Der Gouverneur der Oblast Orenburg, Denis Pasler, sprach am Wochendende von der schlimmsten Überflutung seit Beginn der Aufzeichnungen. Auf seiner gesamten Länge von 2.400 Kilometern sei der Ural über seine Ufer getreten. Auch in anderen Flüssen der Region stiegen die Wasserstände, hieß es am Montag weiter.
Der Ural selbst entspringt im gleichnamigen Gebirge rund 1.000 Kilometer östlich von Moskau. Von dort fließt er nach Süden, durchquert russische Industrieregionen und mündet im Westteil von Kasachstan ins Kaspische Meer. In Kasachstan wirken sich die Fluten ebenfalls verheerend aus. Präsident Kassym-Jomart Tokajew sprach am Sonntag von der größten Naturkatastrophe der letzten 80 Jahre.
„In den nächsten Tagen wird es nur steigen“
Flutwarnungen gab es auch in einer Reihe weiterer Regionen am Ural. „Das Wasser kommt und in den nächsten Tagen wird es nur steigen“, sagte der Bürgermeister der Großstadt Orenburg, Hauptstadt der gleichnamigen Oblast, Sergej Salmin. Die Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohner rüstete sich für Überschwemmungen. Die Regierung in Moskau hatte bereits am Sonntag den Katastrophenfall in der Region Orenburg ausgerufen.
In Orenburg war der Pegelstand laut Regionalregierung innerhalb von 24 Stunden um 16 Zentimeter gestiegen und erreichte am Sonntag mit 8,72 Metern den höchsten Wert seit mehr als 80 Jahren. Montagfrüh war auch dieser Höchstwert eingestellt. Nach Angaben der Orenburger Stadtverwaltung erreichte das Wasser am Montagmorgen einen Stand von 8,93 Metern – als kritisch gilt eine Marke von 9,30 Meter.
Minister spricht von Rekordhochwasser
Wie der stellvertretende Zivilschutzminister Viktor Jasusenko sagte, soll es sich um ein Rekordhochwasser handeln. Ein derartig hoher Wasserstand sei bei dem Fluss Ural noch nie zuvor festgestellt worden. Der russische Wetterdienst erklärte, das Hochwasser im Fluss Ural werde frühestens am Mittwoch seinen Scheitelpunkt erreichen, vielen Stadtteilen von Orenburg drohe die Überflutung.
Insgesamt stehen in den russischen Regionen Ural, Wolga und Sibirien nach Behördenangaben von Montagvormittag mehr als 10.000 Wohnhäuser unter Wasser. Insgesamt seien etwa 10.400 Wohngebäude überschwemmt, teilte das Katastrophenschutzministerium in Moskau am Montag mit.
Trinkwasser dringend benötigt
Der russische Katastrophenminister Alexander Kurenkow flog am Sonntag in das Katastrophengebiet. Er erklärte, dass vor allem Trinkwasser sowie Aufbereitungsanlagen benötigt würden. Die lokalen Behörden wollten mit Impfungen gegen Hepatitis beginnen.
Der russische Präsident Wladimir Putin sprach laut Kreml-Angaben mit verschiedenen Gouverneuren in den Krisengebieten per Telefon. Überschwemmungen gebe es auch in der sibirischen Region Tjumen sowie in Kurgan, hieß es weiter. In beiden Regionen wurde am Montag der Notstand ausgerufen.
In der Stadt Kurgan mit über 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern wurde eiligst die Evakuierung auf eine Flussseite angeordnet. Die Katastrophenschutzbehörden warnten, Teilen der historischen Stadt Tobolsk in Sibirien drohe die Überflutung durch den gefährlich angeschwollenen Fluss Irtysch.
Orsk: Nur noch Dächer ragten aus Wasser
Schwer betroffen von Dammbrüchen sind im Ural-Gebiet auch die Region und die Stadt Orsk. Nach einem ersten Dammbruch war es laut Behörden am Samstag zu einem zweiten gekommen. Der erste war am Freitagabend durch den Druck des Wassers aus dem Uralgebirge gebrochen, wo Eis und Schnee schmelzen. Durch die Fluten seien am Samstag Teile der Altstadt von Orsk überschwemmt worden.
Auf Videos und Bildern war zu sehen, dass teils nur noch Dächer aus dem Wasser ragten. Rettungskräfte berichteten, dass Menschen sich dem Evakuierungsaufruf widersetzten und ihre Häuser nicht verlassen wollten, weil sie auf eine Besserung der Lage hofften. Das sei aber vorerst nicht in Sicht, hieß es am Wochenende weiter. Zudem wurde wegen Niederschlägen ein weiterer Anstieg des Hochwassers erwartet.
Auch Gas und Strom abgeschaltet
Orsk liegt rund 1.700 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt Moskau entfernt und nahe der Grenze zu Kasachstan. Neben der Altstadt von Orsk seien weitere Stadtteile und umliegende Dörfer überflutet worden, berichtete die Zeitung „Kommersant“ am Montag. Dort wurden das Gas und der Strom abgeschaltet.
Katastrophenminister Kurenkow sprach am Sonntag von einer „kritischen Lage“ in Orsk. Mehr als 4.000 Menschen seien in Sicherheit gebracht worden. Es seien elf Notunterkünfte für mehr als 8.000 Menschen eingerichtet worden, so der Minister am Sonntag. Am Montag gab es für die Stadt Orsk die erste Entwarnung: Mittlerweile habe der Hochwasserscheitel Orsk passiert, so die Behörden.
„Schande, Schande“
Eine Untersuchung wurde eingeleitet, wer für den Dammbruch in der Region Orsk verantwortlich sei. Laut den Anklagebehörden wird wegen Vernachlässigung der Wartung des 2010 errichteten Dammes bei der Stadt Orsk mit 250.000 Einwohnern ermittelt. Lokalen Behörden zufolge wurde der Damm für eine Wasserhöhe von 5,5 Meter errichtet, der Ural habe inzwischen aber fast zehn Meter erreicht, wie es am Wochenende hieß.
Eine Gruppe von etwa hundert Demonstrantinnen und Demonstranten versammelte sich vor dem Rathaus in Orsk, wie das kremlkritische Portal „Ostoroschno, Nowosti“ berichtete. Sie riefen „Schande! Schande!“ und warfen den Behörden Versagen vor. So kritisierten sie, dass der Damm, für den nach offiziellen Angaben viel Geld ausgegeben wurde, dem Hochwasser nicht standgehalten haben. Der Bürgermeister und der Gouverneur der Region trafen sich schließlich zu Gesprächen mit einer Delegation der empörten Bürgerinnen und Bürger. Auch der Betrieb der Ölraffinerie von Orsk wurde eingestellt.
Putin und die menschengemachte Klimakrise
Dem Kreml zufolge ließ sich Putin ständig über die Hochwasserlage auf dem Laufenden halten und ordnete die Einrichtung eines Krisenstabs an. Nachdem der Staatschef lange öffentlich Zweifel am menschengemachten Klimawandel geäußert hatte, hatte er die Regierung in den vergangenen Jahren angewiesen, die Vorkehrungen für den Fall von Extremwetterereignissen zu verstärken. Russland erlebte in jüngster Zeit mehrfach schwere Überschwemmungen und Waldbrände.