige werden noch vermisst, die Ursache für das Unglück ist noch unklar. Ähnliche Katastrophen könnten sich wiederholen, warnte am Sonntag die „New York Times“. Dutzende Brücken USA-weit seien sehr „verwundbar“.

Inzwischen haben an den Ruinen der ursprünglich über zweieinhalb Kilometer langen und vierspurigen Brücke entlang der Autobahn Interstate 695 die Aufräumarbeiten begonnen, für Schiffe wurde eine provisorische Fahrrinne an den Trümmern vorbei eingerichtet.

Die Katastrophe habe klargemacht, dass der Zustand sehr vieler Brücken in den USA neu bewertet werden müsse, schrieb die „New York Times“ am Sonntag. An vielen fehlten Schutzvorrichtungen wie etwa Schiffsabweiser, die Kollisionen verhindern oder zumindest dämpfen sollen, ganz, oder aber sie seien technisch überholt oder desolat.

Schlecht oder gar nicht gegen Kollisionen geschützt

Die US-Zeitung zählt eine ganze Reihe großer Brücken auf, die laut ihren Recherchen schlecht oder gar nicht geschützt sind. Eine davon, die 1930 eröffnete Lewis and Clark Bridge über den Columbia River und Verbindung zwischen den Bundesstaaten Washington und Oregon im Westen der USA, sei seinerzeit mit einer Schutzvorrichtung aus Holz ausgestattet worden. Inzwischen seien die Frachtschiffe größer geworden, so die „New York Times“, und das Holz verrottet.

Memphis-Arkansas-Brücke über den Mississippi
AP/Adrian Sainz
Eine von vielen: Die Memphis-Arkansas Bridge in Tennessee hat laut „New York Times“ keine ausreichenden Schutzvorrichtungen

Die US-Zeitung wertete für ihre Bestandsaufnahme laut eigenen Angaben Daten aus dem National Bridge Inventory, einer Datenbank der Federal Highway Administration (FHWA), zuständig für das Fernstraßennetz, aus. Für mehr als 300 größere Brücken würden in der Datenbank Mängel ausgewiesen – zwischen Schutz nicht vorhanden und vorhanden, aber in schlechtem Zustand. Alle diese Brücken spannten sich über schiffbare Gewässer und würden täglich von mehr als 10.000 Fahrzeugen überquert.

300 Meter langes Containerschiff rammte Fundament

Die Francis Scott Key Bridge oder schlicht Key Bridge wurde 1977 fertiggestellt, sie spannte sich über 2.770 Meter über den Patapsco River. Nachdem der für Maersk Line fahrende und in Singapur registrierte Containerfrachter „Dali“ gegen 1.30 Uhr Ortszeit einen der Pfeiler der Brücke gerammt hatte, stürzte diese über einen guten Teil ihrer Länge ein.

Das Schiff und die eingestürzte Francis-Scott-Key-Brücke in Baltimore aus der Luft gesehen
AP/WJLA
Die Key Bridge stürzte größtenteils ein, nachdem die „Dali“ sie am 26. März in der Nacht gerammt hatte

Die „Dali“ war etwa eine Dreiviertelstunde zuvor aus dem Hafen von Baltimore ausgelaufen. Das fast 300 Meter lange Schiff soll vor dem Unglück Probleme mit der Stromversorgung an Bord bekommen haben und könnte dadurch manövrierunfähig geworden sein. Die endgültige Unfallursache ist noch nicht klar.

Nicht der erste Fall

Die „New York Times“ verwies am Sonntag auf mehrere konkrete Beispiele von Brücken, die nicht ausreichend geschützt seien, allesamt auf Wasserwegen, die von sehr großen Schiffen etwa in den Metropolregionen Boston (Massachusetts), New Orleans (Louisiana) und Philadelphia (Pennsylvania) befahren werden. Der Grund, weshalb nichts geschehe, sei mitunter der, dass Risiken zu gering eingeschätzt würden und die Sanierungskosten hoch seien.

Der Einsturz der Key Bridge war nicht der erste nach einer Schiffskollision in der jüngeren US-Geschichte. 1980 stürzte ein Teil der Sunshine Skyway Bridge bei Tampa (Florida) ein, nachdem ein Frachter eine Stütze gerammt hatte. 2001 kollidierten Frachtverbände mit der Queen Isabella Memorial Bridge in Texas.

Washington verspricht Sanierungsoffensive

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden habe schon 2021, im ersten Jahr ihrer Amtszeit, 40 Milliarden Dollar (knapp 37 Mrd. Euro) für die Sanierung von Brücken im ganzen Land zugesagt, so die „New York Times“. Entsprechende Pläne gebe es aber nur für rund ein Drittel der laut Schätzungen USA-weit insgesamt etwa 43.000 maroden Exemplare.

Die Kingston-Rhinecliff-Brücke über dem Hudsonriver
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USA-weit rund 43.000 Brücken sind betroffen (im Bild die Kingston-Rhinecliff-Brücke über dem Hudson River), alt und neu

Biden hatte erst am Freitag den Unglücksort in Baltimore besucht und versprochen, er werde „Himmel und Erde in Bewegung setzen, um die Brücke so schnell wie menschenmöglich wieder aufzubauen“, schrieb die Tageszeitung „USA Today“. An den Kongress in Washington appellierte Biden, die für den Wiederaufbau nötigen Mittel zu bewilligen.

Baltimore: Container werden geborgen

Am 26. März ist die Francis Scott Key Bridge in Baltimore (US-Bundesstaat Maryland) eingestürzt, nachdem ein Containerfrachter einen Pfeiler gerammt hatte. Mehrere Bergungsteams haben nun damit begonnen, Container vom Deck des Frachtschiffes zu beseitigen.

Großer Hafen aktuell nicht nutzbar

Der Einsturz der vierspurigen Autobahnbrücke hat auch immense wirtschaftliche Auswirkungen, weil einer der bedeutendsten Seehäfen der Vereinigten Staaten temporär nicht nutzbar ist. Außerdem ist das Unglück ein riesiger Versicherungsfall. Biden sagte am Freitag, dass ein Kanal, der zum Hafen führe, bis Ende Mai wieder komplett befahrbar sein solle.

Freitagabend (Ortszeit) hatte das Büro des Bürgermeisters von Baltimore, Brandon Scott, mitgeteilt, dass ein drittes Todesopfer gefunden worden sei. Taucher hätten die Leiche eines vermissten Bauarbeiters aus dem Wasser geborgen. Zwei Menschen hatten nach dem Unglück gerettet werden können, drei gelten weiterhin als vermisst. Bei den Verunglückten handelt es sich um Bauarbeiter aus Mexiko, Guatemala, El Salvador und Honduras, die mit Reparaturen an der Brücke beschäftigt waren.