Bundeskanzleramt in Wien
ORF.at/Roland Winkler
Causa Ott

Nationaler Sicherheitsrat tritt zusammen

Am Dienstag tagt im Parlament auf Verlangen der Grünen der Nationale Sicherheitsrat. Anlass sind die erschütternden Spionagevorwürfe gegen den ehemaligen Verfassungsschützer Egisto Ott. Nun bedürfe es einer neuen Beurteilung der Sicherheitslage Österreichs.

Eine Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität führt eine Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) durch, Handydaten hochrangiger Beamter des Innenministeriums verschwinden in undurchsichtigen Kanälen. Ein Investigativjournalist muss seinen Zufluchtsort Wien verlassen, aus Angst um sein Leben. Der damalige Wirecard-Chef Jan Marsalek protzt in London damit, die Formel für das Nervengift aus der Nowitschok-Gruppe zu haben, mit dem Kreml-Gegner vergiftet wurden.

Nun kommt heraus: All diese Vorkommnisse, die viele Fragen offen ließen, dürften auf die „Spionagezelle“ im damaligen BVT zurückzuführen sein, die mutmaßlich von Ott und dessen früherem Vorgesetzten Martin Weiss angeführt wurde. Ott bestreitet aus der U-Haft heraus alle Vorwürfe, die Republik kann des in Dubai untergetauchten Weiss nicht habhaft werden. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Dass Österreich als Tummelplatz für Spione gilt, ist nicht neu. Dass dieser Umstand nun in Österreich zum Politikum geworden ist, schon. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) will das entsprechende Gesetz verschärfen. Zudem wurde für Dienstag der Nationale Sicherheitsrat anberaumt. Die Grünen hatten das Zusammentreten des Gremiums gefordert, dafür reicht das Verlangen einer Parlamentsfraktion. Für die Einberufung formal zuständig ist Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).

„Vorwürfe schwerwiegend“

„Es stehen Vorwürfe der Spionage gegen Egisto Ott, ehemaliger Mitarbeiter im BVT, im Raum“, so Nehammer in einer Aussendung. „Diese Vorwürfe sind schwerwiegend. Zum einen müssen diese Vorwürfe nun von der Justiz aufgeklärt werden. Zum anderen bedarf es einer Beurteilung und Klärung der Sicherheitslage der Republik. Wir müssen verhindern, dass russische Spionagenetzwerke unser Land bedrohen, indem sie politische Parteien oder Netzwerke unterwandern oder instrumentalisieren.“

Der Nationale Sicherheitsrat sei jenes Gremium, in dem diese Fragen diskutiert werden könnten. Dem Rat gehören Mitglieder der Bundesregierung und der Parteien an, beratend tätig sind Vertreter der Präsidentschaftskanzlei, der Länder, des Heeres und der Polizei.

Egisto Ott
ORF
Egisto Ott

Ermittlungen seit sieben Jahren

Gegen den Ex-Verfassungsschützer wird schon seit sieben Jahren ermittelt, unter anderem wegen Amtsmissbrauchs, geheimen Nachrichtendiensts zum Nachteil Österreichs und Verletzung des Amtsgeheimnisses. Zur Festnahme Otts in seiner Heimat Villach aber führte erst ein Prozess, der in Großbritannien stattfindet. Dort verantwortet sich eine Gruppe bulgarischer Staatsbürger wegen Spionage vor Gericht, ihre Handydaten führten zu Marsalek und in weiterer Folge zu Ott.

Ott war über die Polizei zum Staatsschutz gekommen, stieg im Lauf der Jahre auf und wurde zeitweise auch Polizeiattache im Ausland. Er soll sich ein weit verzweigtes Netzwerk an Kontakten aufgebaut haben, die er – so der Strafantrag – gegen Geld im Sinne Russlands genutzt hat. Ott soll gemeinsam mit Weiss und anderen eine Zelle im BVT aufgebaut haben.

Neue Spionagevorwürfe gegen Ott

Der ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiter Egisto Ott dürfte nicht nur den russlandkritischen Journalisten Christo Grosew ausspioniert haben, sondern auch linke Aktivisten und Aktivistinnen in Österreich. Zudem sollen die Behörden bereits 2021 gewusst haben, dass Ott die Daten von Handys hochrangiger Mitarbeiter des Innenministeriums hatte.

Der Zelle soll sich auch Marsalek für seine russischen Auftraggeber bedient haben. Dem „Spiegel“ zufolge sollen etwa Meldedaten die Besitzer gewechselt haben, u. a. vom Aufdeckerjournalisten Christo Grosew, bei dem daraufhin eingebrochen wurde. Für Marsalek soll Ott mindestens 309 Namen abgefragt haben, auch etliche österreichische.

Dritter Beschuldigter

Eine weitere Enthüllung stammt vom „Standard“. Zu den illegal Ausgespähten gehören demnach auch Aktivisten und Aktivistinnen aus der Antifa-Szene sowie deren Angehörige und Freunde. Die Wohnadresse einer Aktivistin sei in der Folge in die rechtsextreme Szene durchgesickert.

