Der indische Premier Narendra Modi während einer  Wahlveranstaltung Anfang April
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Wahl in Indien

Modi spielt die „Weltmacht“-Karte

Indien ist in den letzten Jahren zu einem wirtschaftlichen und geopolitischen Schwergewicht geworden. Entsprechend selbstbewusst tritt das Land mittlerweile auf der Weltbühne auf. Auch im Wahlkampf von Premierminister Narendra Modi und seiner Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) war das neue Selbstbewusstsein zentrales Thema – laut einer am Freitag veröffentlichten Umfrage kommt das auch an.

Modi, seit 2014 als Regierungschef im Amt und im Rennen um seine Wiederwahl, und seine hindu-nationalistische BJP hätten erstmals auch Außenpolitik, nationales Selbstbewusstsein und Indiens Großmachtpläne gezielt zum Thema gemacht, hieß es in mehreren Analysen im Vorfeld der Wahl.

Die Wahl zur Lok Sabha, der ersten Kammer des indischen Parlaments, ist die bisher größte weltweit, beginnt am Freitag und dauert 44 Tage, da die Bundesstaaten in mehreren Phasen abstimmen. Indien ist mit geschätzten 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern mittlerweile das bevölkerungsreichste Land und die fünftgrößte Volkswirtschaft der Erde. Rund 40 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt, etwa 970 Millionen Menschen sind wahlberechtigt.

Indien: Modi beliebt, aber umstritten

Premier Narendra Modi gilt für manche Beobachter als umstrittene Figur. In ihren Augen bekommt er zunehmend nationalistische Züge. Modi beginnt, auch die Pressefreiheit einzuschränken, und versucht, religiöse Minderheiten zu unterdrücken. ORF-Korrespondentin Eva Pöcksteiner meldet sich mit einer Einordnung aus Indien.

Ein großes Versprechen

Modis größtes Versprechen vor der letzten Wahl 2019 war wirtschaftlicher Aufschwung gewesen, das Land hat seit damals seine Wirtschaftsleistung enorm gesteigert. Im Fall seiner Wiederwahl will Modi das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2030 noch einmal (auf umgerechnet über sechs Billionen Euro) nahezu verdoppeln und Indien zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt nach den USA und China machen.

Blick auf Gebäude im Business-Viertel von Neu-Delhi
IMAGO/Pond5 Images/Xrsapmechx
Geschäftsviertel Connaught Place (CP) in Neu-Delhi: Indien hat einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt

Innenpolitisch hat Modi sein Land sukzessive in Richtung illiberale, nationalistische Demokratie umgebaut, trotzdem gilt Indien weiterhin als größte Demokratie der Welt, militärisch und geopolitisch als Gegengewicht zum Nachbarn China.

Regionalmacht mit größeren Ansprüchen

Die geostrategische Rolle Indiens habe bisher in Wahlkämpfen eine untergeordnete Rolle gespielt, hieß es zuletzt etwa im US-Politikmagazin „Foreign Affairs“. Diesmal sei das anders. Mittlerweile interessiere der Platz ihres Landes in der Welt weitaus mehr Inder als vor zehn Jahren. Als Gastgeber des Gipfels der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G-20, inklusive EU) im Vorjahr in Neu-Delhi hatte Modi erstmals einen Weltmachtanspruch für sein Land artikuliert.

Der Saudische Prinz Salman Al Saud, der indische Premier Narendra Modi und US-Präsident Joe Biden beim G20-Gipfel New Dehli
Reuters/Evelyn Hockstein
Der G-20-Gipfel in Neu-Delhi im Vorjahr war für Premier Modi ein außen- wie innenpolitischer Erfolg

„Botschaft“ an die Wähler

Die BJP trete mit dem Versprechen an, Indien in der Welt Ansehen zu verschaffen und gleichzeitig die wirtschaftlichen Probleme der Menschen im Land lösen zu können, schrieb „Foreign Affairs“. Modis Partei habe das neue nationale Selbstbewusstsein dazu genutzt, eine „sich selbst verstärkende Botschaft“ an die Wähler zu konstruieren.

