Wahlplakate neben Straße in Innsbruck
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Innsbruck-Wahl

Karten werden neu gemischt

Nach sechs Jahren steht in Tirols Hauptstadt kein Stein mehr auf dem anderen: Seit 2018 prägten Abspaltungen, Abwahlen und der Koalitionsbruch die Innsbrucker Stadtpolitik. Am Sonntag werden bei der Gemeinde- und Bürgermeisterwahl die Karten neu gemischt. Die Grünen wollen erneut den Stadtchef stellen, die Konkurrenz aus dem blauen und bürgerlichen Lager ist allerdings groß.

Der Stimmzettel ist heuer besonders lang: Insgesamt 13 Listen stellen sich der Wahl. Außerdem können die rund 100.000 Wahlberechtigten aus 13 Bürgermeisterkandidatinnen und -kandidaten wählen. Die zwei Stimmenstärksten kommen in die Stichwahl, die zwei Wochen später stattfinden wird – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Als Favorit auf das Bürgermeisteramt gilt der amtierende Stadtchef Georg Willi (Grüne). Im Wahlkampf rief der Spitzenkandidat bereits das Duell mit Vizebürgermeister Markus Lassenberger (FPÖ) aus. In der Tat werden dem blauen Kandidaten gute Chancen eingeräumt, gegen Willi in die Stichwahl zu ziehen – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Dorthin wollen auch Ex-Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP) und der frühere Vizebürgermeister Johannes Anzengruber. Beide entstammen zwar dem bürgerlichen Lager, treten wegen Querelen aber getrennt an. Lediglich Außenseiterchancen werden von politischen Beobachtern SPÖ-Spitzenkandidatin Elisabeth Mayr eingeräumt.

Grafik zeigt die 13 Listen bei der Innsbruck-Wahl
Grafik: ORF.at; Quelle: Landeshauptstadt Innsbruck

Abspaltungen innerhalb der Fraktionen

Innsbruck ist besonders für Außenstehende ein kompliziertes Pflaster. Aber auch Einheimische tun sich schwer, den Wildwuchs an Listen und Fraktionen zu überblicken. „Jeder hat mit jedem gestritten“, sagte die Chefreporterin der „Tiroler Tageszeitung“, Anita Heubacher, zum ORF. Fast alle größeren Fraktionen im Gemeinderat hätten es in den letzten Jahren geschafft, sich zu spalten. Den Grünen kamen insgesamt drei Mitglieder abhanden, aus der SPÖ und aus der ÖVP traten jeweils zwei Gemeinderäte aus, bei der FPÖ war es einer.

Die Folge der Abspaltungen waren neue Klubs bzw. Listen, die nun bei der Wahl antreten. „Für jeden Innsbrucker und für jede Innsbruckerin ist das die Qual der Wahl“, kommentierte Heubacher die Vielzahl an Listen. Neu ist die Ausgangslage für die Bevölkerung aber ohnehin nicht. Das zeigt sich insbesondere am bürgerlichen Lager, das seit Jahrzehnten gespalten ist.

Parteienwildwuchs bei Innsbruck-Wahl

Innsbruck ist anders: Gleich 13 Listen kämpfen um den Einzug in den Gemeinderat und 13 Personen um den Bürgermeistersessel. Aus der letzten Wahl vor sechs Jahren gingen die Grünen als strahlende Sieger hervor, mit Georg Willi wurde erstmals ein Grünen-Politiker Bürgermeister einer Landeshauptstadt. Doch nach nicht einmal drei Jahren zerbrach die Stadtkoalition aus Grünen, ÖVP, Für Innsbruck und SPÖ. Auch in den Klubs rumorte es gehörig. Parteiaustritte und Abspaltungen führten zu einem Wildwuchs an neuen Listen und Allianzen. In Innsbruck hofft man, dass nach der Wahl Ruhe einkehrt, doch die Gräben bleiben tief.