Der „Kurier“ berichtete indes, ein mittlerweile pensionierter Beamter des einstigen Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Wien sei für neun Monate – bis Ende Mai 2023 – suspendiert worden. Ein Strafverfahren gegen ihn wurde eingestellt, ein disziplinarrechtliches Verfahren soll aber noch anhängig sein.

Zwei Suspendierungen, zweite U-Haft

Ott war im Laufe seiner Karriere zweimal suspendiert, zudem saß er bereits 2021 für sechs Wochen in U-Haft, wurde dann aber vom Wiener Oberlandesgericht (OLG) enthaftet. Das OLG ging damals davon aus, es bestehe keine Tatbegehungsgefahr mehr. Das könnte sich im Nachhinein als falsch herausstellen.

Ausländische Partnerdienste hatten das BVT, das im Dezember 2021 von der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) abgelöst wurde, bereits im Jänner 2017 darauf aufmerksam gemacht, aus dem BVT würden vertrauliche Informationen, die ausländische Quellen den heimischen Staatsschützern zum Zweck der Gefahrenerforschung und -abwehr überlassen hatten, an unberechtigte Stellen – nämlich russische Geheimdienste – abfließen.

Schuldzuweisungen in alle Richtungen

Wie das alles möglich war, darüber ist längst ein scharfer Streit zwischen den Parteien ausgebrochen. ÖVP, SPÖ und Grüne haben die FPÖ im Verdacht. Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer ortete gar „Verrat“ der FPÖ an Österreich und engere Kontakte zu Marsalek als bekannt. Für die ÖVP sind die Freiheitlichen ein „Sicherheitsrisiko für Österreich“, denn in den Akten habe man Belege dafür gefunden, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl als damaliger Innenminister nach der BVT-Razzia Ott eine zentrale Rolle in der Neuaufstellung des Geheimdienstes zugedacht habe.

ÖVP wirft Kickl Landesverrat vor

Die ÖVP wirft dem früheren Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ Landesverrat vor. Kickl habe versucht, Egisto Ott in eine Spitzenposition beim Geheimdienst zu bringen. Ott steht derzeit unter Verdacht, ein Russland-Spion gewesen zu sein. Die FPÖ weist die Vorwürfe zurück.

Dadurch hätte er Zugang zu allen sicherheitsrelevanten Informationen und streng geheimen Dokumenten bekommen, so der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger. Zudem, so Hanger, existiere ein Chat zwischen dem ehemaligen freiheitlichen Sicherheitssprecher Hans-Jörg Jenewein und Ott, in dem dieser dem Verfassungsschützer angekündigt habe, bei der Neustrukturierung des Geheimdienstes im März bzw. April 2019 „mit dabei zu sein“. Hanger ortete „Indizien“ dafür, dass Kickl von Otts mutmaßlicher Spionagetätigkeit gewusst habe.

Gridlings Rolle hinterfragt

Die FPÖ wies alle Vorwürfe zurück und spielte den Ball an die ÖVP zurück. „Wenn wir uns das BVT ansehen, dann gibt es auch hier einen Hauptschuldigen: Herrn (Peter, Anm.) Gridling.“ Der frühere BVT-Leiter sei schließlich von der ÖVP geholt worden, Gridling aber habe „nie irgendetwas im Griff im Geheimdienst“ gehabt, so der FPÖ-Mandatar Christian Hafenecker.

Die SPÖ sah die ÖVP in der Verantwortung, die 24 Jahre lang dem Innenministerium vorgestanden sei und zudem Kickl zum Innenminister gemacht habe, so Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner: „Die ständigen Versuche der ÖVP, sich aus der Verantwortung zu stehlen, sind nichts weiter als heiße Luft.“ Ott habe unter ÖVP-Innenministern Karriere im BVT gemacht.

Auch NEOS ortete bei der ÖVP „Kindesweglegung“. Zum einen habe die Volkspartei Kickl zum Innenminister gemacht, zum anderen trage die ÖVP die politische Verantwortung, dass ein Netzwerk Marsaleks das Innenministerium überhaupt infiltrieren konnte, so die NEOS-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper. Sie kündigte auch zwei parlamentarische Anfragen an Innen- und Außenministerium an.

Van der Bellen: „Kann schon nervös machen“

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen äußerte sich nun zum Fall. Bei einer Pressekonferenz mit seiner Schweizer Amtskollegin Viola Amherd sagte er, er lese „mit Interesse“ die Berichte über die Spionageaffäre. „Seien wir doch froh, dass etwas aufgedeckt wurde“, sagte er auf eine Frage der APA. Der Fall zeige, dass „Mächte außerhalb der Europäischen Union“ nicht nur durch Spionage Einfluss zu nehmen versuchen, sondern auch, indem sie Stimmungen erzeugen. „Das kann schon nervös machen“, so Van der Bellen, der zugleich betonte, dass die Klärung der Vorwürfe „Sache des Gerichts“ sei.