Mädchen verkaufen Blumen am Straßenrand in Mumbai (Indien)
IMAGO/Hindustan Times
Große soziale Kluft: Die wohlhabende Oberschicht ist relativ schmal

Die laute etwa so: Wenn die BJP einen „gewöhnlichen Bürger“ wie Modi zu einem Mann von globalem Einfluss machen könne, dann könne sie dasselbe auch für das Land in der Welt tun. Wenn umgekehrt Modi das Land wirtschaftlich stark machen könne, könne er das auch für seine Wähler leisten. In Indien müssen laut Schätzungen nach wie vor 90 Prozent der Menschen mit weniger als umgerechnet 300 Euro pro Monat auskommen. Die wohlhabende Schicht ist relativ schmal, die soziale Kluft groß.

Geschickte Inszenierung auf der Weltbühne

Frühere Regierungen hätten Außenpolitik als Materie ohne Bezug zu gesellschaftlichen Belangen gesehen, Modi sei es gelungen, sie zu einem Schlüsselthema zu machen, „an dem die Bürger ihre Regierung messen“, schrieb „Foreign Affairs“. Das Interesse der Bevölkerung am Weltgeschehen sei mit dem Aufstieg Indiens zur globalen Macht gewachsen, Modi selbst inszenierte sich geschickt als Gastgeber prominenter Besucher und vor allem der G-20 im Vorjahr.

Damit, analysierte „Foreign Policy“ in einem umfangreichen Dossier zur Wahl, habe er seinem Land Präsenz auf der Weltbühne und sich selbst Popularität verschafft. Das US-Politikmagazin nannte Modi den „wahrscheinlich populärsten politischen Führer“ weltweit mit Zustimmungsraten von knapp unter 80 Prozent.

In der am Freitag veröffentlichten Umfrage von Lokniti-CSDS heißt es auch, dass Modi durch sein Agieren auf internationaler Bühne tatsächlich punkten kann. Zusammen mit dem Bau des gigantischen Hindu-Tempels im Städtchen Ayodhya könne er andere Probleme übertünchen: Die Arbeitslosigkeit war die Hauptsorge von 27 Prozent der 10.000 befragten Wählerinnen und Wähler, die Inflation stand mit 23 Prozent an zweiter Stelle, so die Zeitung „The Hindu“.

Zunehmendes Selbstbewusstsein

Indien tritt heute auch außenpolitisch weit selbstbewusster auf als noch vor Jahren. Dabei gelingt dem Land bisher auch ein bemerkenswerter Spagat, konkret etwa den zwischen militärischer Kooperation mit den USA und gleichzeitig dem Import sanktionierten russischen Erdöls. Niemand versuche, das Land aufzuhalten. Offenbar wolle „jeder die global am schnellsten wachsende Volkswirtschaft auf seiner Seite haben“, schrieb „Foreign Policy“.

Auch das Nachrichtenmagazin The Diplomat mit Fokus auf die Asien-Pazifik-Region nannte diesen ständigen Spagat Modis großen außenpolitischen Erfolg. Indien positioniere sich als „unabhängiger Pol in einer multipolaren Welt“ und setze seine bewährte Linie der Neutralität und Blockfreiheit fort.

Gute geopolitische Karten

Zu aktuellen geopolitischen Themen, vom Krieg in der Ukraine über den im Gazastreifen bis zum Taiwan-Konflikt, habe Indien es vermieden, klar Stellung zu beziehen. Modi suche eigene Allianzen mit Ländern, die untereinander verfeindet sind. Indien habe den USA moderne Waffensysteme abgerungen, während es auch mit Russland militärisch kooperiert.

Die indischen Streitkräfte während der Parade am Tag der Republik im Jänner des Vorjahres
Reuters/Adnan Abidi
Indien gilt als geopolitisches Gegengewicht zu China – und spielt diese Karte geschickt

Wie kommt Indien in diese Position? Modi instrumentalisiere geschickt „die Angst der USA vor China“, schrieb The Diplomat, und das ohne Gegenleistung. Indien unterstütze kein außenpolitisches Ziel der USA aktiv, gegen China gebe es seitens Neu-Delhi keine militärischen Beistandsgarantien. Offen sei allerdings, wie lange diese Rechnung mit Washington noch aufgehen wird.

Bisher habe Modi aber in diesem Bereich „wohl seinen größten und bemerkenswertesten Erfolg zu verzeichnen“. In einer geopolitisch instabilen Welt sei es wenigen größeren Mächten bisher gelungen, mit den USA zu kooperieren und gleichzeitig deren „größte Feinde“ zu umwerben. „Indien war eine bemerkenswerte Ausnahme.“