Die Klage von sechs portugiesischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zielt auf alle 27 EU-Regierungen und jene in einigen Nachbarländern, insgesamt 32 Staaten in Europa: „David gegen Goliath“ nannten Beobachter das Verfahren, das im September 2023 begonnen hat und die Regierenden dazu bringen soll, die CO2-Emissionen drastisch zu verringern. Darum geht es nämlich in dem Verfahren, nicht um Schadenersatz.
Die jungen Leute argumentieren, dass ihre Menschenrechte, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben sind, durch die Folgen des Klimawandels verletzt werden, zum Beispiel durch verheerende Waldbrände. Und sie fühlen sich besonders benachteiligt, weil die Politik den Ausstoß von Schadstoffen, der die Erwärmung verursacht und beschleunigt, nicht energischer beschränkt – und damit ihre Lebensaussichten nachhaltig beeinträchtigt.
Eine Interessenkoalition über die Generationen
Mehrere hundert Schweizer Frauen im Seniorinnenalter machen etwas Ähnliches geltend wie die Jungen – in einer eigenen Klage, über die ebenfalls am Dienstag vor dem EGMR in Straßburg entschieden werden soll. Sie nehmen lediglich die Regierung der Schweiz ins Visier und nicht gleich einen ganzen Kontinent.
Sie wollen erreichen, dass die Schweiz mehr tut, um den Anstieg der Temperatur auf 1,5 Grad zu beschränken. Wie die junge Generation machen auch die älteren Frauen, unterstützt durch medizinische Gutachten, eine besondere Benachteiligung geltend: in ihrem Fall das höhere Alter, das sie den Folgen der Klimaerwärmung stärker aussetzt.
Die dritte Klage bringt einen weiteren Aspekt zur Verhandlung: den drohenden Anstieg des Meeresspiegels und die Konsequenzen für die Küstenbewohner. Die Klage richtet sich gegen Frankreich und geht von Damien Careme aus, dem früheren Bürgermeister der Gemeinde Grande-Synthe in der Nähe von Dunkerque (Dünkirchen). Auch er verlangt von seiner Regierung wirksamere Maßnahmen gegen die Erderwärmung.
Die 23 Jahre alte Portugiesin Catarina Mota sagte vor dem Entscheidungstag: „Wir verfolgen alle dasselbe Ziel“, „ein Erfolg in einem der drei Fälle wäre ein Erfolg für alle“. Das sieht vermutlich auch Greta Thunberg so. Die schwedische Aktivistin hat sich zur Urteilsverkündung in Straßburg angesagt.
Urteile ebenso offen wie allfällige Konsequenzen
Vorhersagen lässt es sich nicht, wie das Gericht in Straßburg urteilen wird. Die drei Fälle sind verschieden. Richter und Richterinnen könnten eine Erklärung verabschieden, die keine bindende Wirkung hat, oder sie könnten Zuständigkeit und Verantwortung dem einen oder dem anderen Staat und der jeweiligen nationalen Gerichtsbarkeit überlassen.
Sie könnten aber auch eindeutig Position beziehen, gegen 32 Regierungen oder auch nur gegen eine. Letzteres hätten jedenfalls Signalwirkung, davon sind manche Experten überzeugt. Die Auffassungen gehen allerdings diametral auseinander, beginnend bei der Frage, ob Klima- und Umweltschutz Sache eines Gerichtes sein oder der Politik vorbehalten bleiben sollte.
Tatsache ist, dass es von Jahr zu Jahr mehr einschlägige Klagen gibt. Hunderte sind es inzwischen, die alleine in Straßburg anhängig sind. Und weltweit werden es mehr. Gerichte werden zunehmend zu Schiedsstellen in Sachen Klimaschutz.