Produktionshalle von TESLA in Gruenheide
IMAGO/Political-Moments
Produktionstechnik

Unboxing als Teslas Wundertüte

Henry Ford hat den Autobesitz mit seinem billigen, in Massenproduktion hergestellten Model T demokratisiert. Elon Musk versprach einst, dasselbe für Elektroautos zu tun – mit dem Model 2, einem Tesla, der für 25.000 Dollar verkauft werden könnte. Ob Musk tatsächlich noch daran arbeiten lässt, war zuletzt unklar. Tatsache ist, dass Tesla derzeit eine Art der Autoproduktion entwickelt, die viel Zeit und Kosten sparen soll: Unboxing. Das wird auch notwendig sein, bisher verlief das Jahr für den Konzern denkbar schlecht.

Der Absatz des Elektroautoherstellers brach in den ersten drei Monaten dieses Jahres um mehr als acht Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. Mit einem Minus von rund 30 Prozent seit Jahresbeginn zählt die Aktie zu den Schlusslichtern im US-Börsenindex S&P 500. Analysten und Analystinnen stuften die Aktie reihenweise herab und reduzierten das Kursziel. „Das Drama setzt sich fort“, schrieb Philippe Houchois vom Analysehaus Jefferies in einer Studie diese Woche. Er rechnet mit wiederkehrenden Fragen zu Unternehmensführung und Produktprioritäten.

So lancierte die Nachrichtenagentur Reuters vor einigen Tagen einen Bericht, dass Tesla die Entwicklung seines Kompaktmodells für rund 25.000 US-Dollar (23.300 Euro) gestoppt habe. Jedenfalls jener Version mit Lenkrad und Pedalen – nur die Entwicklung des Robotaxis werde fortgesetzt. Musk reagierte umgehend auf seiner Plattform X (Twitter). „Reuters lügt (wieder)“, schrieb er, ohne weiter darauf einzugehen.

Wenige Stunden später setzte Musk, wohl ebenfalls in Reaktion auf die Reuters-Meldung, einen weiteren Post auf X ab, in dem er die Vorstellung des Robotaxis für den 8. August ankündigte. Das autonome Fahrzeug soll auf einer neuen technischen Plattform basieren, die die Produktion effizienter und kostengünstiger machen soll: Unboxing.

Produktionshalle von TESLA in Texas
IMAGO/Bob Daemmrich
In der Gigafactory in Austin entwickelt Tesla eine neue Produktionsmethode

Schneller, billiger, weniger personalintensiv

Unboxing „wird mit Abstand besser sein als jede Produktionstechnologie, die es in der Welt gibt“, zitierte das „Handelsblatt“ Anfang der Woche Musk. Die Methode soll einen grundlegenden Wandel in der Autoproduktion einläuten. Durch deutlich mehr Automatisierung können Fahrzeuge schneller, kostengünstiger und mit weit weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebaut werden.

Unlängst bot Tesla ausgewählten Gästen Einblick in seine Fabrik im texanischen Austin. Unboxing wird in der 90 Hektar großen Gigafactory unter dem Namen „NV9X“ entwickelt. Bekannt ist derzeit noch wenig davon, das Projekt ist geheim – und Chefsache. Musk zufolge sollen die Ingenieure und Entwickler des Projekts rund um die Uhr in Austin unter seiner Aufsicht daran arbeiten.

Kampfansage an Fordismus

Gelingt Tesla die Produktionsänderung, würde es das über 100 Jahre alte Fließbandprinzip von Ford außer Kraft setzen und damit auch symbolisch Geschichte schreiben. Ford hatte 1913 in seiner Autofabrik in Detroit erstmals auf Fließbänder gesetzt. Die Fertigungszeit für Fords Modell T wurde drastisch reduziert, der Preis damit gedrückt und die Arbeit besser bezahlt – so konnten sich die Fabrikarbeiter selbst auch das Auto leisten. Das Modell des Fordismus schaffte also auch seinen einen eigenen Absatzmarkt.

