Zerstörtes Al Shifa Spital in Gaza
Reuters/Tedros Adhanom Ghebreyesus
Gaza-Krieg

Hinweise auf Waffenruhe verdichten sich

Im mittlerweile mehr als sechs Monate dauernden Gaza-Krieg gibt es Anzeichen für einen möglichen Zwischendeal – also eine Freilassung von Geiseln und eine vorübergehende Waffenruhe. Bei den Verhandlungen in Kairo gibt es offenbar eine Einigung auf die Grundzüge – und die nächste Gesprächsrunde ist bereits vereinbart. Auch der Abzug von einem Teil der israelischen Truppen aus Südgaza könnte ein Hinweis sein. Die israelische Regierung wie auch die Terrorgruppe Hamas dämpften allerdings die Hoffnungen.

Es gebe eine Einigung über die grundlegenden Punkte zwischen allen beteiligten Parteien, berichtete der staatliche ägyptische Fernsehsender al-Kahera unter Berufung auf eine ranghohe ägyptische Quelle. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Laut israelischen Medienberichten zeigten sich israelische und US-amerikanische Verhandler ebenfalls optimistisch. Allerdings sagte ein Regierungsvertreter später: „Wir sehen noch keine Einigung am Horizont.“ Auch die Hamas dementierte Fortschritte.

Laut al-Kahera haben die Delegationen der islamistischen Hamas und Katars Kairo verlassen und wollten innerhalb von zwei Tagen zurückkehren, um sich auf die Bedingungen des endgültigen Abkommens zu einigen. Die Gespräche sollten in den nächsten 48 Stunden fortgesetzt werden, hieß es. Auch die israelische Delegation reist ab, um sich mit der Regierung zu beraten, und soll dann nach Kairo zurückkehren.

Während damit nach monatelangem Gezerre Hoffnung besteht, dass im Zuge einer längeren Waffenruhe weitere Geiseln freikommen, befeuert Israels Armee nach einem Teilabzug die Spekulationen um einen möglichen Angriff auf Rafah im Süden des Küstenstreifens. Die Truppen hätten nach Zerschlagung der militärischen Strukturen der Hamas in Chan Junis die lange umkämpfte Stadt verlassen, „um sich auf ihre künftigen Missionen vorzubereiten, einschließlich in Rafah“, sagte Israels Verteidigungsminister Joav Galant am Sonntag.

Abzug als Signal an Verhandler

Der Abzug – damit sind laut „Haaretz“ im Süden Gazas de facto keinerlei israelische Truppen mehr stationiert – könnte aber zunächst auch ein positives Signal für die Verhandlungen sein. Und ein Angriff auf Rafah, so er kommt, braucht jedenfalls eine längere Vorbereitungszeit – für die taktische und strategische Planung des Angriffs, die nötigen Truppen müssten zuvor in den Süden verlegt werden, vor allem aber muss vorher die Zivilbevölkerung – rund 1,4 Millionen Menschen – aus Rafah in Sicherheit gebracht werden. Dafür könnte laut „Haaretz“ der Abzug aus Chan Junis hilfreich sein, da die Menschen dorthin zur Flucht gezwungen werden könnten.

Streit um Sicherheitsstreifen

Größter Streitpunkt in den Verhandlungen war laut Medienberichten der von Israels Militär eingerichtete Ost-West-Streifen, mit dem es den Norden vom Süden abriegelt und verhindern will, dass Hamas-Kämpfer wieder in den Norden gelangen. Die Hamas fordert, dass dieser Sicherheitsstreifen aufgelöst wird.

Keine direkten Gespräche

Am Sonntag waren in der ägyptischen Hauptstadt die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln, die von der Hamas festgehalten werden, wieder aufgenommen worden. Zu diesem Zweck reisten CIA-Direktor William Burns und eine Delegation der Hamas in die ägyptische Hauptstadt.