Als der spätere Innsbrucker Bürgermeister Herwig van Staa 1993 aus dem ÖVP-Klub geworfen wurde, gründete er kurzerhand die Liste Für Innsbruck (FI). Bei der Wahl 1994 überholte er die ÖVP und wurde Bürgermeister. In den Wahlen darauf sicherte sich das bürgerliche Lager die Mehrheit im Gemeinderat, was freilich sowohl der ÖVP als auch FI zugutekam. Wegen interner Querelen ging FI nach der Wahl 2012 auf Abstand zur ÖVP. Sechs Jahre später gewannen die Grünen die Gemeinderatswahl.

Geteiltes Lager

Als Reaktion auf die Wahlniederlage schmiedeten die bürgerlichen Lager neue Fusionspläne. Bei dieser Wahl treten ÖVP, Seniorenbund und FI unter dem Namen Das Neue Innsbruck an. Angeführt wird die Liste von Ex-Staatssekretär Tursky. Das Lager ist aber weiterhin gespalten. Kurz nachdem bekanntwurde, dass Tursky für die Liste ins Rennen geschickt wird, ging ÖVP-Vizebürgermeister Anzengruber einen anderen Weg und gründete seine Liste Ja – Jetzt Innsbruck.

Sendungshinweis:

Ö1 widmet sich am Freitag um 13 Uhr mit einer Diskussion der Innsbruck-Wahl. Zu Gast in „Punkt eins“ sind Politikwissenschaftlerin Lore Hayek und Journalist Florian Gasser – mehr dazu in oe1.ORF.at

Hier gehen die Erzählungen auseinander. Tursky meinte, dass sich sein Kontrahent dafür entschieden hätte, die ÖVP zu verlassen, Anzengruber sprach hingegen von einem Parteiausschluss. In einer Aussendung der ÖVP hieß es damals, Anzengrubers Mitgliedschaft sei wegen seiner Ankündigung, bei der Wahl mit einer eigenen Liste anzutreten, „kraft Statut automatisch erloschen“.

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Ferdinand Karlhofer ist jedenfalls klar, dass die Spaltung auch die Wählerströme beeinflussen wird. Anzengruber könne der Tursky-Liste einige Stimmen wegnehmen, so Karlhofer.

Koalitionsbruch nach blauer Vizebürgermeisterwahl

Aber auch sonst verliefen die vergangenen sechs Jahre alles andere als ruhig. Nach der Wahl 2018 koalierte der siegreiche Bürgermeister Willi mit der ÖVP/Seniorenbund, der bürgerlichen Liste Für Innsbruck (FI) und der SPÖ. Schon nach wenigen Monaten blitzte Willi mit eigenen Anträgen in der Koalition ab.

Im Herbst 2019 wurde Vizebürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer (FI) auch mit Stimmen der Grünen abberufen. Die neue grüne Vizebürgermeisterin Ursula Schwarzl blieb nur ein Jahr im Amt. Sie wurde gegen den Willen der Grünen abberufen.