Musk wird, angesichts seiner Innovationskraft sowie einer politisch fragwürdigen Haltung, häufig mit Ford verglichen. Auch die schlichte Modellbezeichnung „Model“ für die entworfenen Fahrzeugen könnte als Referenz begriffen werden. Und dennoch ist das Unboxing gleichsam eine Kampfansage an den Fordismus.

Geheimwaffe Gigacasting

Bisher wird ein Auto immer noch fast wie zu Fords Zeiten gebaut: Erst werden die Türen oder Kotflügel aus Stahl oder Aluminium gepresst, dann zu einer Karosserie zusammengeschweißt, anschließend lackiert. Es folgt der Einbau von Fahrwerk, Getriebe und Motor, dann wird das Konstrukt mit Sitzen, Cockpit und dergleichen versehen. Den Prozess bezeichnete Teslas Entwicklungschef Lars Moravy aber als „eigentlich dumme Idee. (…) Man schweißt aus ganz vielen Einzelteilen eine Karosserie, lackiert dann alles, dann nimmt man die Türen wieder heraus, damit die Arbeiter wieder hereinklettern und Motor und Inneneinrichtungen einbauen.“

Mit dem Unboxing will Tesla das ändern, das Auto soll praktisch statt von außen nach innen, von innen nach außen gebaut werden. Türen und Kotflügel sollen zuerst gepresst, dann einzeln lackiert werden. Parallel werden im Gigacasting die Bodenplatte sowie das Front- und Heckelement gefertigt. Beim Gigacasting, auch Mega- oder Hypercasting genannt, wird das aufwendige Zusammensetzen unzähliger Teile durch einen einzigen Aluminiumdruckguss ersetzt. Der Zusammenbau der Karosserie erfolgt erst am Ende der Fertigung.

Produktionshalle von TESLA in Shanghai
Reuters/Aly Song
Ab 2030 will Tesla 20 Millionen Fahrzeuge pro Jahr ausliefern

Massenmarkt als Ziel

Die neue Produktionsweise soll Tesla den Einstieg in den Massenmarkt ebnen, derzeit sind nur vier Modelle erhältlich, die alle am oberen Ende des Marktes angesiedelt sind. Bis 2030 aber will Tesla die jährlichen Auslieferungen auf das gesteckte Ziel von 20 Millionen Fahrzeugen erhöhen und so der mit Abstand größte Autohersteller der Welt werden – durchaus ambitioniert, im vergangenen Jahr wurden rund 1,8 Millionen verkauft.

Die US-Branchenberatung Caresoft hat laut „Handelsblatt“ „in mühevoller Kleinarbeit“ ein Schema der Produktionsprozesse nachgestellt. Demzufolge braucht Tesla 36 Fabriken, um so viele Fahrzeuge herzustellen. Gelingt es, durch Unboxing die Baukosten durch geringere Fläche und andere Vorteile um 30 Prozent zu senken, würde das Unternehmen fast elf Milliarden Dollar sparen. Insgesamt bräuchte Tesla nur 126.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, zehn Prozent weniger als heute.

Traditionelle Branche rümpft die Nase

Unklar ist aber, wie Tesla einige der Herausforderungen lösen will, die mit dem neuen Produktionsansatz einhergehen. Bei einem Auto, bei dem die Karosserie aus vorlackierten Teilen bestehe, sei ein durchgehender Schutz vor Rost kaum möglich. Das gehe nur in Lackieranlagen, in denen die gesamte Karosserie getaucht werde, heißt es von der Konkurrenz. Allerdings, schrieb die Elektromobilitätsplattform electrive diese Woche, habe das die traditionelle Autobranche auch über die Gigapressen von Tesla gesagt. Inzwischen wird das Konzept auch von General Motors angewendet, andere Hersteller dürften folgen.