Am Sonntagabend traf auch der katarische Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani ein. Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, soll israelischen Berichten nach ebenfalls teilnehmen. Die USA als Israels wichtigster Verbündeter wollen einen Durchbruch in den seit Wochen festgefahren Verhandlungen herbeiführen. Da Israel und die Hamas nicht direkt miteinander reden, treten die USA, Katar und Ägypten als Vermittler auf.

Seit November erfolglose Gespräche

Im Laufe einer einwöchigen Feuerpause Ende November vergangenen Jahres ließ die Hamas 105 Geiseln im Austausch gegen 240 palästinensische Häftlinge frei. Knapp 100 der Geiseln, die nach dem Terrorüberfall der Hamas vom 7. Oktober nach Gaza verschleppt wurden, dürften nach israelischen Schätzungen noch am Leben sein.

Kurz nach Israels Abzug aus Chan Junis am Wochenende machten sich die ersten Palästinenserinnen und Palästinenser laut israelischen Medienberichten auf, dorthin zurückzukehren. Nach monatelangem Bombardement und schweren Kämpfen zwischen israelischen Truppen und Kämpfern der islamistischen Hamas liegt ein Großteil des Gebiets in Trümmern.

Israel warf der Hamas am Montag vor, aus einer „humanitären Zone“ im Westen von Chan Junis Raketen abgefeuert zu haben. Israelische Kampfjets hätten drei Abschussrampen in einer solchen Zone gezielt angegriffen und zerstört, teilte die Armee mit.

Gaza-Krieg: „Bedeutende Fortschritte“ bei Gesprächen

Bei den Verhandlungen im ägyptischen Kairo über eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen seien bei mehreren strittigen Punkten „bedeutende Fortschritte“ erzielt worden, wie ein staatsnaher ägyptischer Fernsehsender berichtet. Die israelische Armee hat unterdessen ihre Truppen aus der Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens abgezogen.

Halevi: „Weit davon entfernt, aufzuhören“

Israels Generalstabschef Herzi Halevi machte derweil deutlich, dass ein Ende des Krieges noch lange nicht in Sicht sei. „Der Krieg in Gaza dauert an, und wir sind weit davon entfernt, aufzuhören“, sagte Halevi am Sonntag. Ranghohe Funktionäre der Hamas hielten sich in dem abgeriegelten Küstengebiet weiter versteckt. „Wir werden sie früher oder später erreichen.“

Erneut Massendemo in Israel

Am Sonntagabend gingen in Jerusalem nach Angaben der Organisatoren der Großdemonstration erneut rund 50.000 Menschen auf die Straße und forderten in Sprechchören Benjamin Netanjahu und seine Regierung auf, die im Gazastreifen weiter festgehaltenen Geiseln nach Hause zu bringen. Auch am Vortag hatten Zehntausende Menschen in Tel Aviv und anderen israelischen Städten gegen Netanjahus Regierung demonstriert.

Kritiker werfen ihm vor, den Schutz der Gaza-Grenze vernachlässigt zu haben und die Interessen des Landes seinem politischen Überleben unterzuordnen. Demonstranten forderten wiederholt seinen Rücktritt. Seit Wochen lautet der Slogan dafür: „Ata harosch – ata aschem“ (in etwa „Du stehst oben – du bist schuld“).

Für beide Seiten Kampf um Existenz

Viele Israelis haben nach wie vor mit den traumatischen Folgen des Massakers vom 7. Oktober zu kämpfen. Terroristen der Hamas und anderer Gruppierungen hatten an jenem Tag den Süden Israels überfallen, rund 1.200 Menschen getötet und weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Es war der Auslöser des Gaza-Krieges.

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsbehörde in Gaza wurden bisher mehr als 33.000 Palästinenserinnen und Palästinenser bei den israelischen Angriffen getötet, wobei die unabhängig kaum zu überprüfenden Angaben keinen Unterschied zwischen Kämpfern und Zivilisten machen.