Fotostrecke mit 13 Bildern

Bürgermeister Georg Willi (Grüne)
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Der amtierende Bürgermeister Georg Willi (Grüne) kandidiert erneut um das Amt
FPÖ-Bürgermeisterkandidat Markus Lassenberger
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Als Willis größter Konkurrent gilt der amtierende Vizebürgermeister Markus Lassenberger (FPÖ)
Bürgermeisterkandidat Florian Tursky
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Aber auch Ex-Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP) will Innsbrucks neues Stadtoberhaupt werden
Bürgermeisterkandidat Johannes Anzengruber
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Johannes Anzengruber spaltete sich von der ÖVP ab und tritt mit der bürgerlichen Liste Ja – Jetzt Innsbruck an
SPÖ-Bürgermeisterkandidatin Elisabeth Mayr
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Die amtierende Stadträtin Elisabeth Mayr geht für die SPÖ ins Rennen
Bürgermeisterkandidat Helmut Buchacher
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Helmut Buchacher gründete nach einem SPÖ-Richtungsstreit die Liste Die Unabhängigen Innsbruck
NEOS-Bürgermeisterkandidatin Julia Seidl
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Für NEOS kandidiert die frühere Nationalratsabgeordnete Julia Seidl
Liste-Fritz-Bürgermeisterkandidatin Andrea Haselwanter-Schneider
APA/Markus Stegmayr
Andrea Haselwanter-Schneider ist Landtagsabgeordnete, mit der Liste Fritz will sie auch in den Gemeinderat Innsbrucks
Bürgermeisterkandidat Gerald Depaoli
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Gerald Depaoli will mit seiner Liste Gerechtes Innsbruck erneut in den Gemeinderat einziehen
KPÖ-Bürgermeisterkandidatin Pia Maria Elisabeth Tomedi
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Mit Pia Tomedi hofft die KPÖ, den Einzug in den Gemeinderat zu schaffen
Bürgermeisterkandidat Mesut Onay
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2018 trat die Liste ALI mit Mesu Onay noch in einem Bündnis mit der KPÖ an, heuer versucht man es alleine
Bürgermeisterkandidat Helmut Reichholf
Einig Innsbruck
Helmut Reichholf ist Spitzenkandidat der Liste EINIG Innsbruck
Bürgermeisterkandidat Chris Veber
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Der Ex-Grüne Chris Veber geht politisch einen neuen Weg und tritt nun mit der Liste TUN an

Der Bruch der Koalition folgte wenige Monate später. Statt Schwarzl sollte eigentlich Elisabeth Mayr von der SPÖ- Vizebürgermeisterin werden. Jedoch erhielt sie bei der Abstimmung weniger Stimmen als der blaue Stadtrat Lassenberger. Er dürfte mit Stimmen der ÖVP und von FI gewonnen haben. Die Grünen wollten Lassenberger abwählen, aber 28 von 40 Mandataren verließen den Raum. Nach drei Jahren endete die Koalition, und seitdem herrscht das freie Spiel der Kräfte, also jeder gegen jeden. Später wurde auch der ÖVP-Abtrünnige Anzengruber als Vizebürgermeister abgewählt.

Während etwa die FPÖ das freie Spiel der Kräfte begrüßte, da man, um Lassenberger zu zitieren, eigene Anträge mit anderen Mehrheiten durchsetzen konnte, sei es für die Bürgermeisterpartei ein Nachteil gewesen, sagte Heubacher. Für den Bürgermeister sei es schwierig geworden, weil das freie Spiel der Kräfte „oft darin endet, dass sich gar nichts mehr oder kaum etwas umsetzen lässt“. Als Beispiel wird öfters der Bozner Platz im Zentrum Innsbrucks angeführt. Zwar stand bereits fest, wie dieser umgebaut werden soll, allerdings fand sich nach dem Koalitionsbruch keine Mehrheit mehr. Die Baustelle steht derzeit still.

Nichtwähler als Zünglein an der Waage

Für die Abstimmung am Sonntag wird auch die Wahlbeteiligung eine große Rolle spielen. Bei der Wahl vor sechs Jahren gab nur jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme ab. In einigen Stadtteilen lag die Quote bei weit unter 50 Prozent. „Kommunalwahlen werden nicht als so relevant wahrgenommen wie Landtagswahlen oder insbesondere wie die Nationalratswahl“, sagte Politikwissenschaftler Marcelo Jenny von der Uni Innsbruck. Die Landeshauptstadt reihe sich bei der niedrigen Wahlbeteiligung bei den anderen Hauptstädten ein, so Jenny.

Auf dem Markt liegen jedenfalls viele Stimmen, die 2018 nicht abgegeben wurden. Wie hoch die Wahlbeteiligung am Ende sein wird, ist ebenso unklar wie der Ausgang der Wahl. Denn wirklich valide Umfragen waren bisher rar gesät bis gar nicht vorhanden. Einige Listen dürften an der neuen Vierprozenthürde scheitern. Damit würde sich auch die Zahl der Fraktionen im Gemeinderat verkleinern. Aktuell sitzen dort elf Fraktionen und fünf freie Mandatare.